Helga Dreher

Das Torhaus


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Er trug eine Krawatte, die man nur abenteuerlich nennen konnte – Regenbogenfarben mit aufgedruckten Gegenständen. Alma konnte Autos, Bohrmaschinen, Hämmer und Schrauben erkennen.

      „Darf ich vorstellen, Dr. Rottloff, Senioranwältin dieser Kanzlei – Frau Winter, unsere Klientin in der Torhaussache. Und Jörg Vollmer, unser Anwaltssekretär. Nun ja, es nennt sich heute anders, wie doch gleich, Jörg?“

      „Rechtsanwaltsfachangestellter. Aber, Sie wissen doch, Dr. Lenk, Anwaltssekretär ist schon in Ordnung – passt auch gut zu unserer holzgetäfelten Kanzlei. Darf ich Ihnen etwas anbieten, Frau Winter, Tee, Kaffee, Wasser? Oder Kombinationen davon?“

      Alma war erleichtert über den freundlichen und lockeren Ton, mit dem sie begrüßt wurde. Sie lächelte dem jugendlichen „Sekretär“ zu, bat um Kaffee und Wasser und schaute zu der Frau, die als Dr. Rottloff vorgestellt worden war. Von wegen, typische Sekretärin, dachte sie, da bist du möglicherweise um ein tiefes Fettnäpfchen herumgekommen, Alma.

      Die Anwältin schaute sie jetzt konzentriert an und sagte in leicht verändertem, nun recht sachlichem Ton: „Frau Winter, geben Sie doch bitte Herrn Vollmer noch Ihren Personalausweis. Darf ich Sie dann in mein Büro bitten? Herr Lenk und ich werden jetzt das Testament eröffnen. Keine Bange“, fügte sie hinzu, als ob sie Almas Anspannung spürte, „Sie müssen zunächst nur zuhören. Und glauben Sie mir, nichts Schlimmes kommt auf Sie zu. Eher das Gegenteil.“

      Die letzten Worte klangen aufmunternd und weniger formell, so dass Alma innerlich noch ein wenig mehr aufatmete. Ein Tablett mit Thermoskanne, Wasserflasche, Geschirr und einem Teller mit Keksen wurde von Sekretär Jörg mit der Andeutung einer Verbeugung auf den Tisch gestellt, und Dr. Lenk bat Alma Platz zu nehmen. Er verteilte Tassen und Gläser, goss Wasser und Kaffee ein und ermunterte sie zuzugreifen. Dr. Rottloff holte indessen eine dünne Akte von ihrem Schreibtisch. Sie setzte sich gegenüber, öffnete die Akte, nahm einige lose Blätter in die Hand und begann, den Text zu verlesen.

      KAPITEL 3

      „Eine Bohnensuppe, und danach den Bauernsalat. Dazu nehme ich ein Wasser und ein Viertel von Ihrem Hauswein … Ja, vom Roten bitte.“

      Alma saß im griechischen Restaurant am anderen Ende der Busbahnhofstraße. Es befand sich direkt gegenüber einer Kirche, die Alma am Mittag nicht aufgefallen war. Sie war wohl von den Laubbäumen verdeckt gewesen.

      Der Platz unmittelbar vor der Kirche, war eher eine verbreiterte Fahrbahn und Alma hatte Mühe gehabt, eine Lücke im lebhaften Feierabendverkehr zu finden, um wieder in die Hoffmannvon-Fallersleben-Straße zu gelangen. Das Kirchenportal war geöffnet gewesen, aber Alma hatte nach einem kurzen Blick ins Innere beschlossen, sich später etwas mehr Zeit für die Besichtigung zu nehmen. „Herz-Jesu-Kirche“ hatte sie im Schaukasten mit den Ankündigungen noch gelesen, und dass es eine katholische Kirche war. Alma war jetzt stärker von dem schneeweißen antiken Torbogen angezogen worden, der – auf Gasbetonsteinen ruhend – den Eingang des Restaurants umrahmte. Immerhin, hatte sie gedacht, so wusste man schon von Weitem, welche Küche einen erwartete.

      Jetzt saß sie im gemütlichen Erker der Gaststätte, und Wein und Wasser waren inzwischen gebracht worden. Außer ihr war nur ein weiterer Gast da, der sich gerade angeregt mit dem Wirt, oder Kellner, unterhielt – wohl einer der Stammgäste. Alma saß plötzlich ganz still und ihr wurde erneut ein wenig schwindlig bei dem Gedanken an das, was ihr heute passiert war. Nun gut, passiert im eigentlichen Wortsinn war nichts, aber geschehen schon, ihr geschehen nämlich.

      Dr. Rottloff und Dr. Lenk hatten ihr in Einzelheiten erläutert, was in dürren juristendeutschen Sätzen in jenem Brief stand: Sie hatte geerbt. Sie war Ewald Arnheims Alleinerbin. Sie hatte ein Haus in Weimar geerbt, das Torhaus in der Erfurter Straße Nummer eins.

      Dem Verlesen des Testaments hatte sie zwar akustisch folgen können, aber der Text enthielt neben verständlichen Teilen solche, deren Sinn sie entweder nur ahnen konnte oder überhaupt nicht verstand. Die beiden Anwälte hatten Almas Fragen danach geduldig beantwortet.

