Gerd vom Steinbach

Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen


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für die Eröffnung solchen Wissens gibt es nicht, Hans. Außerdem müssen die Jungfern spätestens jetzt erlernen, mit den Kräutern und Wurzeln umzugehen. Wenn man zu spät mit dem Lernen beginnt, dann bleibt nur Stückwerk haften und das kann zu großem Schaden führen.“

      Der von Zweifeln gefüllte Vater winkt wenig befriedigt ab. „Ich weiß nicht, warum du das tust und was du letztendlich bezweckst, aber es gefällt mir nicht, dass du meine zwei Töchter und meinen ältesten Sohn für dich beanspruchst. Was ist bei den Dreien anders als bei Paul, der dich glücklicherweise gar nicht kümmert?“

      Magdalena, die bleich und leeren Blickes der Auseinandersetzung gefolgt ist, nimmt jetzt wieder die Umwelt wahr und mischt sich ins Gespräch. „Da es nun einmal gesagt ist, können Lisa und Hannel auch den Rest unseres Geheimnisses erfahren: Die Muhme Mechthild hat es ganz richtig gesagt, ich stamme in direkter Linie von den weisen Frauen unseres Volkes ab, so wie die Mutter Mechthild auch oder vor Jahrhunderten eben die Mutter Hildburga. Wir erben unser Wissen von unseren Müttern und geben es an unsere Töchter weiter. So steht uns von Kindesbeinen an Wissen zur Verfügung, das andere Menschen nie erlangen können. Wir müssen nur lernen, dieses Wissen wahrzunehmen und richtig zu gebrauchen. All dies ist natürlich den Leuten um uns unbegreiflich und so vermeinen sie oftmals, Hexerei zu erleben. Darum verbergen wir größtenteils unsere Gabe, vor allem vor der Kirche, obwohl wir gute Christen sind.“

      Johanna, die bislang eher ehrfurchtsvoll dem Gespräch gefolgt ist, blickt mit großen, runden Augen auf die Mutter. „Was denn, bin ich etwa eine Hexe? Aber ich will niemandem etwas Böses antun und wenn ich schon einmal unartig bin, dann nicht aus Bosheit! Nie und nimmer will ich eine Hexe sein!“

      Ängstlich umfängt das Mädchen den Leib seiner Mutter und presst sich an sie. Diese aber fährt ihm tröstend über das Haar. „Natürlich bist du keine Hexe und du wirst niemals eine sein. Du bist auch nicht bös, sondern höchstens einmal ungezogen, so wie alle anderen Kinder. Aber du, deine Schwester und ich, wir haben altes Wissen unseres Volkes zu bewahren, vor dem andere Menschen vielleicht Angst haben, weil sie glauben, wir könnten mit diesem Wissen Macht über sie gewinnen. Deshalb soll von unserem Wissen nie jemand je erfahren, der nicht zu unserem Kreis gehört, noch nicht einmal unsere Nachbarn – auch nicht die Martha. Einzig, dass wir etwas von Kräutern und Wurzeln verstehen, das dürfen sie, denn dieses Wissen ist auch anderen Leuten gegeben.“

      „Ich habe aber nie bemerkt, dass ich mehr wüsste als andere“, wendet Elisabeth ein. Irgendwie erscheint ihr das Gespräch sehr unwirklich, eher wie ein seltsamer Traum und sie meint, gleich aufwachen zu müssen. Mutter Mechthild nickt ihr zu. „Das will ich dir gern glauben, denn all dein Denken und Tun ist dir selbstverständlich. Aber hast du nicht immer schon vorher gewusst, wenn die Chemnitz über die Ufer tritt, wenn im Juni der Hagelschlag die Ernte vernichten würde? Diese Gabe bleibt deinen Nachbarn vorenthalten. Wenn mich nicht alles täuscht, hast du sogar der Bertha, dem Weib vom Steinmetz Meier den Schmerz aus dem Kreuz genommen, als sie nicht mehr allein vom Brunnen hochkam. Glaubst du, das hätte die Elsa Lexmer gekonnt, die deine Freundin ist? Es wird höchste Zeit, dass ihr erlernt, mit diesen Gaben umzugehen, damit ihr nämlich keinen Schaden anrichtet.“

      Paul hat aufmerksam die Belehrung verfolgt und ohne es zu bemerken, sucht er mit dem kleinen Finger in der Nase ein störendes Kribbeln zu beseitigen. Dabei bemerkt er nachdenklich: „Bislang dachte ich immer, die Kenntnis der Herkunft unseres Volkes sei das Geheimnis unserer Familie und ich war sehr stolz, zu diesem illustren Kreis zu gehören. Nun aber wird mir offenbart, dass vielmehr die Weiber unserer Familie das Besondere sind und ich mehr oder weniger der Kehricht der Familie bin. Das schmeckt mir so gut wie Bitterkraut.“

      „Quatsch nicht solchen Unsinn!“, begehrt der Vater auf. „Weder du noch ich sind hier Kehricht. Wir sind als Schutz den weisen Frauen zur Seite gegeben und das ist Ehre wie Verantwortung genug. Du wirst darauf achten, dass deine Schwestern auch dann nicht verderben, wenn sie selbst eine Familie haben und deren Männer vielleicht nicht stark genug sind, ihre Weiber zu beschützen. Unklar ist mir nur, welche Rolle deiner Meinung nach unser Ruprecht spielt. Sag es uns, Mutter Mechthild.“

