in Anwendung gebracht werden muss, mit der er die besondere Gefährlichkeit jener Viertellinge herausstellt?«
»In der Tat, Herr Dr. Muckensturm, das meine ich. Mir ist bewusst, dass Sie als Genetiker dem Herrn Musahashi Ichido und seinen Theorien skeptisch gegenüber stehen, jedoch kann ich Ihnen hier mitteilen, dass neue Untersuchungen in Ulan Bator, an dem berühmten Institut für Absonderliche Medizin, Hinweise geliefert haben, dass jene Theorie nicht nur reine Theorie ist. Wir müssen also davon ausgehen, dass gerade Viertellinge ganz besonders sorgfältig beobachtet werden müssen.«
Lefebre erhob seine Stimme, so dass auch der Hinterste im Saal in laut und deutlich verstehen konnte: »Damit stehen wir einer direkten und folgerichtig auch hochbrisanten Gefahr gegenüber. Denn es scheint wirklich so zu sein, dass diese Abkömmlinge von Mischlingen, ich mag dieses Wort ›Viertelling‹ nicht, die Veranlagung zur Vampirexistenz von allen Erscheinungsformen am leichtesten weitergeben können. Meistens sogar unbewusst und ohne Absicht. Fragen Sie mich nicht, wie das vonstattengehen soll, ich weiß es nicht. Von einer genetischen Veranlagung war bisher noch keine Rede, was also mag bei diesen Menschen anders sein? Vielleicht können Sie uns das erklären, Herr Dr. Muckensturm?«
Und als dieser nur stumm den Kopf schüttelte, rief Lefebre in den Saal hinein: »Wir kommen dann nun zu allgemeinen Fragen, meine Damen und Herren!
*
Wie es der Zufall so wollte, so wie sie sich in der Lounge am Tisch zusammengefunden hatten, waren sie vom Obersteward auch im Restaurant zusammengesetzt worden. Ein Platz am Sechsertisch steuerbords, also in Fahrtrichtung rechts, blieb frei, denn das Schiff war nicht ganz ausgebucht, was erklärte, warum Xenia auf die Schnelle noch eine Kabine hatte buchen können.
Eine aufwendige Karte auf dem Tisch kündete von der Vielseitigkeit des Abendessens: zur Auswahl standen mehrere Entrées und zwei Hauptgerichte sowie Desserts, Käse und Obst.
Der für ihren Tisch zuständige Steward reichte jedem Gast zwischendurch eine Karte, auf der das Mittag- und Abendessen des folgenden Tages aufgelistet war. »Bitte kreuzen Sie a n, was Sie morgen essen möchten«, bat er. »Und überlegen Sie gut, denn bei rund 150 Passagieren muss die Küche wissen, was sie vorbereiten soll.«
»Aber ich weiß doch heute noch nicht, was ich morgen essen will«, rief am Nebentisch eine Dame. Angelika hatte mitbekommen, dass es sich um ein Ehepaar, Hannelore und Jakob Fischbaum aus Remscheid, handelte, das sich mit der Regelung offenbar nicht einverstanden erklärte.
»Ja, so ist es«, sekundierte nun auch Herr Fischbaum. »Wir essen immer und überall nur à la carte!«
Die 80-jährige Frau Faszl, in Fahrtrichtung am Fenster sitzend und abwechselnd die vorüberziehende abendliche Landschaft bewundernd beziehungsweise dem Essen eifrig zusprechend, blickte von ihrem Schweinebraten mit Serviettenknödel auf und sagte laut und deutlich, so dass es zumindest die nächsten fünf Tische hören konnten: »Manchen kann man es einfach nicht recht machen, sie haben immer und überall etwas zu meckern. Solche Leute sollten besser zu Hause bleiben, anstatt anderen die Stimmung zu vermiesen.«
Peinliches Schweigen am Nebentisch, wo das Ehepaar aus Remscheid konsterniert in die Runde blickte, allerdings nirgends Trost fand.
Zu allem Überfluss setzte Frau Schmitz-Wellinghausen noch einen drauf, als sie sagte: »Wir werden uns unsere gute Laune auf dieser Fahrt nicht durch einige Querulanten und Meckerköpfe kaputt machen lassen. Prost!« Sie hob das Glas, während sie aufstand und in die Runde blickte: »Der Wein ist vorzüglich. Stoßen wir an!«
Und von überall her tönte es »Prosit!«. Damit hatte die Reise offiziell begonnen, für Angelika und alle anderen, vor allem aber für Jan-Herbert von Schwandorff und Frau Eugenie Schmitz-Wellinghausen, nicht zu vergessen jene alte Dame, deren altes Vehikel in Passau geduldig auf ihre Rückkehr wartete.
*
Während die Passagiere speisten und sich auf einen unterhaltsamen Abend in der Lounge vorbereiteten, war jemand anders auf dem Schiff mit Vorbereitungen ganz anderer Art beschäftigt: Dunkle Kleidung, die ein Erkennen auf dem nächtlichen Deck erschwerte, sowie bequeme Turnschuhe mit weichen Sohlen, die eine lautlose Annäherung garantierten. Und der Universalschlüssel. Der zu jedem Raum des Schiffes Zutritt erlaubte.