      Sie würde Besitzerin des Torhauses werden. Zum einen bestünde das Erbe aus einem Geldfonds, aus dem sie Zahlungen erwarten dürfe. Ja, dies würden regelmäßige Zahlungen sein, die für eine festgelegte Zeitspanne ihren Unterhalt absicherten. Eine Art Gehalt. Zum anderen würden dies unregelmäßige, zweckgebundene Zahlungen sein, die sie nach Belieben und Notwendigkeit abrufen könne. Der Zweck war die vollständige und sorgfältige Restaurierung des Torhauses. Richtig, das würde für absehbare Zeit ihre Aufgabe sein und dafür bekäme sie ihr „Gehalt“. Danach könne sie natürlich, wenn sie wolle, auf Lebenszeit im Torhaus wohnen, denn es sei ja ihr Eigentum. Die Gehaltszahlungen an sie würden nach beendeter Sanierung zwar eingestellt. Für den Unterhalt des Gebäudes, für später notwendige Reparaturen und bauliche Maßnahmen allerdings sei finanziell vorgesorgt, da müsse sie sich keine Sorgen machen.

      Die Kanzlei stünde ihr außerdem als juristische Begleitung bei Bedarf zur Seite (Vertrauen weckender Blick aus zwei Anwaltsaugenpaaren). Auch dafür sei die Kostenfrage bereits mit dem Testament geklärt. Ihr Ansprechpartner wäre Dr. Lenk, und sie möge in allen Fragen und bei allen möglichen Problemen nicht zögern, ihn anzusprechen.

      Ihr Gehalt würde der Aufgabe angemessen bestimmt. Ewald Arnheim hätte diesen Aspekt in die Hände der Kanzlei gelegt, um auf Veränderungen reagieren zu können, die Zeit und gegebenenfalls Inflation nach Abfassung des Testaments mit sich gebracht hätten und noch bringen könnten. Dr. Rottloff hatte eine Summe genannt, die sie ob ihrer komfortablen Höhe kurz schlucken ließ. Zwar hatte Alma versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber sie war sich sicher, dass ihr anschließendes tiefes Luftholen nicht unbemerkt geblieben war.

      Über ihren Onkel könne man ihr über die Aktenlage hinaus nicht viel mehr sagen. Seine letzte Postadresse sei Weimar gewesen. Das Testament sei auch in dieser Kanzlei, die gleichzeitig Notariat war, hinterlegt worden, die letzte Fassung Ende der neunziger Jahre. Damals habe der Vater der Anwältin, Dr. Rottloff Senior, die Kanzlei noch geführt. Vielleicht erinnere er sich ja an Einzelheiten. Bei Wunsch könne man bei ihm anrufen und Alma gegebenenfalls einen Termin vermitteln. Alma hatte bei „Wunsch“ heftig genickt.

      Und, das solle sie immer vor Augen haben, natürlich könne sie die Erbschaft ausschlagen. Es gäbe da eine gesetzlich bestimmte Frist, die ihr das Nachlassgericht mitgeteilt hätte. Für diesen Fall wären im Testament weitere Vorkehrungen getroffen, die mit ihr, Alma, allerdings nicht besprochen werden müssten.

      ❧

      „Die Bohnensuppe – und guten Appetit!“

      Alma dankte dem Wirt und widmete sich dem Essen. Es war eine dunkelrote kräftige Suppe mit großen weißen Bohnen darin. Dazu gab es Weißbrot. Sie nahm einen weiteren Schluck vom Rotwein und spürte, wie der Alkohol wirkte und ihr ein Gefühl von Wärme und nunmehr wohligen Schwindels vermittelte.

      Genau genommen war das vermeintliche Problem doch ein ganz angenehmes, dachte sie, während sie die Suppe löffelte. Sie würde für die Zeit der Sanierung keine Geldsorgen haben. Sie hätte eine Aufgabe, von der sie allerdings im Moment keinerlei konkrete Vorstellung besaß. Nun, das würde sich zeigen. Ein denkmalgeschütztes Gebäude wäre zu sanieren, da sollten doch Fachleute und Handwerker zu finden sein, die das in ihrem Auftrag und mit Onkel Ewalds – nein ihrem, Almas – Geld würden erledigen können.

      Sie malte sich aus, wie es sein würde, wenn sie in das fertige Haus einziehen könnte. In ihr eigenes Haus! Das Zimmer im Obergeschoss würde ihr Schlafzimmer werden. Nun gut, ein Vorhang vor dem Fenster würde sich nötig machen, die Bewohner des gegenüberliegenden Hauses hätten sonst ungehinderte Sicht in ihr Allerheiligstes. Unten würde sie eine große offene Wohnküche einrichten, mit einer Kochinsel, wenn es der Platz zuließe, und einem großen Tisch für viele Gäste. Solche Küchen sah man in Zeitschriften, mit modisch gekleideten schlanken Frauen am Herd, oder neuerdings auch öfter mit gut aussehenden Mittdreißigern männlichen Geschlechts, die ihrer Liebsten – in mutigen Einzelfällen ihrem Liebsten – oder wahlweise einer Gruppe fröhlicher Freunde zulächelten und gleichzeitig mit den frischsten und buntesten Zutaten etwas Exotisches kochten.

      Wie beim Stichwort genommen brachte der Wirt