das grelle Sonnenlicht plötzlich auch den Mann. Rasch wandte er sich Bimbo zu, kraulte ihn hinter den Ohren und gab ein wenig heiser zurück: »Aber klar doch, Kai, erinnere ich mich daran. Es könnten sogar noch einige Gläser davon im Keller stehen. Wollen wir später einmal nachsehen?«
Kai senkte das Kinn tiefer, zupfte eine Beere ab und ließ sie dann mit einer hilflosen Geste ins Gras rollen.
»Ja, das können wir tun«, murmelte er dabei.
»Junge! Ich verstehe dich ja!«
Olsens Hand umspannte die Knabenschultern, und er spürte das innerliche Beben, das Kai schüttelte.
Er spürte den Schmerz, der in quälenden Wellen den Kinderkörper heimsuchte wie eine Krankheit.
Aber Olsen wußte, daß es im Augenblick gar kein Heilmittel für Kai und Heike gab.
Erst die Zeit würde da mildernd und schließlich heilend eingreifen.
Er konnte dem Jungen nur zeigen, daß er nicht allein war mit seinem Schmerz um die toten Eltern, und das wollte Old Henry brennend gern tun.
So saß er nur still neben Kai und ließ seine Hand auf dessen Schultern ruhen, bis nach einer Weile tatsächlich das unterdrückte Zittern nachließ und Kai ihn fast verlegen anblickte.
»Jetzt können wir den Gelee meiner Mutter aus dem Keller holen. Wenn du willst, Onkel Henry.«
»Ja, komm! Gehen wir, mein Sohn!« Das klang sehr sanft.
*
Zuerst schob sich vorsichtig Kais Haarschopf durch den Türspalt. Ob Heike immer noch tief schlummerte?
Bimbo war nicht so rücksichtsvoll. Er schlüpfte durch Kais Beine hindurch und jagte zum Bett.
»Bimbo! Kai! So komm doch ruhig her zu mir. Ich schlafe gar nicht mehr, und meine Augen tun längst nicht mehr so weh.«
Zögernd schlenderte Kai näher.
»Das ist ja prima! Wann darfst du denn wieder aufstehen?«
Heike richtete sich ein wenig höher im Kissen auf.
»Übermorgen ganz bestimmt, hat der Doktor gesagt. Ich bin schon fast gesund. Aber du kriegst die Masern sicher auch noch.«
Kai winkte ab. »Die hatte ich schon vor dir. Die kriegt man nur einmal. Aber nun hör mal zu, ich muß dir was sagen.«
Kai ließ sich dicht vor Heike auf dem Bettrand nieder, warf noch einen raschen Blick zur Tür und flüsterte dann beschwörend: »Gleich bekommst du Besuch Du mußt recht unfreundlich sein, Heike. Tu so, als wärst du ein schrecklich ungezogenes Kind.«
Heike bekam ganz große Augen.
»Warum soll ich böse sein und ungezogen, Kai? Ist das jemand, der uns holen will? Cornelia hat aber vorhin gesagt, wir dürfen hierbleiben, die ganzen Ferien über. Dafür ist sie ja extra aus Hannover hergekommen. Sie kocht für uns und wäscht und überhaupt, ich finde sie soweit ganz nett. Sie hat gesagt, Heike sei ein hübscher Name. Da hab’ ich gefragt, ob sie denn auch einen hübschen Vornamen habe. Sie heißt Cornelia, und weil mir der viel besser gefällt als Krümel, Fräulein Krümel, da meinte sie, ich solle ruhig Cornelia zu ihr sagen. Das gefiele ihr auch besser.«
Ganz glückliche Augen machte Heike bei ihren Worten.
Das konnte Kai gut sehen, und darum entgegnete er schnell: »Es stimmt, sie heißt Cornelia, und das klingt nett. Sie ist auch nett, und kochen kann sie fast so gut wie Mutti.«
»Aber nur fast so gut«, rief Heike weinerlich dazwischen.
Das hatte er nun davon! Beruhigend nickte Kai, streichelte zärtlich über Heikes Wangen und fuhr fort: »Es stimmt auch, daß wir die Ferien über hierbleiben dürfen bei Old Henry.
