Gerd vom Steinbach

Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen


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weit vor der Stadt ihre Ware an den Mann brachten, ohne Steuern zu entrichten, immer war da ein Grund zum Schlagen und Hauen.

      „Schreiber muss man sein, da hat man Zeit, Maulaffen feilzuhalten!“, tönt es hinter Ruprecht, der erschrocken herumfährt. Drüben an der Brache, wo die Häuser von der Marktgasse und Am Sack durch das Dickicht zu sehen sind, lehnt sein alter Freund Kaspar lachend an einem Baum und dreht spielerisch seine blaue Kappe zwischen den Fingern. „Du musst ja ein schlechtes Gewissen haben, wenn du so erschrickst!“, meint er, „an sich ist es lange an der Zeit, das Tagewerk zu beenden. Möglicherweise ist das bei einem Schreiber anders. Der schläft vielleicht, bis die Sonne hoch am Himmel steht, weil die Herren vom Rat erst am Abend zusammentreten und dafür bis spät in die Nacht hinein beraten.“

      Ruprecht stemmt, scheinbar empört, die Arme in die Hüften: „Was traust du dich, den Stadtschreiber deiner Kritik zu unterziehen, Kerl?! Ich prüfe die Umsetzung all der Erlasse, die ich tagsüber zu Papier gebracht habe und sinniere, wie ich die braven Bürger dieser Stadt zu noch braveren Bürgern machen kann.“

      Indes sind die beiden jungen Männer beieinander angekommen und boxen sich gegenseitig auf die Oberarme. Es liegt inzwischen Monde zurück, dass sie sich zuletzt begegneten und so ist das Einvernehmen gegenseitig, sich ein wenig zu unterhalten.

      „Lass uns rüber zum Michael in die Schenke gehen und einen Krug leeren. Dabei können wir alte Erinnerungen aufleben lassen“, schlägt Ruprecht vor, „der alte Michael wird sich freuen, uns wieder einmal zu sehen. Es liegt ein paar Jahre zurück, seit wir immer bei ihm einkehrten.“

      „Einverstanden“, stimmt Kaspar zu, „außerdem ist die Schenke gleich dort drüben.“ Sich gegenseitig an den Schultern umfassend ziehen sie die Bretgasse hinunter, dem Wirtshaus zu.

      Die Gastwirtschaft des alten Michael ist nicht zu vergleichen mit dem Gasthof „Zum Ritter St. Georg“ in der Langgasse, weder hinsichtlich der Größe noch der Anzahl der Gäste. „Zum Ross“ nennt sich das Wirtshaus des Michael und ist eher ein Geheimtipp der Städter, während im „St. Georg“ vorwiegend die Händler einkehren. Hier ist nichts nobel, hier ist es vor allem bequem und praktisch. Auf alte Fässer wurden die Platten genagelt und dies sind nun die Tische. Man sitzt auf Schemeln und lehnt sich an die Wand. Weniger bequem ist es für den Gast, der nicht an der Wand sitzt. Dem bleibt nichts übrig, als das Kinn mit der Hand zu stützen.

      In der Gaststube liegt das ebenmäßige Murmeln der Gespräche an den Tischen. Bedächtig schlurft der Wirt mit einem Krug Bier zwischen den Gästen hindurch, wobei er den Neuankömmlingen zunickt, ihnen dabei einen Platz in der Ecke mit dem Kinn zuweisend.

      Gerade haben sich die Freunde niedergelassen, da steht der alte Michael auch schon am Tisch und stellt vor jeden einen Krug Bier. „Willkommen in meinem Hause! Ich dachte schon, ich sei Euch nicht mehr gut genug, meine Herren. Ist meine Wirtschaft zu schlicht für so feine Herren oder lassen es die Weiber nicht mehr zu, meine Gäste zu sein?“

      Kaspar nickt: „Wie soll es auch anders sein? Kaum hat man ein Weib heimgeführt, schon wird der Gang zum Wirtshaus zum Kampf mit tausend Hindernissen. Das wird dir der Ruprecht sicher bestätigen. Bei mir sieht das noch anders aus, ich war nur eben lange nicht mehr hier in der Stadt. Ich war im Badischen und habe ein wenig von der Welt geschnuppert. Nun will ich meinen Meisterbrief erwerben und dann werde ich hier Schuhe machen, besser als es mein Vater je gekonnt hat.“

      Der alte Michael schnieft ein wenig. „Wie willst du deinen Vater übertreffen, er ist der beste Schuhmacher, den wir hier je hatten. Dir fallen doch höchstens Schuhe ein, deren Spitzen noch weiter nach oben gebunden sind, dass man kaum damit laufen kann.“

      Der junge Schuhmacher winkt ab. „Die Schnabelschuhe sind nur äußerlich anders. Was ich neu kennengelernt habe, das ist die Machart der Sohlen. Sie müssen dem Fuß angepasst sein und sich anschmiegen, gleichzeitig aber auch Halt geben und da sind uns die Badener voraus.“

