Gerd vom Steinbach

Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen


Скачать книгу

du Ärmster“, die Mutter antwortet in glucksender Sprechweise, „mir scheint, dich geht es am ehesten etwas an und dennoch hält man dich ahnungslos!“ Eilig wischt sie die Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Entschuldige, wir wollten dich nicht übergehen.“

      Der Vater erachtet es für angemessen, höchstselbst über den autoritären Ratschluss der Familienoberhäupter aufzuklären. „Also, der Michael Roseler und ich, wir sind übereingekommen, dass du die Martha heiraten wirst. Ein Problem bleibt dabei, wovon ihr leben wollt. Als Tischler wirst du es nimmer zum Meister bringen bei deinem Ungeschick. Also bliebe die Schuhmacherei, aber davon verstehst du gleich gar nichts. Nun hat der Roseler gute Verbindungen zum Rat und er will versuchen, dich als Stadtschreiber unterzubringen. Zu irgendetwas muss Mutters Mühe nutze sein und so hat sie dir das Schreiben nicht umsonst beigebracht.“

      Mit großen Augen blickt Ruprecht seinen Vater an. Er wird also tatsächlich nicht die Werkstatt erben! Wenngleich er selbst seine Zweifel an der Eignung zum Tischlermeister hatte, ist ihm die Verkündigung als Fakt höchst widerwärtig.

      Paul bemerkt wohl, was in seinem Bruder vor sich geht. „Nimm es hin wie ein Mann, Großer. Du weißt, dass der Vater recht hat. Ich will dir nichts wegnehmen, aber als Tischler habe ich die besseren Aussichten auf den Meisterbrief.“

      Der Prescher nickt zu den Worten seines Zweitgeborenen. „So habe ich es mir auch überlegt. Um dir aber eine gewisse Sicherheit zu geben, erhältst du Zeit deines Lebens einen Anteil am Gewinn der Tischlerei. Der wird zwar nicht als Lebensunterhalt reichen, aber als Schreiber verdienst du auch.“

      Langsam, als sei es eine bittere Medizin, schluckt Ruprecht die Enttäuschung hinunter. Er weiß um die Tatsachen und er wird nicht mittellos dastehen. Ganz im Übrigen ist der Stand des Schreibers sehr geachtet.

      „Stadtschreiber zu sein ist eine besondere Ehre!“, wirft die Mutter ein. „Dabei kannst du nebenbei den Schulmeister unterstützen, soweit der dies zulässt. Immerhin könnte er dagegen sein, weil du das Rechnen und Schreiben nach alter Tradition bei mir gelernt hast, aber vielleicht sieht er das nicht so verbissen und dann wirst du irgendwann der Schulmeister sein?“

      Ruprecht winkt entsetzt ab. „Bleib mir nur damit vom Leib! Ich werde mich doch nicht mit den verwöhnten Bälgern der Pfeffersäcke herumschlagen, deren wohlgestaltete Mütter sich weder das Rechnen noch das Schreiben je zu eigen machten, weil sie nur mit ihren Gulden protzen und ansonsten das Geld zum Fenster hinauswerfen.“

      „Nun halte die Luft an, Sohn!“, knurrt der Vater böse. „Nicht jeder Händler schwelgt im Geld und deren Weiber sind zumeist sehr ehrbar! Nimm dir den Caspar Pegnitzer. Ist dessen Familie vielleicht von der Art, wie du sie beschreibst?!“

      Erschrocken zieht der Gescholtene den Kopf zwischen die Schultern. „Um Gotteswillen, nein! Die habe ich nicht gemeint. Aber vorn in der Langen Straße gibt es Beispiele genug, zumal in neuen Steinhäusern.“

      „Sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst. Wären deine Hände nicht so ungeschickt, dann wäre die Schulmeisterei hier gar kein Thema.“ Der alte Prescher will nicht nachgeben. „Was weißt du vom Tagewerk eines Kaufmannsweibs?“

      Ruprecht zuckt mit den Schultern. So genau hat er darüber noch gar nicht nachgedacht. Kann deren Tagewerk so viel anders sein als das der Mutter, die von früh bis spät zu rackern hat? „Na gut, auf der faulen Haut liegen können sie auch nicht. Aber Mutter hat nicht einen Deut weniger zu tun und hat uns allen dennoch der Reihe nach das Schreiben und Rechnen beigebracht. Warum ist das nicht auch bei den Kaufleuten so üblich?“

      Endlich legt der Vater seine bärbeißige Miene ab und lächelt mit unverkennbarem Stolz sein Weib an. „Weil deine Mutter nicht einfach klug, sondern sehr klug ist. Deshalb passt sie so gut zu mir. Sie findet immer den schnellsten Weg zu einer Lösung. Das kommt, weil sie schon, wie auch ihr, als kleines Kind mit Spaß an das Lernen herangeführt wurde. Dadurch erkannte sie die Vielfalt der Möglichkeiten. Wer das Rechnen erst spät erlernt, der hat damit viel mehr Not. Wie soll derjenige seinen Kindern dann die Freude daran vermitteln? Nicht anders ist es mit dem Schreiben. Es ist schon ein gelungener Zug unseres Rates gewesen, als er Ende des letzten Jahrhunderts die Stelle des Schulmeisters schuf. Übrigens ist nicht gesagt, dass du zu dessen Gehilfen überhaupt taugst. Über Wissen zu verfügen ist das eine, Wissen zu vermitteln aber ist das andere, das Schwerere.“

