Йозеф Рот

Joseph Roth: Gesamtausgabe - Sämtliche Romane und Erzählungen und Ausgewählte Journalistische Werke


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was die Sarah Bernhardt verdient.«

      »Wer spricht denn unter solchen Umständen vom Geld?«

      »Ich habe dir oft aushelfen müssen, mein Sohn, seitdem du mit ihr verheiratet bist. Und du weißt, daß meine Geschäfte nicht die besten sind. Mein Prozeß kostet mir schon ein schönes Geld. Jetzt habe ich noch diese kostspielige Reise bezahlen müssen.«

      »Wie kannst du mir in dieser Situation das Geld vorwerfen? Du weißt, daß ich eine Künstlerin geheiratet habe.«

      »Kunst geht nach Brot!« bestätigte der alte Zipper.

      »Und ich will dir gleich sagen«, fuhr Arnold fort, »daß du mir morgen noch für die Reise Geld beschaffen mußt. Es ist gut, daß du gekommen bist. Wenn Erna wirklich einen Unfall erlitten hat, muß ich sie in das allerbeste Sanatorium bringen. Sie soll nicht daran denken, Vorschüsse zu nehmen, die sie für Jahre verpflichten. Ich muß ihr die materielle Freiheit sichern.«

      »Wieviel Geld brauchst du?« fragte der Alte. In diesem Augenblick ahmte er einen der vielen amerikanischen Milliardäre nach, die er im Kino gesehen hatte, jene Milliardäre, die das Scheckbuch lose in der Westentasche tragen und bereit sind, ihren Söhnen mit väterlicher Großmut aus schwierigen Lagen zu helfen.

      »Soviel du aufbringen kannst!« sagte Arnold.

      »Das geht zu weit!« empörte sich der Alte, der jeden Monat vergebliche Anstrengungen machen mußte, um einen seiner fälligen Wechsel zu prolongieren.

      »Wenn man nur wüßte, ob die Kunst sie wirklich ganz okkupiert hat«, fuhr der alte Zipper fort, ruhiger und mit dem Ton eines Sachverständigen, der sich selbst seine Sachkenntnis durch die Wahl einer so preziösen Wendung bestätigt.

      »Sie ist die leidenschaftlichste Schauspielerin, die ich jemals gesehen habe!« rief Arnold. »Für eine einzige Bewegung ihrer Hand gebe ich alle Monologe der berühmten Tragödinnen.«

      »Zur großen Tragödin fehlt ihr schon die Statur!« widersprach der alte Zipper. »Übrigens habe ich sie noch nicht gesehen!«

      »Oh, wenn sie jetzt gesund wäre, du würdest sie heute abend sehen und mir recht geben.«

      »So, sind Sie auch von ihr überzeugt?« fragte mich der Alte.

      »Ich glaube, daß sie sehr viel kann«, erwiderte ich.

      »Ja, ja, sie kann viel!« wiederholte Zipper. Und schon merkte ich, wie in dem Alten der Stolz auf die Schwiegertochter wieder erwachte, den er nur zurückgedrängt hatte, gleichsam um sich selbst und seine verletzte Eitelkeit auch einmal zur Geltung zu bringen. Erfüllt von dem Gegenstand seines Prozesses und die Rolle vorbereitend, die er morgen vor dem Gericht – und vor einem Berliner, wo alles klappte – spielen würde, hatte er sich gezwungen gesehen, seiner Schwiegertochter weniger Bedeutung beizumessen, als sie in ruhigen Zeiten verdiente. Nun aber war sie durch den Unfall nicht nur als Privatmensch, sondern auch als Schauspielerin wieder zur größeren Geltung gekommen. Der alte Zipper widersprach seinem Sohn eigentlich nur noch aus dramatischen Gründen, um sich auszusprechen, um den Dialog nicht absterben zu lassen und weil er sich gerne den Anschein gab, daß er nur sehr schwer und nur nach längerer Zeit zu überzeugen war.

      Deshalb stritten sie noch eine Weile über das Genie Ernas.

      Über den Alten wunderte ich mich nicht. Ich beobachtete einigermaßen erstaunt meinen Freund Arnold. Mir war, als hätte ich die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn erst in dieser Stunde feststellen können, in der sie miteinander über einen Gegenstand stritten, von dem sie eigentlich das gleiche dachten. Ich bemerkte in Arnolds Angesicht denselben Zug einer verspielten kindischen Seligkeit, die das Angesicht des Alten so schicksalhaft zeichnete. Nur, daß sie in Arnolds Angesicht von einem traurigen Schleier überweht schien. Es war, als besäße der Sohn schon das Wissen von der Lächerlichkeit seiner selbst und wäre deshalb tragisch; während der Vater noch die gleiche Eigenschaft mit dem siegreichen Stolz eines Menschen trug, der zu wissen glaubt, daß er gerade infolge dieser Anlage triumphieren wird.

