Йозеф Рот

Joseph Roth: Gesamtausgabe - Sämtliche Romane und Erzählungen und Ausgewählte Journalistische Werke


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spröde und hilflos. In der Gesellschaft von Männern benahm sie sich so, daß jeder sich mit ihr beschäftigen mußte, ja, daß jeder glaubte, sie hätte ihm ein Amt zugewiesen. Auf der Bühne sah sie so aus, als würden sie alle Männer verlassen, so, daß jeder männliche Gast im Parkett ihr zu Hilfe auf die Bühne hätte eilen mögen. Am Nachmittag sprach sie mit einer tiefen Stimme, die aus dem Herzen zu kommen schien. Am Abend mit einer hohen, hellen, die aus der Angst kam. Die wohlüberlegte Koketterie, mit der sie sich bei Tag klug und geistreich machte, verwandelte sich am Abend in eine andere, aus der eine edle, stille, demütige Einfalt kam. Sprach man mit ihr und kam die Rede auf einen ihr unangenehmen Gegenstand, so wich sie aus, mit der Elastizität eines Gummiballons, der scheinbar nachgibt und die Luft, das Material seines Widerstandes, verbergen kann, ohne sich merklich zu verändern. Spielte Erna aber, so schien es, daß sie sich mit einer wonnigen Ahnungslosigkeit gerade den Gefahren aussetzte, die sie am Tag so vorausschauend abzuwehren wußte. Man hatte Angst um sie. Man wollte ihr zurufen: Gehen Sie nicht! Sagen Sie das nicht! Nehmen Sie sich in acht! Lügen Sie ein bißchen! Ihr, die sich immer in acht nahm und die meistens log, nicht weil sie so viel zu verbergen hatte, sondern weil sie genau wußte, daß die Lüge reizvoller ist als die Wahrheit, auch wenn man diese kennt und jener nicht glaubt.

      Trotz ihrer großen Fertigkeit schien es mir doch, als könnten auch andere – nicht nur ich, der ich sie kannte, sondern auch Kritiker zum Beispiel (vorausgesetzt, daß sie nur halb soviel von Frauen verstünden wie vom Theater) – erkennen, daß es einen unerklärlichen Widerspruch gab zwischen der Sprödigkeit, mit der sie jeden Augenblick zu zerbrechen drohte, und der schlangenhaften, gespannten, fast muskulösen Elastizität, mit der sie ihren Körper, ihre Arme, ihren Hals bewegte. Sie schlug die Augen im Dialog auf wie im Gebet. Aber es mußte doch schließlich auffallen, daß dieser Blick, der ewig zum Himmel gewandt war, auch wenn es im Text hieß: »Ein Glas Wasser, bitte!«, aus einer großen Gleichgültigkeit kam, aus der Seele eines Menschen, der den Himmel mit einem Gartenzaun verwechseln konnte. Man mußte doch hören, daß die Gabe, immer flehen zu können, die Fähigkeit des Betens ausschloß! Man mußte schließlich erkennen, daß diese Eleganz, die die Gattinnen der Fleischermeister betörte, aus einer Art didaktischer Überlegung kam und nicht zwecklos war wie das Spiel selbst, sondern es unterstützen und den Zuschauer belehren sollte.

      Arnold saß, obwohl wir nahe genug der Bühne waren, mit dem Opernglas da, es schien eine natürliche Fortsetzung seiner Augen zu sein. »Sie ist nicht zufrieden«, sagte er mir, »wenn ich sie ohne Glas betrachte. Sie sagt, mein nacktes Auge könnte ihr Unglück bringen. Ich sehe nicht durchs Opernglas, um sie besser zu beobachten, sondern um ihr nicht mein Gesicht zu zeigen.«

      Ich aber ahnte, ja, ich glaubte es zu wissen, daß Erna nicht das Auge fürchtete; daß es ihr daran lag, von Arnold deutlich gesehen zu werden, deutlich und unerreichbar, und seine Phantasie zu entzünden durch eine vorgetäuschte Nähe, die auf Distanz nicht zu verzichten brauchte. Auch erkannte ich wohl an Arnold, daß er litt, indem er so nahe sah, was ihm zu halten nicht möglich war.

      Warum aber plagte sie ihn? Ich fand keine Antwort, ich finde sie auch heute nicht. Ich glaube, daß Erna von der Qual Arnolds lebte, daß sie den Schmerz des Liebenden brauchte wie andere Frauen den Liebenden allein. Es ist nicht wahr, daß es Frauen gibt, die zwecklos quälen. Sie brauchen die Qual des andern wie ein Heil-oder wie ein Schönheitsmittel. Auch glaube ich, daß die abergläubischen Methoden, deren sich Schauspielerinnen so gerne bedienen, nicht aus einer reinen Furcht kommen, sondern einen vernünftigen Grund haben und einen überlegten Zweck verhüllen, wie es der Aberglaube Ernas tat.

      Arnold Zipper sang den Ruhm seiner Frau. Er war schließlich durch allerlei Verbindungen, durch ein Zusammenspiel von Zufällen, das bereits wie ein Schicksal aussah, Filmredakteur an einer Mittagszeitung geworden.

