Christian Macharski

Die Königin der Tulpen


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ich die Woche in Kur war.“ Billa Jackels ging bereits zum zweiten Mal den Ablauf der nächsten fünf Tage durch.

      Josef Jackels saß zusammengekauert am Esszimmertisch und hörte angestrengt zu. Auf seiner Stirn hatten sich kleine Schweißperlen gebildet. Seine schwitzigen Hände wischte er zwischendurch immer wieder an seiner Strickjacke ab. Kraftlos sah er zu seiner Frau auf. „Müsst ihr denn ausgerechnet diese Woche im Wellnessurlaub fahren? Nächsten Samstag ist die große Hundertjahrfeier der Freiwilligen Feuerwehr Saffelen. Die sind jetzt schon das Festzelt am legen. Was ich da noch alles organisieren muss. Wir haben noch kein Toilettenwagen, weil gleichzeitig in Honsdorf und Brüggelchen Sommerfest ist, die Bier- und Schnapsbestellung muss noch mit der Zeltwirt abgestimmt werden, der Diskjockey hat noch nicht zugesagt, weil der an dem Tag eine wichtige Einführungsveranstaltung hat – ich glaub’, bei sein Urologe. Außerdem muss ich durch der Abend moderieren. Wie soll ich mich denn da noch um der Haushalt kümmern?“

      „Josef!“ Billa stemmte energisch die Hände in die Hüften. „Jetzt übertreib doch nicht so. Die Anni kommt jeden zweiten Tag und erledigt das Putzen und der Abwasch. Deine Uniform ist gebügelt und die anderen Anziehsachen habe ich dir rausgelegt. Das Einzigste, was du machen musst, ist, einmal am Tag die Mikrowelle anstellen. Ansonsten hast du jede Menge Zeit, dich auf das Feuerwehrfest vorzubereiten. Außerdem konnten wir uns der Zeitpunkt für die Reise nicht aussuchen, weil es sich um ein Gewinn handelt.“

      Josef seufzte laut. Es klingelte an der Haustür. Josef seufzte noch lauter.

      Vor der Haustür stand eine aufgekratzte Marlene Hastenrath mit einer großen Reisetasche. Billa fiel ihr um den Hals. „Marlene. Ich freu mich so. Weißt du eigentlich, wann wir das letzte Mal zusammen weg waren?“

      „1998. Da waren wir mit die Kegelfrauen in Bad Hönningen. Aber das war ja in dem Sinne kein Wellness urlaub.“ Sie kniff ein Auge. Beide lachten laut.

      Im gleichen Moment schob sich Josef Jackels mit Leidensmiene und hängenden Schultern vorbei an den beiden Frauen aus dem Haus. Er sah gequält auf. „Grüß dich, Marlene. Ich hol eben der Auto.“ Dann schlurfte er über die Einfahrt zur Garage, schob lethargisch das Tor hoch und ging hinein.

      Marlene zog eine Augenbraue hoch. „Was ist denn mit der Josef los?“

      „Ach, der“, Billa machte eine wegwerfende Handbewegung. „Der jammert schon der ganze Tag rum. Der ist so aufgeregt wegen das Feuerwehrfest nächsten Samstag, weil der da die Eröffnungsrede halten muss. Der hat letzte Nacht nur zwei Stunden geschlafen. Erst als der zwei Valium genommen hatte, ging es.“

      „Der Arme“, sagte Marlene. „Ich glaube, der Will ist ganz froh, dass ich fahr. Ich habe gestern durchs Küchenfenster gehört, wie der für der Schlömer Karl-Heinz sagte, dass das für ihn auch Wellness ist, wenn ich mal ein paar Tage weg bin.“

      „Ach, Männer. Wir machen uns jetzt fünf schöne Tage mit Prozecco und Massagen von muskulöse Psychiotherapeuten.“ Marlene kicherte wie ein Teenager.

      „Ich hol schnell meine Tasche.“ Als Billa ins Haus lief, sah Marlene, wie Josef fast wie in Zeitlupe seinen dunkelroten Opel Ascona rückwärts aus der Garage bugsierte. Dabei schaute er hektisch immer wieder abwechselnd in den Seiten- und in den Rückspiegel. Dann bog er in die Straße ein und brachte den Wagen haarscharf neben dem Bürgersteig mit einem abrupten Bremsen zum Stehen, woraufhin der Motor ruckelnd erstarb. Der Feuerwehrmann sah hinüber zum Haus, kurbelte das Fenster runter und drückte auf die Hupe, die so verrostet krächzte wie die Hupe der Waltons, die Vater John immer betätigte, wenn er von der harten Arbeit im Sägewerk nach Hause kam und sich auf seine Frau Olivia und die Kinder John-Boy, Jason, Jim-Bob, Ben, Mary-Ellen, Erin und natürlich die kleine Elizabeth freute.

      Josef hatte sich angeboten, die beiden Frauen zum Bahnhof zu bringen. Überdreht kam Billa mit einem großen Trolley und einer Umhängetasche aus dem Haus gesprungen und rief lachend: „Kutscher, zum Bahnhof! Und geben Sie die Pferde die Peitsche.“ Marlene stieg gackernd in das Gelächter ein, während Josef sich den Schweiß von der Stirn wischte und niedergeschlagen den Wagen startete.