      Die Mutter legt dem Meister die Hand auf den Arm. „Darum müssen wir uns kaum Sorgen machen“, meint sie, „der Große hat seit jeher sein Wissen recht gut weitergegeben. Da hat er deutlich mehr Geschick als im Handwerk.“

      „Das hast du mir schon mehrfach gesagt, Mutter. Aber was hätte mir das bei unserem Tagewerk genützt? Von der Schulmeisterei wird man nicht satt, wenn die Eltern nicht gut zahlen. Gehört aber die Schule der Stadt, dann sieht das ganz anders aus, dann gibt es aus dem Stadtsäckel ein festes Handgeld.“

      Ruprecht folgt der Zwiesprache mit gefurchter Stirn. „Ihr seid gut. Eben hieß es noch, ihr wollt versuchen, mich als Stadtschreiber unterzubringen, da quält euch schon der Gedanke, wie ich zum Schulmeister werden könnte. Wäre es nicht erst einmal von Wichtigkeit, die Schritte bis zur Hochzeit zu klären? Wie soll das vonstatten gehen?“

      Tief atmet der Vater ein. „Deine Stelle als Stadtschreiber ist der erste Schritt, mein Sohn, denn bevor überhaupt die Eheschließung angebahnt wird, muss klar sein, wovon du deine Familie ernährst. Sobald du eingestellt bist, wird das Aufgebot bestellt.“

      „Und wenn ich die Stelle nicht bekomme, dann wird es nichts mit der Hochzeit?“

      „Erzähle doch nichts, der Roseler hat seine Hand darauf gegeben, dass es klappt.“ Entschlossen klopft der Vater mit den Knöcheln auf den Tisch, als könne er damit den Plan zum Fakt erheben.

      „Na, das lass ich mir gefallen!“, tönt es in diesem Augenblick vom Weidenrutenzaun herüber. „Erst habe ich gedacht, ihr säßet zum gemeinsamen Frühstück, aber nun scheint es mir eher wie zum Reichstag in der Kaiserpfalz.“ An der Pforte zeigt sich die gebeugte Gestalt Mutter Mechthilds. „Darf ich mich zu euch wagen oder störe ich gar zu sehr?“

      Mit staunenden Augen erwidert die Hausherrin: „Komm nur heran, Muhme. Nur selten führt dich dein Weg in die Stadt und nun kommst du gleich zweimal so kurz hintereinander? Das wird doch nichts Schlimmes zu bedeuten haben, hoffe ich.“

      Schwer atmend kommt die Alte näher. „Ach was, ich will nur nach dem Ruprecht sehen und ein wenig mit euch schwatzen. Das hatte ich eigentlich gestern Abend schon vor, aber du warst nicht zu Hause, Magdalena.“

      „Mein Weib darf doch auch einmal ausgehen“, mischt sich Hans ein. Ihm ist die Tante der Hausherrin immer etwas unheimlich und die Fähigkeiten, die ihm bei seiner Frau so gut gefallen, machen ihm bei der Alten eher Angst.

      „Keine Bange, lieber Hans, ich werde nicht lange bleiben. Aber meine Neugier musst du schon erst stillen und mein Geschwätz ertragen.“ Ein hohles Kichern folgt den durchaus nicht witzig gemeinten Worten. Leise ächzend lässt sie sich auf dem angebotenen Hocker nieder. „Ihr habt es euch hier recht gemütlich gemacht“, meint sie und beäugt aufmerksam das Umfeld. „Es ist der richtige Platz, um sich über die alten Zeiten und die Zukunft auszutauschen. Oder was meinst du, Magdalena?“

      Die aber weist das Ansinnen energisch zurück. „Das werden wir auf gar keinen Fall tun, Mutter Mechthild, denn das ist nichts für gespitzte Ohren neugieriger Töchter, welche die Zusammenhänge noch gar nicht zu erfassen vermögen. Du wirst uns also erst in aller Ruhe essen lassen und dann werden die Mädchen davonziehen.“

      Wütend klopft die Alte mit den Knöcheln auf die Tischplatte. „Ich weiß nicht, was du dir davon versprichst, Magdalena, aber du kannst deine Töchter nicht davor bewahren, dem Ruf ihrer Bestimmung zu folgen. Seit alters her sind die Weiber unserer Linie berufen, als weise Frauen dem Volk zur Seite zu stehen.“

      „Schweig endlich, Alte!“ Mit zorngerötetem Gesicht herrscht der Tischlermeister das Kräuterweib an. „Die Lena hat ausdrücklich gesagt, dass wir reden können, sobald die Jungfern fort sind. Was setzt du ihnen dann jetzt dieses vergorene Zeug sündhaften Geredes vor?!