war der Tag des Ausflugs nach Pisa mit Marcello. Geschäftstrip, korrigierte sich Olivia hastig. Kein Ausflug, das durfte sie nicht vergessen. Geschäftstrip.
Es wird bestimmt ein langer, anstrengender Tag, redete sie sich streng ein. Sie würde professionell und aufmerksam sein müssen, um zu lernen, was sie nur konnte, selbst wenn die Unterhaltungen mit seinen Kollegen und Kunden auf Italienisch stattfinden würden.
Obwohl es ein Geschäftstrip war, hoffte sie, dass sie vielleicht die Chance haben würden, sich den Schiefen Turm von Pisa ansehen zu können, auch wenn es nur ein kurzer Blick von der Straße aus sein würde. Das war einer der Orte, den sie schon immer mal sehen wollte. In Gesellschaft von Marcello wäre es natürlich noch tausend Mal besser.
Olivia ermahnte sich streng, nicht zu aufgeregt zu sein. Das war ein geschäftlicher Ausflug, und sie musste es locker angehen.
Sie verließ das luftige Schlafzimmer und betrat das luxuriöse, anliegende Badezimmer. Sie duschte, stylte ihr schulterlanges, blondes Haar und nahm noch ein paar letzte Änderungen an ihrem Outfit vor, das sie am Abend zuvor herausgesucht hatte. Sie tauschte die schicken, hochhackigen Schuhe, die ihre erste Wahl gewesen waren, gegen Sommersandalen mit niedrigeren Absätzen, in denen sie leichter laufen konnte. Das türkise, knielange Kleid war perfekt, aber sie würde dazu ihre beigefarbene Lederjacke anziehen, welches mehr italienischen Flair ausstrahlte als die weiße Baumwolljacke, die sie sich gestern ausgesucht hatte.
Außerdem packte sie noch sowohl einen Notizblock und einen Stift als auch ihr Handyladegerät in ihre Handtasche. Und natürlich Lippenstift, Lipgloss und Parfüm, falls sie sich unterwegs noch einmal frisch machen musste.
Zum Beispiel bevor sie und Marcello zusammen zu Mittag essen würden.
Hör auf, sagte Olivia sich. Wahrscheinlich würde ihr Mittagessen aus einem schnellen Sandwich im Auto bestehen.
Sie blickte aus dem Fenster und bemerkte Erba, die von den Obstbäumen der Villa, wo sie sich an den herabgefallenen Granatäpfeln sattgegessen hatte, nun zielsicher auf das Haus zusteuerte. Gewöhnlich genoss Erba die zarten Sonnenstrahlen morgens auf der Fensterbank von Olivias Schlafzimmer, und sie hatte sich bereits an den ungewöhnlichen Anblick der sich sonnenden Ziege gewöhnt, wenn sie nach dem Aufwachen ihre Vorhänge zurückzog.
„Wir gehen heute früher zur Arbeit“, warnte sie Erba.
Nach einem letzten Check, dass sie auch alles hatte, was sie brauchte, eilte Olivia in die Küche. Von allen Räumen in der Villa liebte sie diesen am meisten. Der große, auffällige Wandfries mit zahllosen Trauben bedeckte eine der gekachelten Wände, und die Tontöpfe mit den Kräutern auf dem Fenstersims verströmten einen himmlischen Duft nach Rosmarin, Basilikum und Thymian. Am besten gefiel ihr an diesem Raum mit den angenehm warmen Farbtönen natürlich die große, rot- und chromfarbene Kaffeemaschine, die auf der Anrichte thronte.
Schnell verhalf sich Olivia zu einem doppelten Cappuccino und trank ihn, während sie aus dem Fenster auf den gefliesten Hof blickte, wo noch mehr Kräuter und Sträucher entlang den Steinmauern wuchsen. Genau so einen Hof wollte sie auch vor ihrer Farmhausküche haben. Vielleicht konnte sie die Fliesen sogar selbst verlegen. Sie liebte den Anblick. Alle Abschnitte mit Thymian und Katzenminze waren säuberlich voneinander abgegrenzt.
Genug geträumt, sagte sich Olivia, trank ihren Kaffee aus und schnappte sich ihre Handtasche.
„Komm, Erba“, rief sie, während sie durch den Flur nach draußen trat und vorsichtig die imposanten Türen hinter sich schloss. „Gassi!“
Um zehn vor sieben erreichte sie La Leggenda. Marcello war draußen bereits dabei, Wasserflaschen in eine Kühlbox und diese in den Kofferraum des SUVs zu laden. Sein dunkles Haar war frisch geschnitten und seine wirren Fransen fielen ihm jetzt nur noch bis zu den Augenbrauen. Er trug ein anthrazitfarbenes Hemd und eine schicke Jeans.
