Christian Macharski

Die Geliebte des Mörders


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verzweifelter Versuche nicht geschafft, Marlene in den ersten Stock zu tragen, aber das hatte nicht an ihm gelegen, sondern daran, dass seine Frau schon damals kein Leichtgewicht war. Heute würde ihm ohnehin jeder verantwortungsvolle Orthopäde von solchen Aktionen abraten.

      Keuchend erreichte Will den oberen Treppenabsatz. Als er in das Zimmer sah, in dem Richard Borowka gerade einen neuen Bohrer in die Bohrmaschine einspannte, fragte er sich, warum er sich diesen Stress auf seine alten Tage überhaupt noch antat. Den ersten Stock hatte er in den letzten Wochen mithilfe von Freunden und Bekannten zu Pensionszimmern umgebaut. Mit Ausnahme des eigenen Schlafzimmers waren nun alle Räume in Gästezimmer verwandelt worden. Tochter Sabine hatte gleich zwei Kinderzimmer mit Verbindungstür besessen, es gab das alte Bügelzimmer und auch Wills Großeltern hatten bis zu ihrem Tod im großzügigen Obergeschoss gelebt. Wenn es in diesem Bauernhof an einem nicht mangelte, dann an Wohnraum. Erst recht, wenn man sich, wie Will, um lästige Formalitäten wie Baugenehmigungen wenig scherte.

      Der Umwidmung der Räumlichkeiten in Hotelzimmer waren intensive Gespräche vorausgegangen, in denen Marlene Hastenrath ihren Mann davon überzeugt hatte, dass die Landwirtschaft in der Form, in der sie sie betrieben, auf lange Sicht nicht mehr zum Leben reichen würde. Gegen die industrielle Landwirtschaft war als kleiner bäuerlicher Familienbetrieb mit ein bisschen Viehwirtschaft und einem kleinen Kartoffel-ab-Hof-Verkauf einfach nicht anzukommen. Und so waren, dank intensiver Nachbarschaftshilfe, innerhalb kürzester Zeit vier rustikale Gästezimmer entstanden, mit allem, was nötig war, um eine Anerkennung als Hotel Garni zu erhalten. Um den Papierkram hatte Marlene sich gekümmert. Sie würde später auch die Leitung der Frühstückspension übernehmen, während Will für die Bespaßung der jüngeren Gäste eingeplant war. Seiner Frau schwebten dabei zwar Dinge wie Schweinefüttern oder Stallausmisten vor, aber Will hatte noch weit mehr auf Lager. Seinen Vorschlag, als besonderen Freizeitspaß ein Bananenboot hinter seinen Hanomag zu hängen und mit den Kindern darauf über die Felder zu rasen, hatte seine Frau zwar aus Sicherheitsgründen verworfen, aber er hatte noch viele andere gute Ideen. Die Kleinen könnten ihm zum Beispiel helfen, Kälbchen aus der Kuh zu ziehen, oder sie könnten ihm bei der Handbesamung assistieren oder heimlich die Spritzen mit den Wachstumshormonen aufziehen. Es gab so viel zu entdecken auf einem Bauernhof. Will hatte sogar darüber nachgedacht, als besondere Attraktion wieder Hühner anzuschaffen. Nicht nur das Eiersuchen hatte seinen Enkelkindern immer große Freude bereitet, sondern auch das Schlachten der Tiere. Wie oft war ein geköpftes Huhn noch sekundenlang herumgelaufen? Manche waren sogar noch bis aufs Dach geflattert. Für seine beiden Enkelkinder, Kevin-Marcel und Justin-Dustin, die früher fast täglich auf dem Hof gespielt hatten, war das immer wieder ein Heidenspaß gewesen.

      Die Eröffnung von „Wills Wald- und Wiesenparadies“ stand unmittelbar bevor, wobei Marlene noch Bedenken hatte, es bei diesem Namen zu belassen. Sie wollte lieber bescheidener und im Stillen starten, um sich langsam an ihre neue Aufgabe heranzutasten. Will hingegen plante eine große Eröffnungsparty, zu der er sogar versuchen wollte, den Landrat als Festredner einzuladen. Kein leichtes Unterfangen, hatte sich doch das ohnehin belastete Verhältnis zum obersten Kommunalbeamten des Kreises Heinsberg noch weiter verschlechtert durch die unglücklichen Vorfälle bei der Verleihung des Verdienstordens nach dem letzten erfolgreich gelösten Kriminalfall, bei der Will den Spitzenpolitiker aus Versehen in eine peinliche Situation und damit auf sämtliche Titelseiten des Landes gebracht hatte. Aber auch für den Fall, dass der Landrat ihm immer noch böse sein sollte, obwohl dieser nicht nur sein Parteikollege, sondern Will als Ortsvorsteher von Saffelen sogar fast eine Art Amtskollege war, hatte der Landwirt vorgesorgt. Festredner hatte er genug andere in petto, dazu plante er ein großes Feuerwerk und eine Hoffete, auf der er zum großen Finale die Cover-Rockband „Top Sound“ auftreten lassen wollte. Für die hatte Will sich entschieden, weil sie mit Abstand die Billigste war und ihre eigene Anlage mitbrachte.

