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Inhalt
Entführt – zwei Kinder in Gefahr
Hat Mami nur das Brüderchen lieb?
»Warum muß ich denn jetzt weg, Mami, wo wir gerade so schön spielen«, beklagte sich Florian, »und wo der Kasper seinen Freund Kalli doch erst noch suchen muß. Wenn der den nun nicht findet?«
»Das nächste Mal wird er weitersuchen und ihn dann ganz bestimmt finden«, tröstete Julia ihr Söhnchen, das ganz im Spiel aufgegangen war.
»Wann ist das nächste Mal?« wollte Florian wissen.
»Bald, mein Liebling«, sagte Julia mit enger Kehle. Sie strich ihm das verwuschelte Blondhaar zurecht. »Hörst du, der Papa hupt schon zum zweiten Mal. Nun komm, sei lieb.«
Der Anorak hing an der Garderobe. Sie griff danach und zog ihn Florian an. Kurz und heftig drückte sie ihn an sich, küßte ihn mit bebenden Lippen auf die Wangen und die Stirn. Dann führte sie ihn die Treppe hinab. Der kleine Junge ging betont langsam.
»Mach nicht so ein betrübtes Gesicht, Florian. Sonst denkt dein Vater noch, du hättest es nicht schön bei mir gehabt.«
Sie legten doch alles zu ihren Ungunsten aus.
Florian sah mit seinen tiefblauen Augen zu ihr empor. »Doch, es war wieder so schön, Mami!«
Vor dem Haus stand Alexanders langgestreckter cremeweißer Wagen, einer von der Luxusklasse, die Aufsehen erregten. Er stieß die Tür auf.
»Na endlich, Sohnemann!«
Für seine Ex-Frau hatte er nur ein steifes Nicken, ein kurzes »Guten Abend«, bei dem er kaum die Lippen bewegte.
Florians Miene hatte sich schlagartig aufgehellt.
»Papi, Papi, was wir alles gemacht haben! Bei den Pferden waren wir, und ganz viele Schafe haben wir gesehen!«
Mehr von dem hörte Julia nicht, was Florian seinem Vater übersprudelnd zu erzählen hatte, während er zu ihm in den Wagen kletterte. Sie hatte sich abgewandt und ging zurück ins Haus.
Oben, in ihrer Wohnung, ließ sie sich in den Sessel sinken. Wie still es nun wieder war! Blicklos starrte sie auf die buntbemalte Kulisse des Kasperle-Theaters, auf der rittlings noch der Kasper saß. Daß es doch immer so weh tat, wenn sie ihr Kind gehen lassen mußte!
Aber wo gab es eine Mutter, der es anders ergehen würde.
Mit einem schweren Aufseufzer barg Julia den Kopf in den Händen.
Der Ring um die Brust blieb.
Ihre Gedanken gingen zurück. Sie sah auf die Trümmer ihres Lebens…
Dabei hatte alles so gut angefangen. Das ganz große Glück glaubte sie gefunden zu haben, als Alexander Rodenbach sie zur Frau nahm. Der blonde Märchenprinz. Der Mann, von dem man nur träumen konnte.
Einundzwanzig war sie gewesen, unbeschwert und phantasievoll, zu jung, um schönen Schein von Realität unterscheiden zu können.
Ihr künstlerisches Talent, wenn man es denn so nennen konnte, war schon früh zum Ausdruck gekommen. Noch in der Schule, auf dem Weg zum Abitur, hatte sie eine Geschichte für den Kinderfunk geschrieben, die bei dem Wettbewerb den 1. Preis gewonnen hatte. Dadurch war man auf sie aufmerksam geworden. Ermutigt hatte sie freudig weitergeschrieben, Szenen und Drehbücher für den Jugendfunk waren dazukommen.
Trotz dieses hübschen Erfolges nahm sie es mehr als Hobby. Sie wollte Literatur und Kunstgeschichte studieren. Aber dann lernte sie Alexander kennen und damit die Liebe, die himmelhochjauchzende, und alle Berufswünsche waren vergessen.
Er war für mich, so dachte Julia jetzt bitter, im wahrsten Sinne des Wortes der Herrlichste von allen.
Daß es keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gab, sie gewissermaßen mit zweierlei Zungen redeten, das merkte sie erst später, als die erste stürmische Leidenschaft verglüht war. Da wurde ihr allmählich kalt neben diesem Mann, der nur dem Mammon nachjagte und für die schönen Dinge des Lebens, wie sie sie verstand, nur ein überlegenes und nachsichtiges Lächeln hatte. Schließlich lächelte er auch nicht mehr darüber.
»Laß mich zufrieden mit Bach und Mozart«, sagte er ungeduldig und nahm ihr schroff die Platte aus der Hand, die sie auflegen wollte.
Herrisch zeigte er sich, und er behandelte seine junge Frau auch vor anderen oft genug wie ein törichtes kleines Mädchen. Das demütigte sie und ließ sie verstummen, so daß sie sich manchmal wirklich so vorkam.
Neuen Mut faßte Julia, als sie schwanger wurde. Ein Kind würde sie verbinden, wenn sie sonst wenig verband. Sie schrieb wieder reizende Kindergeschichten, die auch veröffentlicht wurden, fand zu der Beschwingtheit zurück, die doch ein Teil ihres Wesens war.
»Was mußt du an der Schreibmaschine sitzen«, murrte Alexander. »Das bringt doch nichts ein.«
»Laß mich doch«, lachte sie. »Du verkaufst Autos, und ich schreibe Geschichten.«
Schließlich brachte sie einen gesunden Jungen zur Welt.
Oft war es ja so, daß für die Frau nach der Geburt eines Kindes der Ehemann nur noch die zweite Geige spielte. Bei ihnen war es genau umgekehrt. Alexander war ein so stolzer Vater, daß neben seinem Sohn ihm die Mutter kaum noch wichtig erschien. Auch seine Familie, die Eltern Rodenbach in ihrer großen Villa, vergötterten den Kleinen förmlich und beanspruchten ihn oft genug für sich.
Julia wußte wohl, daß die Schwiegertochter, die Schwägerin für die reichen Rodenbachs mehr oder weniger nur eine Randerscheinung war. Sicher hätten sie sich eine andere Frau für den blendend aussehenden Alexander gewünscht. Nicht so ein zartes junges Ding, das in großer Gesellschaft eher befangen wirkte.
Es hatte ihr nichts ausgemacht, solange Alexander sie liebte.
Aber liebte er sie denn noch? Oder hatte das Schneewittchen, wie er sie früher zärtlich nannte, seinen Reiz bereits für ihn verloren?
»Liebst du mich eigentlich noch?« hatte sie ihn gefragt, als seine kühle Gleichgültigkeit immer deutlicher wurde, seine Umarmungen ihr kein Glück mehr spendeten, weil die Flamme erloschen war.
»Man kann nicht ewig im Honigmond sein«, war seine nichtssagende Antwort gewesen.
Sie mußte sich damit abfinden, auch wenn es schmerzte. Aber auch bei ihm war ja schon eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Es war eben nur ein kurzes rauschhaftes Liebesglück gewesen. Und wenn es zwischen Eheleuten nicht mehr stimmte, vermochte auch ein Kind nichts daran zu ändern.
Ihr