Wie bei feinen Leuten.«
»Ach jemineh!«
Xenia hatte blonde, kurz geschnittene Haare und sah ihrem Vater mit den leuchtendblauen Augen sehr ähnlich. Wolfi, der sechsjährige Bub mit den melancholischen dunklen Augen und dem kastanienbraunen Haarschopf, glich seiner schönen Mutter. Hubs betrachtete die kleine Verwandtschaft skeptisch. Was sollte er mit denen anfangen?
»Wir haben eine Sandkiste, Hubs«, berichtete Wolfi auch gleich. »Und oben auf dem Speicher ist unser Spielzeug. Wir haben auch ein Kasperletheater. Aber das ist noch nicht ausgepackt.«
»Hm, hm«, brummte Hubs. Das konnte ja schön werden. Er, der von
einer eigenen Transportfirma träumte, wurde hier zu Sandkastenspielen
und Kasperle-Schaustücken verurteilt. »Habt ihr auch einen Schreibtisch? Ich muß nämlich arbeiten.«
Gerhard hob die Augenbrauen und schüttelte den Kopf.
»Laß diese Nebensächlichkeiten, Hubs. Komm, hilf mir das Gepäck ausladen. Ich habe es eilig. In drei Stunden geht meine Maschine.«
Angie hatte ihre Hände auf Xenias und Wolfis Schultern gelegt. »Welche Maschine?« fragte sie verständnislos.
»Die nach Frankfurt.«
»Du fliegst fort?«
»Natürlich. Deshalb solltest du doch kommen.«
»Und wie lange bleibst du weg?«
»Das weiß ich noch nicht. Ein oder zwei Wochen.«
Angie ließ die Kinder los und trat einen Schritt vor.
»Du, Gerhard«, sagte sie streng. »Ich habe dir früher oft genug die Kastanien aus dem Feuer geholt. Was du mir aber jetzt zumutest, das überschreitet die Grenzen familiärer Zumutbarkeit.«
Gerhard lächelte. Plötzlich entfaltete er den ganzen Charme eines verwöhnten kleinen Bruders.
»Du mußt hier keine Kastanien aus dem Feuer holen, Angie. Wir bekommen eine Ölheizung.«
»Was heißt bekommen?« erkundigte sie sich mit ersterbender Stimme. »Gibt es hier etwa noch keine Heizung?«
»Nein, erst nächste Woche. Vorausgesetzt, die Handwerker halten Wort. Du mußt eben ordentlich dahinter her sein.«
*
Am nächsten Tag schien die Sonne. Das war ein Glück, denn die ersten Stunden der Nacht hatte Angie sich schlaflos hin und her gewälzt und überlegt, ob sie nicht wieder wegfahren sollte.
Jetzt stand sie oben in einem der völlig leeren, aber sehr hübschen Erkerzimmer und sah hinunter in den Garten. Dort spielte ihr großer Sohn tatsächlich mit den beiden Rangen ihres Bruders fangen, hangelte sich von einem Obstbaum zum anderen, bückte sich, um an den Blumen der reichlich verwilderten Beete zu riechen, breitete die Arme aus und wollte den See an seine Brust drücken. Angie atmete auf. Hubs war – selbst wenn er es nicht zugeben würde – glücklich. Und dieses stille Glück auf dem Land würde ihn vielleicht auch zum Arbeiten anregen. Denn bevor ihr Bruder am gestrigen Abend die Fahnenflucht angetreten hatte, war ihm noch eine Bemerkung entschlüpft, der Hubs ohne weiteres entnehmen konnte, daß er, falls er sich hier nützlich machte, immer in den Ferien wiederkommen könnte.
»Frau Winkler?«
Frieda war in die offene Tür getreten. Sie war eine etwas pummelige Frau von Mitte Dreißig mit hochaufgetürmter, altmodischer Frisur und einem leichten Silberblick. Aber Angie hatte schnell begriffen, daß sie sich mit der Haushälterin gut verstehen könnte, falls, und das war die zweite Erkenntnis an diesem Morgen – Frieda überhaupt verstand, was sie von ihr wollte.
