Feldwebel jagt mit dem Revolver einen Zug vor sich her
FELDWEBEL
Marsch! Ich wer’ euch lehrn hier herumtachiniern!
Fürs Vaterland stirbts, oder ich laß euch krepiern!
Was glaubts denn, i wer’s euch schon einigeignen!
Jetzt schießts auf den Feind, oder ich schieß auf die Eignen!
Sie verschwinden.
EIN ERBLINDETER
tastet sich kriechend vorwärts
So, Mutter, Dank! So fühl’ ich deine Hand.
Oh, sie befreit von Nacht und Vaterland!
Ich atme Wald und heimatliches Glück.
Wie führst du mich in deinen Schoß zurück.
Nun ist der Donner dieser Nacht verrollt.
Ich weiß es nicht, was sie von mir gewollt.
O Mutter, wie dein guter Morgen thaut!
Schon bin ich da, wo Gottes Auge blaut.
Er stirbt
DIE KRIEGSBERICHTERSTATTERIN
erscheint
Hier ist er, das Suchen hat sich gelohnt,
hier find’ ich den einfachen Mann an der Front!
EIN VERWUNDETER
tastet sich kriechend vorwärts
Fluch, Kaiser, dir! Ich spüre deine Hand,
an ihr ist Gift und Nacht und Vaterland!
Sie riecht nach Pest und allem Untergang.
Dein Blick ist Galgen und dein Bart der Strang!
Dein Lachen Lüge und dein Hochmut Haß,
dein Zorn ist deiner Kleinheit Übermaß,
der alle Grenze, alles Maß verrückt,
um groß zu sein, wenn er die Welt zerstückt.
Vom Rhein erschüttert ward sie bis zum Ganges
durch einen Heldenspieler zweiten Ranges!
Der alten Welt warst du doch kein Erhalter,
gabst du ihr Plunder aus dem Mittelalter.
Verödet wurde ihre Phantasie
von einem ritterlichen Weltkommis!
Nahmst ihr das Blut aus ihren besten Adern
mit deinen Meer- und Luft- und Wortgeschwadern.
Nie würde sie aus Dreck und Feuer geboren!
Mit deinem Gott hast du die Schlacht verloren!
Die offenbarte Welt, so aufgemacht,
von deinem Wahn um ihren Sinn gebracht,
so zugemacht, ist sie nur Fertigware,
mit der der Teufel zu der Hölle fahre!
Von Gottes Zorn und nicht von seinen Gnaden,
regierst du sie zu Rauch und Schwefelschwaden.
Rüstzeug des Herrn! Wir werden ihn erst preisen,
wirft er dich endlich zu dem alten Eisen!
Komm her und sieh, wie sich ein Stern gebiert,
wenn man die Zeit mit Munition regiert!
Laß deinen Kanzler, deine Diplomaten
durch dieses Meer von Blut und Tränen waten!
Fluch, Kaiser, dir und Fluch auch deiner Brut,
hinreichend Blut, ertränk sie in der Flut!
Ich sterbe, einer deutschen Mutter Sohn.
Doch zeug’ ich gegen dich vor Gottes Thron!
Er stirbt.
QUELLE: Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog, 17. bis 23. Tausend (einschließlich der Aktausgabe); Verlag Die Fackel, Wien/Leipzig [1922]
ERNST JÜNGER (1895 – 1998)
Ernst Jünger wird am 29. März 1895 als Sohn des Apothekers Ernst Georg Jünger und seiner Frau Karolina geb. Lampl in Heidelberg geboren.
1914 meldet er sich als Kriegsfreiwilliger. 1918 werden ihm das Goldene Verwundetenabzeichen und der Orden »Pour le Mérite« verliehen. 1920 erscheint sein Kriegstagebuch »In Stahlgewittern«, das ihn berühmt macht. 1925 heiratet er Gretha von Jeinsen. Sein Philosophie- und Zoologiestudium bricht er ab und widmet sich ganz der Schriftstellerei. Dabei bleibt die Entomologie seine Leidenschaft. 1928 erscheint »Das abenteuerliche Herz«. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 weist er die Aufnahme in die Deutsche Akademie der Dichtung zurück. 1936 zieht er mit seiner Familie nach Überlingen und dann nahe Hannover. Dort erscheint »Auf den Marmorklippen«. 1939 wird er erneut eingezogen. Es entsteht der Essay »Der Friede«. Im September 1944 wird er regulär aus der Wehrmacht entlassen.
1945 weigert Jünger sich, den Fragebogen der alliierten Besatzungsmächte zur Entnazifizierung auszufüllen, und erhält bis 1949 Publikationsverbot. Er zieht 1951 nach Wilflingen, wo er 1962 nach dem Tod seiner ersten Frau Gretha (1960) die Germanistin und Lektorin Liselotte Lohrer heiratet. Es entstehen weitere Werke wie »Siebzig verweht«. Jünger stirbt hoch geehrt im Alter von 103 Jahren.
ERNST JÜNGER
IN STAHLGEWITTERN
ORAINVILLE
Der Zug hielt in Bazancourt, einem Städtchen der Champagne. Wir stiegen aus. Mit ungläubiger Ehrfurcht lauschten wir dem langsamen Takte des Walzwerkes der Front, einer Melodie, die uns in langen Jahren Gewohnheit werden sollte. Ganz weit zerfloß der weiße Ball eines Schrapnells im grauen Dezemberhimmel. Der Atem des Kampfes wehte herüber und ließ uns seltsam erschauern. Ahnten wir, daß fast alle von uns verschlungen werden sollten an Tagen, in denen das dunkle Murren dahinten aufbrandete zu unaufhörlich rollendem Donner? Der eine früher, der andere später?
Wir hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in den kurzen Ausbildungswochen zusammengeschmolzen zu einem großen, begeisterten Körper, Träger des deutschen Idealismus der nachsiebziger Jahre. Aufgewachsen im Geiste einer materialistischen Zeit, wob in uns allen die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach dem großen Erleben. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen in trunkener Morituri-Stimmung. Der Krieg mußte es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche. Er schien uns männliche Tat, ein fröhliches Schützengefecht auf blumigen, blutbetauten Wiesen. Kein schönrer Tod ist auf der Welt … Ach, nur nicht zu Haus bleiben, nur mitmachen dürfen!
»In Gruppenkolonne antreten!« Die erhitzte Phantasie beruhigte sich beim Marsche durch den schweren Lehmboden der Champagne. Tornister, Patronen und Gewehr drückten wie Blei. »Kurztreten. Aufbleiben dahinten!«
Ach, zu des Geistes Flügeln wird so bald
Kein körperlicher Flügel sich gesellen!
Endlich erreichten wir das Dorf Orainville, den Ruheort des Füsilier-Regiments 73, eins der typischen Nester jener Gegend, gebildet durch 50 Häuschen aus Ziegel- oder Kreidesteinen um einen parkumschlossenen Herrensitz.
Das