      Ruprecht lässt den linken Brauen nach oben schnellen: „Was willst du damit sagen, alter Bierpanscher?! Ist der Vater meines Weibes vielleicht ein Stümper und sind seine Schuhe nicht zum Gehen geeignet?“

      Erschrocken weicht der alte Wirt zurück, hatte er doch den alten Roseler ganz vergessen und nun fühlt sich dessen Tochters Mann genötigt, für diesen das Wort zu ergreifen! Krampfhaft überlegt er, wie er den Schaden aus der Welt schaffen kann. Sein Kehlkopf springt aufgeregt auf und ab und sein Blick sucht verzweifelt um Hilfe bei Kaspar nach, der seinerseits aber nur spöttisch den Mund verzieht und vor sich hin murmelt:

      „Als Ehrenmann und guter Christ

      Will ich Jesu Worte wagen

      Sonst würd ich wohl ein Stümper sein,

      Und müsst groß Armut ertragen!“

      „Seht es nicht so ernst, meine Herren!“, fleht der alte Michael. „Des Roselers Schuhwerk steht dem des Meister Schumann in der Chemnitzer Gasse mitnichten nach, ich wollt nur deutlich machen, dass nicht neues Zeug vermag, die alte Handwerkskunst zu vernichten!“

      „Verrenk dir nicht das Maul, Michael, sonst wird dein Bier sauer! Wir wissen selbst recht gut, dass Handwerkskunst nicht zu ersetzen ist!“, sucht Ruprecht Ruhe in den Wortwechsel zu bringen. „Doch in einem hast du ganz sicher unrecht: neues Zeug vernichtet durchaus alte Handwerkskunst. Frag mal die Steinmetzmeister, die im Morgenland waren, zu welchen Leistungen die Meister in grauer Vorzeit in der Lage waren, die heute keine Menschenhand mehr zu erschaffen vermag!“

      Gelangweilt gähnt Kaspar hinter der hohlen Hand. „Du nimmst mir mit deinem Geschwätz die ganze Freude am Abend, Schreiberling! Wie soll ich dem Alten jetzt noch ein Freibier abschwatzen. Es hatte sich gerade so schön angelassen und da bringst du dein Friedensgeschwätz ins Spiel. Nun, so gehen die nächsten zwei Krüge aus deiner Geldkatze!“

      „Träume nur nicht zu fest!“, wehrt sich der so Gescholtene, „Meine Martha wird mir den Strohsack vor die Tür legen, wenn ich die sauer verdienten Gulden in deine Kehle fließen lasse. Glaube nicht, dass ich dies zulasse, zumal es in unserer Stube so herrlich wild zugehen kann.“

      Während sich der Wirt nun geflissentlich zurückzieht, legt Kaspar seine Hand auf Ruprechts Arm: „Was denn, du hast dir wirklich Roselers Martha geangelt, die Zierde hinter der Bach und die Rose der Chemnitzer Schuhmacherzunft?“

      „Nun bleib mal ganz ruhig“, wehrt dieser energisch ab, „die Martha musste ich nicht angeln, sie hat eher mich eingefangen und dein Wortspiel kannst du vergessen!“

      „Wie soll ich das verstehen? Ich weiß nicht, was du meinst mit dem Wortspiel.“ Kaspars Miene zeugt von ehrlicher Ratlosigkeit.

      „Na, Rose der Schuhmacherzunft! Sie ist eine geborene Roseler – darin steckt die Rose und deine Familie nennt sich Schumacher, nach dem Handwerk eben. Rose der Schuhmacher würde dann heißen, dass die Martha dein wäre und das kannst du dir ganz sicher aus dem Kopf schlagen, bevor ich das für dich übernehme!“

      Laut dröhnt das Lachen aus Kaspars Kehle durch den Schankraum, dass die anderen Gäste irritiert herüberblicken. Schnell nimmt er einen großen Schluck aus dem Krug, den er jedoch sogleich wieder prustend auf die Binsen auf dem Boden verliert. Als die Lachattacke dem Freund dann doch zu lange währt, schlägt dieser ihm mit der flachen Hand wenig zartfühlend zwischen die Schulterblätter. „Kannst dich wieder beruhigen, aber ich kenne dich von früher her, dir war kein Weib gleichgültig und wenn ich mich recht entsinne, warst du nicht schon als Knabe gerne mal vor der Stadt bei den Hübschlerinnen?“

      Kaspar schnappt mit noch immer rotem Kopf nach Luft, prustet noch einmal kurz und findet endlich wieder zu sich selbst. „Ich war gewiss schon immer ein Schwerenöter, das stimmt. Des Weibes edle Kurven haben mich von Kindesbeinen an fasziniert. Aber dass ich Wortspiele verwende, um mir deren Gunst zu erschleichen, das liegt mir nun gar nicht. Nee, ich gönne dir das Glück mit der Martha von Herzen, die Rose der Schuhmacherzunft wurde sie vor ein paar Jahren genannt, weil sie bei unseren Zunftfesten immer so besonders reizend aussah, gleichzeitig aber auch jede Annäherung unmöglich machte – so wie eine Rose eben sticht.“

      Ruprecht nickt