Gerd vom Steinbach

Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen


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wir sind alle da, sie zu beschützen: der Vater, Paule und auch ich. Und so gefährlich ist die Sache nun auch wieder nicht. Weder die Mutter Mechthild noch du selbst wurden jemals angegriffen oder gar ins Unglück gestürzt. Ganz im Gegenteil, ihr beide werdet von den Leuten hoch geachtet.“

      „Ist gut, Großer. Wo ist die Muhme hin?“

      Ruprecht lacht leise. „Du musst ja weit weg gewesen sein, gegangen ist sie. Also eine Hexe kannst du wahrlich nicht sein, sonst wäre dir das nicht entgangen.“

      „Treibe nur keinen Spott damit, es könnte schnell zum bitteren Ernst werden, wenn es fremde Ohren erlauschen“, mahnt ihn die Mutter eingedenk der kurz zuvor von ihm selbst erhobenen Warnung. „Und nun geh schön brav durch die Stadt, wie es dein Vater geheißen hat, damit du schnell gesund wirst. Vielleicht triffst du auf unseren Herrn Bürgermeister und lässt dich gleich zum Stadtschreiber machen?“ Sie schiebt ihren Ältesten aus dem Garten und wendet sich dem Haus zu. Eine Kontrolle der Mädchen wäre sicher angebracht. Der Anstrich der Stühle erfordert viel Geschick, soll er dem Anspruch des Tischlermeisters entsprechen.

      Ruprecht betritt indes die Gasse und wendet sich gen Westen. Die Morgensonne wärmt ihm gehörig den Rücken und gemahnt ihn, den Nacken vor den brennenden Strahlen zu schützen. Da ihn die Pflicht heute nicht zur Eile treibt, geht er gemächlichen Schrittes und besieht sich die Grundstücke entlang des Weges. Es ist nicht zu übersehen, dass die Stadt gerade einen Umbruch erlebt. Hinter der Bach sind die Anwesen von Zäunen begrenzt und die Häuser ducken sich mit ihren schlichten Wänden aus grobem Holz unter den Grassoden der buckligen Dächer. Die Nordseite der Gasse ist nur hin und wieder mit Häusern besetzt, was vor allem auf die drei großen Stadtbrände von vor über siebzig Jahren zurückzuführen ist, die seinerzeit die Stadt fast vollständig verwüsteten. Vorn, ab dem Wirtshaus und der Quergasse „Uff der Bach“ verkünden massive Steinhäuser von neuen Besitzern und wachsendem Wohlstand. Hier hätte es ein Feuer deutlich schwerer, das Hab und Gut der Besitzer aufzuzehren.

      Gerade hier will sich Ruprecht umschauen, ob sich seine Vorbehalte gegen die neureichen Händler nicht bestätigen und so führt ihn sein Schritt in Richtung Nikolaitor. Die Häuser sind bis an die Gasse herangebaut und reihen sich ohne Zwischenraum aneinander, so dass der Blick in die dahinterliegenden Gärten verwehrt bleibt. Einige Händler haben die Fassaden mit Hofeinfahrten durchbrochen, welche die Aussicht auf die gepflasterten Innenhöfe und die Hinterhäuser ermöglichen. Die bedauernswerten Bewohner dieser Häuser müssen sich offensichtlich mit nur vereinzeltem Grün zufriedengeben, das sich nur mit Mühe gegen das Grau und Braun der Steine durchsetzt. Ruprecht wird klar, dass dies der Tribut ist, den die Händler zu leisten haben, um ihre Warenlager in angemessener Größe zu errichten.

      „Gibt es in Preschers Tischlerei nichts zu tun, dass der Herr Sohn am helllichten Tage träumend durch die Stadt schlendert und Maulaffen feilhält?“ Hans von Pirne aus dem Chemnitzer Gässchen ist ihm unbemerkt in den Weg getreten, so dass Ruprecht den alten Leinenhändler um ein Haar angerempelt hätte.

      „Entschuldigt nur, Meister Hans, ich war etwas in Gedanken.“

      Der Alte blickt ihm prüfend ins Gesicht und zieht sehr bedeutungsschwanger die Brauen in die runzlige Stirn. „Das habe ich gesehen, mein Junge. Und sehr lustig waren die Gedanken eher nicht, wie?“

      „Ach was, ich habe nur überlegt, wie arm die Fernkaufleute dran sind, dass sie für ihre Warenlager jedes Grün im Hofe opfern müssen. Wie gut wir es haben, einen Garten hinter dem Haus unser Eigen zu nennen.“ Ruprecht weist auf das offene Tor neben sich und der Leinenhändler stimmt ihm zu. „Das mag richtig sein, aber man kann im Leben nicht alles haben. Vor der Stadt, in der Niklasgasse, da kann man sich neben den Lagerhäusern einen Garten zur Erbauung leisten. In der Stadt ist ein solcher Luxus viel zu teuer. Dafür ist man hinter der Stadtbefestigung aber viel besser geschützt. Nun frage mich, was ein Händler vorzieht. Was meinst du, warum ich im Chemnitzer Gässchen mein Geschäft aufgeschlagen habe und nicht weiterhin in der Johannisvorstadt sitze?“