Aber das tollste ist ja, daß er uns für immer behalten will.«
»Wer?« Atemlos riß Heike die Augen auf. »Onkel Henry will, daß wir immer bei ihm bleiben im Olsenhaus?«
Achselzuckend gab Kai zurück: »Kann sein, er zieht lieber mit uns nach Hamburg in sein großes Penthouse. Das ist eine Wohnung auf dem Dach eines Wolkenkratzers. Na, so ungefähr jedenfalls. Hauptsache ist doch, daß er uns überhaupt adoptieren will. Aber das hat einen Haken.«
Kais Miene verdunkelte sich, während Heike nun aufgeregt herumzappelte, die Bettdecke verzog und wissen wollte, was das nun eigentlich für ein Besuch sei.
»Na, wer schon?« Das klang recht unglücklich. »Die… die komische Frau, die Onkel Henry heiraten will, damit er uns adoptieren kann. Aber die mag ich nicht. Du wirst sie auch nicht mögen, darum sei recht unartig, hörst du! Dann überlegt sie es sich bestimmt noch.«
»Wie soll ich das denn nur machen?« wisperte Heike bedrückt. Natürlich wollte sie alles tun, was ihr großer, kluger Bruder von ihr erwartete.
Da ging auch schon die Tür auf, und herein trat Cornelia mit der Teekanne.
Heike war ordentlich erleichtert, und Kai nicht minder.
»Wo ist sie denn?« fragte er mißtrauisch und schielte an Cornelia vorbei zur Tür. Aber dort zeigte sich niemand mehr.
»Wen meinst du denn, Kai? Ach so! Du denkst an den Besuch von Herrn Olsen. Nun, die junge Dame hatte noch nicht die Masern. Da lassen wir sie lieber nicht zu unserer Heike. Sie könnte sich ja anstecken.«
Mit diesen heiteren Worten schenkte Fräulein Krümel, die von den Kindern mittlerweile beim Vornamen gerufen wurde, den Tee ein. Auch Kai erhielt eine Tasse.
Dann saßen sie alle drei auf dem Bett und tranken Kamillentee, wobei Cornelia abwechselnd an Kai, Heike und Bimbo Anisplätzchen verteilte.
»Wartet man denn unten nicht auf Sie?«
Kai blickte ernst in das schmale Gesicht der Frau, die stumm nickte und dabei mit einem Auge blinzelte, was fast lustig aussah.
Ein dünnes, zaghaftes Grinsen huschte um Kais Lippen.
»Ach so! Sie haben sich auch fortgeschlichen. Das finde ich prima von Ihnen. Sie mögen diese Frau bestimmt auch nicht. Können Sie’s ihm denn nicht sagen?«
Cornelia ließ den Blick zum Fenster schweifen.
»Was denn, Kai? Was soll ich deinem Onkel sagen?«
»Nun, daß er die nicht heiraten soll. Doch nicht die! Wie kann sie ihm bloß gefallen!«
Seufzend nahm Cornelia die Tassen aus Heikes und Kais Händen, stellte sie vorsichtig auf das Tablett und ließ sich eigentlich bei alldem recht viel Zeit. Aber sie hatte ja auch einiges zu überlegen.
»Oft lernt man einen Menschen erst richtig kennen, wenn man sich näher mit ihm befaßt, Kai. Ein vorschnelles Urteil kann sich böse auswirken. Vertrauen ist wohl eine der besten Eigenschaften, die Menschen besonders pflegen sollten.«
»Aber ich kann ihr nicht vertrauen!« rief Kai verzweifelt aus.
Ehe Cornelia antworten konnte, erscholl es von der Tür her lachend: »Ich auch nicht, mein Sohn.«
Unbemerkt war Olsen eingetreten, dem sich Kai nun glücklich in die Arme warf.
»Du hast sie fortgeschickt, Old Henry! Sie ist nicht mehr da. Oh, ich bin ja so froh!«
»Das sehe ich«, brummte Olsen vergnügt und drückte den Jungen spontan an seine Brust. »Aber ich bin es auch, Kai. Nun laß mich aber mal zu unserem Häschen. Na, Heike, was machen die Masern?«
»Sind fast verschwunden«, gab Heike erleichtert zurück. »Jetzt brauche ich gar nicht ungezogen zu sein, nicht, Kai?«
Da gab’s nun rätselhafte Blicke zwischen Cornelia und Olsen und einen roten Kopf bei Kai, der schnell ein anderes Thema anschlug.
»Wann machen wir denn nun die Bootsfahrt? Darf Heike dann mitfahren, Old Henry?«
»Daß du es nicht lassen kannst, mich einen alten Henry zu