Christian Macharski

Die Königin der Tulpen


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seine Chance, ließ Fredi stehen und lief, so schnell seine Gummistiefel es ihm erlaubten, auf den Kommissar zu. Schon von Weitem rief er: „Hallo Herr Kleinhans. Hallo.“

      Als dieser ihn erkannte, verdrehte er die Augen und wandte sich an seinen Kollegen: „Jochen, geh doch schon mal rein. Ich komm gleich nach. Ich muss hier noch was klären.“ Der Kollege in Zivil tippte sich verstehend mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und folgte dem Streifenbeamten in den Tante-Emma-Laden.

      In der Zwischenzeit war Will schnaufend angekommen. Während er noch nach Luft schnappte, begrüßte Kleinheinz ihn mit einem gequälten Lächeln: „Hallo Herr Hastenrath. Das hätten Sie aber auch nicht gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen, oder? Geht’s Ihnen gut?“

      „Schlechte Leute geht es immer gut“, versuchte Will einen Scherz, während er immer noch Atem schöpfte. Als er bemerkte, dass der Kommissar nicht darauf einstieg, fuhr er seriös fort: „Ja, Herr Kommissar. Ich habe bis zu Ihre Ankunft der Tatort abgeriegelt und die Schaulustigen ferngehalten. Ich würde sagen, wir gehen jetzt mal rein, für uns zu informieren, was genau passiert ist.“

      Freundlich, aber bestimmt antwortete Kleinheinz: „Ich gehe jetzt mal rein. Und Sie gehen am besten nach Hause. Sie können hier nichts tun.“

      „Ja, aber, Herr Oberkommissar ...“

      „Hauptkommissar!“, Kleinheinz’ Augen verengten sich zu Schlitzen. „Tut mir leid, Herr Hastenrath. Es handelt sich um einen polizeilichen Tatort. Ich darf Sie da nicht mit reinnehmen. Schon mal gar nicht, bevor die KTU da war.“

      „Wer?“

      „Die Spurensicherung. Hören Sie, Herr Hastenrath. Wir haben es hier mit einem Raubüberfall zu tun. Es ist von einer Schusswaffe Gebrauch gemacht worden und es gibt einen Verletzten. Und ich muss jetzt schnell da rein.“

      Will war wie betäubt. „Schüsse? Verletzte? Herr Kommissar. Das geht nicht. Sie müssen mir sagen, was los ist. Ich habe als Ortsvorsteher ein Recht dadrauf, etwas zu erfahren. Was meinen Sie, was hier im Dorf los ist, wenn ...“

      Der Zivilkollege erschien in der Ladentür und rief: „Peter! Ich glaube, das solltest du dir mal ansehen.“

      Kleinheinz wendete sich ab und ging, aber Will blieb dicht hinter ihm. „Herr Kommissar, bitte!“

      Kleinheinz blieb abrupt stehen und sah den Landwirt scharf an. „Gut, Herr Hastenrath. Wir machen es folgendermaßen. Ich mache meine Arbeit und Sie gehen nach Hause. Wenn ich hier fertig bin, komme ich zu Ihnen auf den Hof und sage Ihnen alles, was Sie wissen müssen. Okay?“ Will nickte eingeschüchtert.

      „Ach, und noch was“, fuhr der Kommissar fort. „Nehmen Sie Ihren Feuerwehrfreund Jackels mit, bevor der noch was kaputt macht. Meine Beamten haben die Lage auch so im Griff.“ Er deutete auf den Löschmeister, der sich gerade bei dem Versuch, noch mehr Flatterband zu spannen, verhedderte.

      „Aber Herr Kleinheinz. Das ist eine freiwillige, ehrenamtliche Amtshilfe, die der Herr Jackels hier in seine Freizeit anbietet.“

      Der Kommissar verschwand wortlos im Laden.