      „Ich dachte, weil das Geschäft nicht mehr so gut läuft und Ihr Euch zur Ruhe setzen wollt, weil Ihr zu alt seid?“

      „Damit kannst du ihm doch nicht kommen, Tischlergesell’! Der Hans meint, noch jung zu sein, auch wenn bei jeder Bewegung die Gelenke knacken, als müssten sie gleich bersten. Im Übrigen laufen seine Geschäfte so gut wie eh und je.“ Schmunzelnd tritt der Mathis Arnold an die zwei heran. Er ist in Ruprechts Alter, hat aber schon Weib und Kind. Als Hufschmied verfügt er an der Westseite des Rossmarktes über einen nur allzu günstigen Standort für sein Geschäft. Wenngleich recht jung an Jahren, hat er als Meister in seinem Handwerk einen guten Ruf und wie es heißt, soll er demnächst gar als der jüngste Ratsherr seit Menschengedenken ein gewichtiges Wörtchen in der Stadt mitreden. Trotzdem ist er als umgänglicher Mensch allgemein sehr beliebt und keine Hoffart ist ihm nachzusagen.

      „Verzeiht, wenn ich mich einmische, während ihr vertraut plaudert. Aber ich hörte, dass der Herr von Pirne alt genannt wurde, was ja wohl überhaupt nicht sein kann. Derer von Pirne sind immer in den besten Jahren, auch wenn sie mit schlohweißen Haaren nicht mehr die Treppe herabkommen, so wie seinerzeit der Vogt im Hohen Turm.“

      Jedem anderen hätte der Alte die Lästerei wohl verübelt, nicht aber dem jungen Schmiedemeister. „Lass mir meine Ahnen in Ruhe, du Lästermaul. Wenn der Vogt damals hätte die Treppe hinuntergekonnt, er hätte deinem Ahnen fürderhin das Schmieden verboten, denn der hat sicher des Teufels Fuß beschlagen.“

      Die beiden Männer lachen lauthals über ihren Scherz, während Ruprecht still den Disput der zwei verfolgt. So sieht also Erfolg aus: der Alte hat einen guten Handel betrieben, der eine große Familie zu ernähren vermochte, während der Junge nach denkbar kurzer Gesellenzeit schon den Meisterbrief erwarb und den Betrieb des Vaters übernahm. Was aber hat er selbst vorzuweisen? Der Vater übergibt die Tischlerei an den Zweitgeborenen, weil er selbst als der eigentliche Erbe nicht für das Handwerk taugt! Wofür ist er überhaupt gut auf dieser Welt?

      „Hier sind wir, Ruprecht, hier! Nimmst du uns überhaupt wahr oder träumst du derweil von lockeren Jungfern?!“ Erschrocken blickt Ruprecht auf seinen Freund Mathis, der ihn am Ärmel zupft. „Bist du jetzt wieder da? Was lässt dich denn ringsum die Welt vergessen?“

      Verlegen wischt sich Ruprecht die Nase. „Was ist es verwunderlich, dass die Gedanken abschweifen. Als Handwerksmeister komme ich nicht in Frage, denn ich scheine das Missgeschick gepachtet zu haben. Was auch immer ich beginne, es endet für mich in einer Katastrophe. Gestern habe ich mich fast mit einem Stemmeisen erstochen! Jetzt will mein Vater die Tischlerei an den Paul übergeben und ich soll Stadtschreiber werden.“

      Überrascht blickt Hans von Pirne auf. „Nanu, Ruprecht, woher weiß dein Vater, dass wir einen neuen Stadtschreiber suchen wollen? Wir sind uns im Rat noch gar nicht einig darüber geworden. Da muss einer von den Ratsherren geschwätzt haben!“

      „Was weiß ich, ob da einer geschwätzt hat. Aber mein künftiger Herr Schwiegervater will mich gern auf dieser Stelle sehen und da muss er mir gegenüber etwas verlauten lassen, nicht wahr?“

      „Da magst du recht haben. Wessen Tochter willst du zum Weib nehmen?“

      Ruprecht zuckt mit den Schultern. „So fragt man Leute aus. Ihr werdet es schon rechtzeitig merken. Wichtiger scheint mir, dass Ihr als Ratsherr meine Bewerbung unterstützt. Ich glaube, ich kann dabei jede Unterstützung gebrauchen.“

      Der Schmied schlägt dem verhinderten Tischler betont sachte auf die Schulter. „Also eines muss ich sagen: Dein Vater hat unbedingt recht. Du wirst nie ein guter Meister sein können. Bei jedem Stück, welches du anfängst, brauchst du einen Medikus, der dich wieder zusammenflickt. Hast du überhaupt schon ein Möbelstück fertiggestellt, wo nicht dein Blut dran klebt?“

      Wütend will Ruprecht das Weite suchen, denn das Gesagte ist ein wenig arg übertrieben. Mathis jedoch hält ihn zurück. „Sei nicht gleich beleidigt, ich habe nicht gesagt, dass du Schund herstellst. Das wäre gelogen. Und dass du dich oft verletzt, ist nicht zu leugnen. Aber Schreiben und Rechnen kannst du viel besser als jeder andere in der Stadt, weswegen es nur recht und billig ist, dich zum Schreiber zu machen. Wie mir zu Ohren