      Die Alte zupft sich verlegen am Ohr. „Nun ja, ganz sicher bin ich mir da noch immer nicht. Aber seit seiner Geburt sehe ich immer wieder Hinweise, dass er der Wiedergänger ist. Die Hildburga hat seinerzeit in Rudolf, dem Bauerngeneral, eine Sicherung zur Wahrung unseres Wissens hinzugefügt, weil sie den christlichen Priestern nicht so recht über den Weg traute. Alle paar Generationen erscheint er nun in neuer Gestalt und prüft, ob das Wissen noch vorhanden ist, welches uns mitgegeben wurde. Gleiches tut die alte Hildburga auch selbst und mir wurde nachgesagt, dass ich deren Inkarnation sei. Wenn es so wäre, bedeutete dies aber, dass heute die Gefahr besonders groß ist, alles Wissen zu verlieren.“

      „Es ist schon ein wenig gruselig, was du uns da erzählst“, bemerkt Paul und lehnt sich zurück. „Da habe ich einen etwas älteren Bruder und dann kommt jemand des Weges und behauptet, dass es sich um den schlappen Altersunterschied von über fünfhundert Jahren handelt. Das scheint mir etwas sehr weit hergeholt. Und was soll erst die Martha denken? Ist der Altersunterschied der Brautleute nicht arg groß?“

      Jetzt ist es Ruprecht nicht mehr möglich, sich aus dem Gespräch herauszuhalten. „Lasst mir die Martha aus dem Spiel! Von diesem ganzen Kauderwelsch will ich nichts mehr hören! Wenn hier ein Lauscher um die Ecke stand, wird es garantiert einen großen Hexenprozess geben und da kann ich mir auf alle Fälle Schöneres vorstellen.“

      Der Tischlermeister nimmt die Worte seines Ältesten als Abschluss der Debatte und erhebt sich. „Stimmt, es ist genug gesprochen. Mutter klärt noch mit Mechthild, wie die Mädchen an das nötige Kräuterwissen kommen. Der Paule geht mit mir nach Sankt Johannis ins alte Holzlager und Ruprecht versucht einen Rundgang durch die Gasse, damit er wieder auf die Beine kommt. Die Lisa und das Hannel helfen der Mutter, zuvor aber streichen sie die Stühle in der Werkstatt für den alten Pegnitzer!“ Entschlossen winkt er dem Zweitältesten, ihm zu folgen und wendet sich der Gartenpforte zu. Als auch die Töchter des Hauses verschwinden wollen, gebietet die Mutter Einhalt. „Es ist recht, wenn der Vater euch eine Aufgabe gestellt hat. Das heißt aber nicht, dass wir hier alles stehen und liegen lassen. Erst räumt ihr die Reste des Mahls ab, wie es sich gehört.“

      Die langgezogenen Gesichter der Schwestern zeigen deutlich, wie sie zu diesem Ansinnen stehen, jedoch die Miene der Mutter verrät die Sinnlosigkeit jeden Widerstandes und so tragen sie, wenig erfreut, die Schüsseln und Teller ins Haus. Inzwischen wendet sich Magdalena der Mutter Mechthild zu: „Ich fand es nicht gut, wie du dich in unser Familienleben eingemischt hast. War es nicht deutlich genug gesagt, dass die Mädchen außen vor bleiben sollten?“

      „Meine liebe Magdalena, du vergisst offensichtlich deinen Rang in der Hierarchie! Du kannst nicht einfach festlegen, was du wann und wie zu tun gedenkst. Wir haben eine wichtige Aufgabe übernommen und zu erfüllen. Wenn wir nachlässig werden, dann geht unser Wissen und damit die Seele unseres Volkes verloren! Wohin das führt, siehst du in deiner Umgebung am besten. Es gibt keinen Einklang mit der Natur, der Medikus hat nur Scheinwissen und doktert mit irgendwelchen Mittelchen herum, weil die Soutanenträger jede Mixtur als Hexenzauber verschreien und medizinische Forschung verbieten. Man hätte etwas von den Muselmanen lernen können als Konstantinopel an sie fiel, aber die nannte man des Satans, so wie auch uns. Also müssen wir klüger sein und für die nächste Generation bewahren. Deshalb werden Elisabeth und Johanna ab dem nächsten Montag bei mir den Gebrauch der Kräuter, Blüten und Wurzeln erlernen, du aber führst sie in die Magie der Steine, den Einfluss des Mondes und der Sterne ein, denn das verstehst du besser als ich. Es wäre doch gelacht, wenn wir aus diesen zwei zarten Pflänzchen nicht zwei mächtige Bäume des Wissens machen könnten, die den widerwärtigsten Problemen der Gegenwart und Zukunft zu widerstehen vermögen.“

      Magdalenas Sorge um die Töchter wird trotz des energischen Auftretens des Kräuterweibs nicht geringer. Sie befürchtet, dass die Mädchen von den Neuigkeiten überfordert sind. Immer waren sie als Bürger der Stadt groß geworden und nun sollten sie plötzlich nur noch zum Teil dazugehören? Werden sie weiterhin unbeschwert mit ihren Freundinnen spielen können? Tränen der Unsicherheit füllen ihre Augen. Ob ihre Mutter vor vielen Jahren vor dem gleichen Problem stand?

      Plötzlich