      Es schien mir, daß er endlich den Beruf gefunden hatte, der ihm paßte. Er besaß gerade jene konziliante Art, in der allein man etwas kritisieren kann, an dem man finanziell beteiligt ist. An der Stelle, an der er sich befand, galt es, eine Unparteilichkeit so geschickt vorzutäuschen, daß die Empfindlichkeit der Inserenten nicht getroffen wurde. Schlechte Filme durfte man nicht loben, aber man mußte an ihnen immerhin so viel Interessantes finden, daß das Publikum nicht wenigstens sofort darauf verzichtete, sie zu sehen. Es war schwer, sich in dem dunklen und unübersichtlichen Gewirr auszukennen, das die Zeitungs-und die Filmindustrie zueinander gesponnen hatten.

      Es gab wichtige Nachrichten, die man zurücklegen mußte, um abzuwarten, ob und wann derjenige, von dem man die Nachricht bekam, sie auch bezahlen würde. Es gab andere, unwichtige, die keinen Leser etwas angingen und die man brachte, weil sie aus einer Quelle stammten, die jedes halbe Jahr regelmäßig Geld spendete. Es gab Nachrichten von feindlichen Seiten, die man sofort in den Papierkorb warf. Es gab verstohlene Nachrichten von Gegnern, die sich auf eine verzweifelt listige und außerordentlich geheimnisvolle Weise einzuschmuggeln versuchten und die man schnell entlarven und unerbittlich zurückweisen mußte. Es gab Zeitschriften, aus denen man Nachrichten und Artikel »schneiden« durfte, und andere, die auf dem Index des Verlegers standen. Es gab Interviews mit Finanzleuten aus der Filmwelt, die man just zu einer bestimmten Stunde bringen mußte, an einem ganz bestimmten Tag, an dem die internationale »Konstellation« einem Interview hold war. Es gab Fusionen, von denen man schon wußte, zwei Wochen ehe sie noch zustande gekommen waren, und die der Welt mitzuteilen Arnold begierig war. Aber nein! Der Verleger befahl Geduld selbst auf die Gefahr hin, daß ein Konkurrenzblatt die Nachricht früher brächte. Manchmal mußte man die Konkurrenz fürchten und ein anderes Mal die traurigen Konsequenzen eines Berichts.

      Immer aber fürchtete Arnold den Verleger.

      Immer fürchtete Arnold den Verleger. Was er tat, schien ihm so wichtig, seinen Beruf nahm er so ernst, daß er um keinen Preis seine Stellung verlieren wollte. Er hatte keine Angst vor der Arbeitslosigkeit oder vor dem Hunger. Aber hier, wo er saß, war der einzige Ort, an dem er für seine Frau arbeiten konnte – soviel eben Arnold für seine Frau arbeiten konnte. Hier erfuhr er von günstigen Möglichkeiten, die sie ausnützen konnte, von drohenden Gefahren, die sie meiden sollte, von Persönlichkeiten, die »noch in Position« oder schon ausgeschieden, von Rollen, die noch unbesetzt waren, von auftauchenden Rivalinnen und von drohenden Intrigen. Oh, wie heilig war Arnold dieser Beruf! Fast als Gleichberechtigter saß er jetzt am Tisch der Schriftsteller – manche bedurften seiner Unterstützung und schmeichelten ihm sogar –, nicht mehr in dem alten Wiener Stammcafé, in dem er so gerne diesen Triumph erlebt hätte, aber immerhin in einem Literatencafé. Von Zeit zu Zeit kam einer aus Wien herüber, sah Arnold Zipper im Kreise von bedeutenden Männern und wunderte sich: »Ei sieh! in Berlin ist sogar der Zipper was geworden!« Der Kundschafter kehrte nach Wien zurück, ließ sich von den Stammgästen umringen und rief:

      »Der Zipper ist kein Kiebitz mehr!«

      Arnold Zipper war jetzt Mitglied mehrerer Vereine. Keiner Wohltätigkeitsvereine, wie sein Vater! Es gab einen Verein für die Errichtung eines Asta-Nielsen-Denkmals, einige Journalistenvereine, einen Verein, der jährlich Filmfeste veranstaltete mit Schönheitskonkurrenzen und Damenboxen. Überall war Arnold ein lebhaftes Mitglied.

      Er war weit davon entfernt, die unsauberen Geschäfte, die er redigierte, zu bedauern. Ich glaube, daß er nicht einmal merkte, wie er für ganze und halbe Lügen bezahlt wurde. Er selbst ließ sich nicht bestechen, er nahm nicht einmal kleine Geschenke an, keine harmlose Einladung, wenn er eine verborgene Absicht spürte. Er log nur für seinen Chef. Er war wie die meisten ehrlichen Handlanger der Verdiener.

      Er sah nur eine Aufgabe: seiner Frau nützlich zu sein. Weit von ihr entfernt, an der Peripherie ihres Lebens, streifte er herum. Sie wohnten nicht zusammen, sie aßen nicht, sie schliefen nicht, sie kamen nicht miteinander zusammen. Aber daß jedermann wußte, daß Arnold Zipper der Mann der entzückenden, wenn auch Männern nicht gefälligen Filmschauspielerin war, genügte ihm, oder genügte ihm nur scheinbar. Denn ich erfuhr später, daß er einer der unglücklichsten Menschen war, die jemals zwischen dem Film und der Zeitung gelebt hatten, obwohl er immerhin noch glücklicher aussah als zwei Jahre früher in Wien und ohne seine Frau.

      Für sie beugte er seinen Rücken, wenn sein Verleger ihn