       5

      Sonntag, 12. Juli, 15.42 Uhr

      Das Saffelener Altenheim war, anders als der ungewöhnliche Name „Haus Gnadenbrot“ vermuten ließ, ein sehr mondän anmutendes Gebäude mit moderner Einrichtung. Untergebracht in einem aufwendig sanierten, ehemaligen Kreuzherrenkloster, gab es dort 42 Pflegeplätze, darunter 30 Einzel- und sechs Doppelzimmer. Das Angebot umfasste neben der stationären Pflege noch einen betreuten Wohnbereich und kleine Ein- und Zweizimmerapartments. Haus Gnadenbrot verfügte über eine hauseigene Küche und einen großen Aufenthaltsraum, der gleichzeitig als Essenssaal diente und sogar mit einer kleinen Bühne ausgestattet war, auf der immer wieder kleine Konzerte, Lesungen und die bei Alt und sehr Alt beliebten Bingonachmittage stattfanden. Eine Zeitlang hatte der Saffelener Pastor, Rodrigo Gonzales, hier auch ökumenische Messen abgehalten. Das wurde jedoch eingestellt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die meisten Bewohner ihn nicht verstanden. Darüber hinaus kamen regelmäßig eine Frisörin und eine Fußpflegerin ins Haus, um die alten Leute zu verwöhnen. Ein kleiner, eingezäunter Park lud zum Spazieren ein und führte am neu gestalteten Saffelener Friedhofsgelände vorbei.

      Das alles hatte Kommissar Kleinheinz eigentlich gar nicht wissen wollen, als er an diesem Sonntag das Altenheim aufsuchte. Er wollte lediglich die Aussage von Frau Thönnissen aufnehmen, falls sie denn so weit wiederhergestellt war. Doch als er die breite, einladende Steintreppe hinaufgestiegen war, war er im Eingangsportal bereits von Dieter Brettschneider abgefangen worden und hatte von ihm unaufgefordert eine ausgiebige Begehung des Gebäudes verpasst bekommen. Dieter Brettschneider, der Leiter des Seniorenheims, war Mitte fünfzig, sah aber bedeutend jünger aus. Lediglich seine große Nase verhinderte, dass man ihn als gutaussehend bezeichnen konnte. Sein dichtes, schwarzes Haar trug er sorgfältig in der Mitte gescheitelt und sein dunkelblauer Anzug saß wie angegossen. Er schien sportlich zu sein, wenngleich sich ein kleines Bäuchlein über dem Gürtel wölbte. Der schwere Siegel ring, den er trug, war Kleinheinz als Erstes aufgefallen. Und auch sonst schien Brettschneider nicht mit seinem Wohlstand hinter dem Berg zu halten. Am Handgelenk prangte eine Rolex Daytona und auch das goldene Panzerarmband schien nicht billig gewesen zu sein. Bei seinem Rundgang hatte er in einem unaufhörlichen Redefluss stolz den wirtschaftlichen Aufstieg und die erfolgreiche Expansionspolitik seines 1990 gegrün deten Hauses hervorgehoben. Überhaupt lief er immer dann zur Hochform auf, wenn es um die unternehmerische Seite des Seniorenheims ging, sodass Kleinheinz leise Zweifel beschlichen, ob der Geschäftsführer auch in irgendeiner Form durch besonderes soziales Engagement motiviert war. Von den Bewohnern sprach er nicht selten als Insassen, natürlich nicht, ohne die Ironie seiner Worte durch schallendes Gelächter zu unterstreichen. Gleiches galt wohl auch für den ungewöhnlichen Namen „Haus Gnadenbrot“, für den Brettschneider eine erstaunliche Erklärung parat hatte. Kurz nach der Einweihung hätten einige jugendliche Vandalen in der Mainacht die überdimensionalen Buchstaben auf dem Dachfirst einfach vertauscht. Ursprünglich hätte das Heim nämlich „Haus Abendrot“ geheißen. Dass die Jugendlichen, sollte an dieser Version etwas dran sein, bei jenem Maischerz noch ein in gleicher Form und Größe gestaltetes „G“ und „N“ hätten mit sich führen müssen, wollte Kleinheinz nicht ansprechen. Zum einen interessierte es ihn nicht und zum anderen wollte er statt einer kritischen Diskussion eigentlich nur schnell mit Frau Thönnissen sprechen und ihre Aussage aufnehmen, um seinen Bericht zu vervollständigen. Deshalb fiel er Brettschneider auch barsch ins Wort, als dieser gerade von seiner neuesten Aktion schwärmte, nämlich „Schnupperwochen im Altenheim“, bei denen man seine Oma mal testweise für ein paar Tage im Heim parken könne, wie er es ausdrückte.

      „Herr Brettschneider. Wo finde ich denn Frau Thönnissen?“

      „Ach ja, richtig“, unterbrach der Heimleiter seinen Redeschwall, „Sie sind ja dienstlich hier. Wenn ich einmal heiß laufe. In mir steckt ein Verkäufer durch und durch. Ich habe damals lange im Im- und Export gearbeitet. Holländische Blumenzwiebeln. Ein Bombengeschäft. Kommen Sie, wir nehmen den Aufzug.“ Während sie auf den Fahrstuhl warteten, plapperte er unverdrossen weiter: „Aber wenn Sie mal eine Omma