Auf den vorangegangenen Reisen hatten sich auf der »Danubia Queen« einige seltsame Vorfälle ereignet. So hatten sich mehrfach vorzugsweise weibliche Gäste beschwert, sie seien im Schlaf von riesengroßen Stechmücken gebissen ‚worden‘. Andere erzählten von einem geheimnisvollen Wesen. Mensch oder Tier, ein Affe möglicherweise, der nächstens auf dem Promenadendeck herumgeisterte.
Auf der letzten Reise war gar, auf der Höhe der Ruinen von Transmarisca, auf der Grenze zwischen Bulgarien und Rumänien, eine junge Frau verschwunden, die allein reiste und die sang- und klanglos eines Morgens einfach nicht mehr zum Frühstück erschien. Sie wurde nie mehr gefunden. Kinder, die Überreste eines weiblichen Leichnams einige Kilometer flussabwärts Richtung Schwarzes Meer entdeckten, nahmen die wenigen Habseligkeiten an sich, die noch verwertbar waren, und vergruben die Überreste.
All dies stand in Zusammenhang mit den Vorbereitungen, die während der Abendessenszeit im Heck des Kreuzfahrtschiffes getroffen wurden. Es war wieder an der Zeit, es musste etwas geschehen.
Mögliche Opfer gab es wieder mehrere, doch die Auswahl musste sorgfältig getroffen werden: denn wurde die falsche Person ausgewählt, die z. B. ein Allergen in sich trug oder irgendwelche Abwehrgerätschaften bei sich trug, konnte es zur Katastrophe, das heißt: zur Aufdeckung der Person kommen, die für die Zwischenfälle verantwortlich war. Aber alles drängte, das Blut schrie nach Blut – es brauchte die Auffrischung, denn alt gewordenes Blut in den Adern eines Transsilvaners führte unweigerlich zum Tode. Zu einem qualvollen Tod, wenn das Blut nämlich allmählich zu stocken beginnt und alles verstopft.
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Angelika und Xenia hatten sich viel zu erzählen. Dass von Schwandorff bei ihnen saß und hörte, was sie sich an Wichtigem und Unwichtigem zu berichten hatten, störte vielleicht Xenia ein wenig, doch da sie bemerkt hatte, dass diese neue Bekanntschaft für ihre Freundin etwas Besonderes zu sein schien, ließ sie sich nichts anmerken.
Der Pianist, ein bulgarischer Musiker, der eher scheu um die Passagiere herumging, um sie nicht zu stören, hatte sich an das Instrument gesetzt und spielte bekannte und weniger bekannte Melodien. Das Musikstück, das gerade zu hören war, gefiel Xenia besonders, so dass sie zum Piano ging und sich erkundigte. »Traumtanz« hieß die etwas melancholische Melodie und der deutsche Komponist war ihr unbekannt. Sie freute sich, als der Klavierspieler sich artig für ihr Interesse bedankte.
Xenia fiel auf, dass das Schiff sehr ruhig im Wasser lag und kaum schaukelte.
Wieder an ihrem Tisch, hatte sich nun Frau Faszl dazugesetzt. Sie trank einen kleinen Rotwein, während die anderen sich eine Flasche guten Sekts bestellt hatten. »Ich würde auch gerne«, sagte die alte Dame, »aber ich vertrage die Kohlensäure nicht. Davon wird mir übel. Das ist genauso wie wenn ein Vampir Knoblauch zu essen bekommt.«
Angelika musste lachen: »Die gibt es doch gar nicht. Das sind blanke Märchen.«
Dabei sah sie zu von Schwandorff hinüber, der ein seltsam zweifelndes Gesicht machte, als wollte er sagen: Na, ich weiß nicht, ob nicht doch etwas dran ist.
»Was sagen Sie dazu?« fragte Angelika und wandte sich an Frau Faszl.
»Also ich bin der Ansicht, man sollte das ernst nehmen, was über die Vampire erzählt wird. Ich arbeite in Wetzlar in der Bibliothek, die ist auf phantastische Literatur spezialisiert, und die haben jede Menge Unterlagen, unter anderem auch über jenen transsilvanischen Fürsten, nach dem die literarische Figur des Dracula geformt wurde. Ich erinnere mich an eine deutsche Mystik-Autorin, die unter dem Pseudonym ‚Carola Blackwood‘ schreibt. Sie hat bei Gelegenheit die Möglichkeit erörtert, dass jener Dracul, als Türkenschlächter historisch verbürgt, gegen die sogenannte türkische Petersilie allergisch war und nach Genuss derselben mehrfach Erstickungsanfälle gehabt hat. Daraus soll sich die Mär entwickelt haben, Vampire seien empfindlich gegen Knoblauch.«
Frau