      Doch bevor es so weit war, galt es noch, die letzten Restarbeiten zu erledigen. Richard Borowka hatte sich extra, um Will zu helfen, bei seinem Arbeitgeber Auto Oellers für zwei Wochen krankschreiben lassen. Die Zeit drängte, da er ab Montag wieder würde arbeiten müssen. Leider hatte Saffelens bester Schwarzarbeiter keinen guten Tag erwischt. Schon zweimal hatte er im Lauf des Vormittags eine Stromleitung angebohrt, woraufhin der FI-Schalter im Keller herausgeflogen war. Entsprechend außer Atem war Will, nachdem er zum wiederholten Mal die Treppe rauf- und runtergegangen war. Abgekämpft lehnte der Landwirt nun im Türrahmen und beobachtete, wie Borowka den Bohrer mit dem Bohrfutterschlüssel fest anzog, um die Haken für den Badezimmerschrank anzubringen. „Ich hoffe, diesmal triffst du besser. Ich wollte nämlich irgendswann mal fertig werden“, sagte Will.

      „Keine Panik“, antwortete Borowka gelassen, „so doof kann ja keiner sein, dreimal hintereinander eine Stromleitung zu erwischen. Hör mal, Will, ich hab gesehen, dass in das Haus, wo der Kommissar Kleinheinz damals gewohnt hat, neue Leute eingezogen sind. Ist das verkauft?“

      Will zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Marlene versucht gerade, das rauszufinden. Es hat ja jetzt lange leer gestanden und leicht ist das bestimmt nicht zu verkaufen mit die tragische Vorgeschichte.“

      „Das Mordhaus!“, murmelte Borowka und seine Nackenhaare stellten sich auf, als er an die dramatischen Ereignisse dachte, die sich vor nunmehr drei Jahren dort zugetragen hatten. Er sah Will an. „Hast du eigentlich jemals wieder was von der Kleinheinz gehört?“

      „Nee, nix. Nach die schlimme Sache mit seine Verlobte war der total verändert. Ich hab dem danach nur noch zweimal getroffen, bevor der weggezogen ist. Und das auch nur zufällig, wie der seine Sachen aus dem Haus am Holen war. Ein Bekannter von mir, beziehungsweise der Kegelbruder von dem sein Schwager, der ist auch bei der Polizei in Heinsberg beschäftigt und der hat erzählt, dass Kleinheinz zum LKA Hessen gegangen wär. Aber bei mir hat der sich nie mehr gemeldet.“

      „Der war ja immer was komisch. Typisch Zugezogener“, konstatierte Borowka und hakte das Thema damit für sich ab.

      Wills Gedanken jedoch kreisten noch etwas länger um die Vergangenheit. Obwohl er sich nie viel aus Gefühlen gemacht hatte, war ihm die Geschichte mit Peter Kleinheinz sehr nahe gegangen. Gemeinsam hatten sie viele schwierige und lebensgefährliche Situationen erlebt und waren am Ende sogar Freunde geworden. Der grußlose Abschied des Kommissars hatte den Landwirt getroffen. Mittlerweile waren zwar schon drei Jahre vergangen und in das kleine Dorf Saffelen war zum Glück längst wieder Ruhe eingekehrt, aber Will hing der verrückten Zeit gedanklich noch oft nach. Schließlich war es auch die aufregendste Zeit seines Lebens gewesen. Um sich abzulenken, fragte er: „Wie geht es eigentlich Rita und der kleine Jerome? Die sind doch jetzt bestimmt schon anderthalb Wochen weg, oder?“

      Rita war die Frau von Borowka und Jerome der zweieinhalbjährige Sohn. Die Beiden befanden sich in Mutter-Kind-Kur, weil die ungeplante, späte Elternschaft zu Spannungen und Überforderungen geführt hatte. Insbesondere Borowka hatte sich mit seiner neuen Rolle als Vater schwergetan. Verantwortung lag ihm nicht besonders. Rita hingegen ging zwar in ihrer Rolle als Mutter auf, aber auch sie hatte die Veränderungen, die die Geburt mit sich brachte, unterschätzt. „Sieben Tage sind die jetzt weg“, sagte Borowka. „Wir telefonieren aber jeden Tag und Rita geht es schon viel besser. Und – ganz ehrlich – mir auch. Es hat sich die ganze Zeit immer nur noch alles um der Jerome gedreht. Ich konnte gucken, wo ich bleib. Aber das Schlimmste war, dass ich mit der Verlust von mein Ford Capri ganz alleine fertig werden musste. Und jetzt? Was ist nur aus mir geworden? Ich fahr jetzt ein VW Passat.“

      Tränen stiegen ihm in die Augen, während Will ihm väterlich die Hand auf die Schulter legte. „Das wird schon wieder. Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Ich bin damals auch ganz unerwartet Vater geworden. Gut, nicht so unerwartet wie Josef von Josef und Maria“, er lachte über seinen spontanen Scherz, wurde aber gleich wieder ernst, „aber trotzdem. Ich weiß, was das für eine Umstellung ist. Du musst dir vorstellen, damals, wie die Marlene mir eröffnet hat, dass sie schwanger ist, da war ich ja noch wie ein wilder, ungesattelter Hengst auf der Koppel. Und auf einmal war alles vorbei. Ich kann mich noch gut erinnern, wie die Marlene für mich sagte: ‚Wir sind bald zu dritt.‘ Da war mein erster Gedanke: ‚Ach du Scheiße – Schwiegermutter zieht bei uns ein.‘ Aber zum Glück war Marlene nur schwanger … Auf jeden Fall, was ich damit sagen will: Es könnte immer noch schlimmer kommen.“