„Wir nehmen ein Geschenk mit“, erklärte er lächelnd. „Du siehst heute Morgen zauberhaft aus. Ich freue mich auf unseren Tag.“
„Ich mich auch“, sagte Olivia, durch sein Kompliment förmlich zum Glühen gebracht.
Er küsste sie auf beide Wangen, und sie spürte, wie ihre Knie sowohl durch diese Nähe als auch wegen des würzigen Aftershaves, das sie an seinen kräftigen, kantigen Wangenknochen erschnupperte, beinahe nachgaben.
Zum Glück hatte sie sich an diesen Effekt, den Marcello über sie hatte, bereits gewöhnt, und ihr rasendes Herz brauchte nicht lange, um wieder zu seiner normalen Geschwindigkeit zurückzukehren.
Sie trat in die Verkostungsstube, griff sich die letzten beiden Flaschen von der Theke und verstaute sie in der eigens dafür angefertigten, gepolsterten Kühlbox.
Eine Minute später fuhren sie bereits durch das elegante Tor des Weinguts.
„Unsere Reiseroute wird sehr malerisch, denn wir werden die ruhigeren Straßen nehmen“, erklärte Marcello und drehte die Musik ein wenig auf, sodass die sanften Klänge einer Oper – welche bei Olivia ein Schauder aus romantischer Vorfreude hervorriefen – eine melodische Untermalung boten. „Wir fahren zu einem Weingut, und ich hätte gern deine Meinung darüber.“
Ihre Meinung? Über ein Weingut? Olivia fühlte sich geschmeichelt, doch zugleich überkam sie auch Panik. Aus welcher Perspektive? Was hatte sie hinsichtlich fachlicher Expertise schon zu bieten?
Sie war froh, dass sie zuhause diesen starken Kaffee getrunken hatte. Zumindest war sie nun hellwach, und ihr Kopf arbeitete auf Hochtouren, während das Auto die schmale, mit Zedern gesäumte Teerstraße in Richtung der strada principale – der Hauptstraße auf dem Weg nach Pisa – entlangfuhr.
Doch bevor sie diese erreichten, bog Marcello rechts ab und beschleunigte auf einer gewundenen Straße, die sich die Berge hinaufwand, jede Kurve eine neue, bezaubernde Aussicht enthüllend.
Olivia erblickte einen dunklen, geheimnisvollen Wald versteckt in einem tiefen, schattigen Tal. Auf einem grünen Hügel stand ein riesiges Schloss mit einem mäandernden Fluss, der einen behelfsmäßigen Schlossgraben rundherum bildete, und Fahnen, die auf den Zinnen wehten.
Olivia hatte gedacht, ihr würde es schwerfallen, eine unangenehm höfliche Konversation während er Fahrt aufrechtzuerhalten, doch die Opernmusik erfüllte sowohl das Auto als auch ihr Herz, und sie konnte die Landschaft atemlos bestaunen, ohne sich verlegen zu fühlen.
Bevor sie sich versah, bremste Marcello das Auto auch schon ab und bog auf eine sandige Straße ab. Eine Meile später fuhr der SUV durch eine schmale Lücke in einem Drahtzaun.
An dem rechten Holzpfahl hing ein Schild. Was stand da? Olivia reckte ihren Hals, aber die Farbe war bereits so verblichen, dass sie die Aufschrift nicht entziffern konnte.
Dies hier war um so vieles anders als alle Weinfarmen, die sie bisher besucht hatte. Hielten sie vorher erst noch woanders an, oder was passierte hier?, fragte sie sich rätselnd.
Die Zufahrt war von Büschen und Grünzeug überwachsen, doch leuchtend bunt von Wildblumen und Schmetterlingen. Am Ende befand sich eine Lichtung, gerade mal groß genug für zwei Fahrzeuge. Ein schlichter, älterer Truck in ausgebleichtem Blau parkte bereits dort.
Jenseits der Lichtung stand ein kleines Steingebäude.
„Salve, Franco!“, rief Marcello, als er aus dem Auto stieg.
„Salve!“
Ein schlanker, grauhaariger Mann trat aus der Tür.
„Willkommen, willkommen“, begrüßte er sie und breitete dabei seine Arme aus.
Er und Marcello umarmten sich herzlich.
Dann nahm er Olivias Hand und beugte sich zu ihrem Erstaunen und Entzücken hinunter, um sie zu küssen.
„Willkommen, signorina“, begrüßte er auch sie schwärmerisch, und seine dunklen Augen leuchteten in seinem zerfurchten, gebräunten Gesicht.
Marcello hob die Kühlbox mit dem Wein aus dem Auto, und sie traten gemeinsam durch die verwitterte Eingangstür.
Olivia folgte Franco hinein und schnappte begeistert