»Ja, Frieda?«
»Ich geh’ man jetzt einkaufen, Frau Winkler. Die Malersleut’ brauchen Bier.«
Angie nickte. Dann stapfte sie über die Plastikfolie, mit der dieser Raum ausgelegt war, und ging hinüber in das zweite Erkerzimmer. Hier war ihr kleines Reich. Es gab noch keine Gardinen an den Fenstern, und das gesamte Mobiliar bestand aus einem Bett und einem Schemel, der ihr als Nachttisch, Stuhl und Schrankersatz dienen mußte. Von diesem Schemel nahm sie ihre Handtasche. Gerhard hatte ihr gestern genügend Haushaltsgeld und sogar einige Schecks übergeben. Sie zückte ihre Börse. Als sie sie öffnen wollte, fiel ihr etwas ein.
»Frieda, ich werde einkaufen gehen. Ich werde mir ein Taxi nehmen und es mit den Lebensmitteln und Getränken für die nächste Woche volladen. Dann habe ich gleich eine Übersicht. Wie steht es mit der Tiefkühltruhe und dem Kühlschrank unten im Souterrain?«
»Ja«, sagte Frieda und richtete ihren freundlichen Silberblick in stummer Ergebenheit auf die Schwester des Hausherrn.
»Ja? Was heißt das? Sind die Geräte angeschlossen?«
»Muß wohl sein, Frau Winkler.«
»Gut, ich werde selbst nachschauen. Kommen die Maler unten weiter?«
»Muß wohl sein, Frau Winkler.«
»Dann nehmen Sie sich heute bitte die Bäder vor, Frieda. In den Wannen habe ich Mörtel entdeckt.«
»Die Bäder sind noch nicht gemalt.«
»Das ist einerlei. Ich will die Kinder heute abend gründlich waschen. Wir werden uns selbst Heißwasser bereiten.«
»Das Wasser geht noch nicht.«
»Nun ja, das heiße Wasser. Aber wir haben kaltes Wasser.«
»Muß wohl sein, Frau Winkler.«
»Müssen muß gar nichts, das habe ich schon gemerkt.«
Angie seufzte. Sie kam sich vor, als wäre der neunte Tag nach der Schöpfung angebrochen.
Aber als sie festgestellt hatte, daß Tiefkühltruhe, Kühlschrank, Herd, ja, sogar die Waschmaschine und der Trockner angeschlossen waren, war ihr schon leichter ums Herz.
Sie setzte sich, um eine Liste aufzustellen. Da tauchte Frieda wieder auf. Sie kam von den Malern, die sich heute in den großen unteren Räumen aufhielten.
»Der Herr Heulich sagt, daß er morgen nicht kommen kann.«
Angie erhob sich sofort und ging zu den Handwerkern hinunter. Herr Heulich war ein Hüne von Gestalt.
»Sie wollten doch diese Woche fertigwerden, Herr Heulich«, begann sie so freundlich wie möglich. »Mein Bruder sagte mir…«
»Herr Stellmann hat sich nicht entschieden, Frau Winkler.« Er holte eine Farbtabelle hervor. »Ich habe sie ihm gestern kurz vor Feierabend noch extra gegeben. Er sollte ein Kreuzchen machen, damit ich weiß, welcher Farbton ihm am besten gefällt. Wir haben jetzt alles tapeziert. Aber malen können wir so nicht. Sonst kommt es noch zu Reklamationen, ich kenne doch die Herren.«
»Welche Herren?«
»Der Dr. Hassberger war auch so wählerisch mit seinem Wohnzimmerton. Da mußten wir dann extra drüberstreichen.«
Sie seufzte. Wenn die Räume nicht endlich fertig gestrichen wurden, konnten auch die Möbel nicht kommen. Gerhard wollte vielleicht zwei Wochen fortbleiben. Mußte sie die ganze Zeit in diesem lieblosen Chaos hausen?
»Also werde ich morgen erst mal bei einem anderen Kunden anfangen«, fuhr der Malermeister ungerührt fort. »Aber einen Kasten Bier brauchen wir trotzdem noch.« Er lachte grölend, und Angie reckte sich, um ein bißchen größer zu erscheinen.
»Nein, das Bier…«
Dann hob sie die Schultern. Natürlich würde sie Bier holen. Sonst kam Herr Heulich mit seiner Mannschaft womöglich gar nicht erst wieder. Sie nickte ergeben. Dann holte sie ihre Liste und lief zu den Kindern in den Garten.
Das Grundstück war wirklich ein Traum. Es reichte bis an den See hinab. Da die vorigen Besitzer sich wohl lange nicht mehr um die Erhaltung dieser Pracht gekümmert hatten, glich der riesige Garten einer romantischen Wildnis. Unten am