       2

      Samstag, 11. Juli, 10.04 Uhr

      Richard Borowka lehnte gelangweilt an der Küchenzeile und telefonierte mit seinem Handy. Er sah abwechselnd aus dem Fenster und auf seine nackten Füße, die in blau-weißen Adiletten steckten. Sein Gesprächsanteil beschränkte sich auf einige „Ahs“ und „Ohs“, die er einwarf, ab und zu auch mal ein „Echt?“. Am anderen Ende des Telefons überschlug sich ein aufgekratzter Fredi Jaspers, der von dem Überfall auf den Tante-Emma-Laden berichtete. Mittlerweile waren immer mehr Einzelheiten an die Öffentlichkeit gedrungen. Als der Laden überfallen worden war, hatten sich Inhaber Hans-Peter Eidams und eine Kundin im Laden befunden. Ein maskierter Mann war in den Laden gestürmt und hatte die Kasse leer geräumt. Als Hans-Peter sich zur Wehr setzte, hatte der Maskenmann auf ihn geschossen und ihn verletzt. Wie schwer, hatte Fredi noch nicht herausbekommen. Borowka, wie ihn der Einfachheit halber alle nannten, war offenbar nur mäßig interessiert an den Neuigkeiten. Er hatte zurzeit ganz andere Probleme, über die er mit Fredi aber nicht sprechen wollte. Dabei waren Fredi und Borowka seit der gemeinsamen Schulzeit die engsten Freunde. Aber selbst wenn Borowka mit ihm darüber hätte sprechen wollen, in diesem Telefonat wäre er ohnehin nicht mehr zu Wort gekommen. Denn mittlerweile war Fredi zu seinem Lieblingsthema gewechselt: Martina. In epischer Breite folgte ein Bericht über die gescheiterte Fahrt ins Phantasialand und seinen neuen Plan, am morgigen Sonntag essen zu gehen. Ob er und Rita Lust hätten, mitzukommen. Oh Gott, dachte Borowka. Auf nichts hatte er im Moment weniger Lust. Deshalb fiel er Fredi schroff ins Wort: „Oh, Fredi. Da kommt gerade ein wichtiger Anruf rein. Lass uns später noch mal quat schen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte er das Gespräch weg und atmete erleichtert durch. Dann wählte er eine Nummer mit holländischer Vorwahl. Als nach längerem Klingeln am anderen Ende abgehoben wurde, wechselte Borowkas Stimmlage in ein Flüstern: „Hör zu. Da ist leider was schiefgelaufen. Ich muss ein bisschen aufpassen. Wir müssen ein neuer Treffpunkt ausmachen. Ich ruf dich wieder an.“

      Als er das Gespräch gerade weggedrückt hatte, hörte er ein Räuspern, schaute auf und sah seine Frau Rita in der Tür stehen. Borowka hatte keine Ahnung, wie lange sie schon dort gestanden hatte.

      Rita hob eine Augenbraue. „Wer war denn dran?“ Sie trug einen bequemen Jogginganzug in Pink und Flip-Flops mit leichten Absätzen, die ihre rot lackierten Fußnägel mit den aufgeklebten Strasssteinchen optimal zur Geltung brachten. Ihre wasserstoffblonden Locken hatte sie zu einem Dutt zusammengesteckt.

      „Wie? Wer war dran? Darf ich nicht mehr telefonieren, oder was? Noch nie was von Privatfähre gehört?“, schnauzte Borowka und ließ das Handy in der Gesäßtasche seiner kurzen Sporthose verschwinden.

      Rita sah ihn prüfend an. „Ich hab doch nur gefragt, wer dran war. Oder darf ich das nicht wissen?“

      „Wie? Nicht wissen. Klar ...“, Borowka geriet ins Stocken, „das war ... das war der Fredi. Der hat erzählt, dass es ein Überfall gegeben hat auf der Laden von Hansi und dass gerade überall Polizei ist und so.“

      Sofort war Ritas Interesse geweckt: „Was denn für ein Überfall? Hier, der Hansi, der mit dir Fußball spielt?“

      „Ja. Oder kennst du noch ein anderer Hansi, der ein Laden in Saffelen hat?“, blaffte Borowka seine Freundin an und wollte die Küche verlassen.

      Aber Rita stellte sich ihm in den Weg und funkelte ihn mit durchdringendem Blick an. „Was ist los mit dir, Richard? Du bist schon seit Tagen so gereizt. Bei jede Kleinigkeit bist du dich am aufregen. Und immer diese Heimlichtuerei. Geht es sich um eine andere Frau?“

      Borowka sah sie entgeistert an. „Sag mal, geht’s noch?“ Ihm wurde plötzlich klar, dass er sich auf ganz dünnem Eis bewegte. Wenn er jetzt nicht einlenkte, würde es wieder einen tagelangen Streit geben, der damit enden würde, dass sie gemeinsam bei Ikea neues Geschirr kaufen mussten. Und es gab nichts Schlimmeres für ihn, als zu Ikea zu fahren. Außerdem stand im Moment zu viel auf dem Spiel, als dass er sich einen Nebenkriegsschauplatz mit Rita leisten konnte. Also änderte er seine Taktik. Er sah Rita treuherzig an. „Wie kannst du so was denken, Rita? Du bist die Einzigste für mich. Ganz im Gegenteil. Ich wollte dich eigentlich überraschen. Ich habe eben mit der Fredi ausgemacht, dass wir vier, Martina, Fredi, du und ich, morgen zusammen essen gehen.“

      Rita lächelte schwach. „Hast du deshalb eben geflüstert am Telefon?“

      „Ja klar, was denkst du denn?“

      Rita musterte ihn einige Sekunden, dann fiel sie ihm so stürmisch um den Hals, dass er mit dem Rücken gegen den Kühlschrank knallte. „Danke, mein Schatz. Wir waren schon so lange nicht mehr zusammen weg.“ Während sie sich an seine Schulter schmiegte, starrte Borowka mit leerem Blick gegen die Wand.

       3

      Samstag, 11. Juli, 11.38 Uhr

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