      Wir saßen noch lange so – Arnolds Zug ging erst am Abend –, tranken viele Tassen Kaffee und sprachen von Erna. Endlich – es dämmerte schon – sagte Zipper mit erhobener Stimme, und er glich einem Fanatiker der Gerechtigkeit, der nur ihren Triumph will und auf seinen eigenen verzichtet:

      »Was Recht ist, ist Recht! Der Wahrheit die Ehre! Zeig mir ein Bild von Erna!«

      Arnold brachte ein Dutzend Photographien. Erna in verschiedenen Rollen. Der alte Zipper zog ein Vergrößerungsglas aus der Tasche, kniff ein Auge zu und betrachtete, über den Tisch gebeugt, die Photographien.

      Endlich sagte er:

      »Du scheinst recht zu haben! Sie hat eine edle Haltung, möcht ich sagen! Ich hör sie fast deklamieren! Medea! Am Schluß, wie sie die vergifteten Gewänder hinüberschickt, du weißt schon! Schade, daß ich so selten im Burgtheater bin. Da kriegt man nicht leicht Freikarten, und außerdem laß ich mich nicht gerne traurig machen. Aber sie hat eine edle Haltung, diese Frau. Wenn sie einmal zum Burgtheater kommt, werde ich doch hingehen!«

      Und Arnold, Arnold, der seinen Vater so genau kannte wie ich, Arnold rief: »Nicht wahr, sie ist eine große Schauspielerin?!« Als hätte er die Kritik aus dem Munde eines großen Kenners vernommen.

      Der Abend fiel ins Zimmer und verwischte die Züge in beiden Gesichtern. Jetzt saßen sie da und glichen einander wie zwei Brüder. Man sah weder des Alten graue Haare noch die braunen des Jungen.

      Sie saßen beide im Abend wie in einem Schiff und segelten langsam, töricht und selig dem gleichen Schicksal entgegen.

      Am nächsten Vormittag fand Zippers Prozeß statt. Und obwohl dieser Prozeß nur eine unbedeutende Episode im Leben der beiden Zippers bedeutete und in dem Bericht, den ich eben verfasse, kein wichtiges Detail werden kann, darf ich es mir doch nicht versagen, so viel von der Gerichtsverhandlung mitzuteilen, als ich selbst zu wissen glaube. Denn ich war nicht während der ganzen anwesend. Auch hatte ich weder Zeit noch Lust, mich, wie die Juristen sagen, in die Materie des Prozesses zu versenken. Ich weiß im allgemeinen nur, daß der alte Zipper selbstverständlich im Unrecht war und daß er es aus Leichtsinn und Freude an unangenehmen Geschäften auf den Prozeß hatte ankommen lassen. Es handelte sich um Aufträge auf Papierlieferungen nach Deutschland: so viel im allgemeinen. Aber der Gegenstand der Verhandlung kümmerte mich ja weniger als seine Hauptperson.

      Ich kam in den Gerichtssaal, nachdem die Verhandlung schon zwei Stunden gedauert hatte. Es waren nur sehr wenige Zuhörer da. Der alte Zipper bemerkte mich sofort. Er saß neben seinem Verteidiger, und obwohl dieser die gewohnte Robe des Gerichtsmenschen trug, erschien der alte Zipper weitaus feierlicher und gewissermaßen juristischer. Er trug einen schwarzen Anzug, ein Zylinder lag vor ihm auf der Bank, er blätterte in den Papieren einer Aktentasche, trank jedesmal einen Schluck Wasser und blickte von Zeit zu Zeit in den Zuhörerraum, obwohl so wenige Leute ihm zusahen. Er sah mich sofort, als ich eintrat, winkte mir leutselig mit der Hand und wies mir auf der ersten Bank einen Platz an. Er lächelte mir zu. Er spielte mit einem Bleistift, schnitzte ihn und verursachte ein schwirrendes, regelmäßiges Geräusch, das den Richter veranlaßte, einen Augenblick innezuhalten, obwohl er gerade dabei war, einen sehr langen und wichtig klingenden Satz auszusprechen. Es schien, daß niemand im Saal etwas Merkwürdiges am alten Zipper zu bemerken hatte. Vielmehr waren alle von seiner Würde eingenommen. Wahrscheinlich glaubten sie, die ihn nicht so gut kannten wie ich, er folge mit geschärfter Gewissenhaftigkeit dem Gang der Handlung und er sei seines Rechtes so gewiß, daß er nur noch mit einer großen und dem Kläger ungünstigen Überraschung in seiner Aktentasche bis zum Schluß warten wolle. Sooft der Anwalt Zippers etwas sagte, horchte der Alte auf, um einen Augenblick später verneinend den Kopf zu schütteln. Ja, dieser sonderbare Angeklagte ging so weit, daß er sich vor den Blicken seines Verteidigers mit dem Richter durch verständnisvolles Augenzwinkern über die Naivität des Anwalts lustig zu machen schien. Der Verteidiger setzte sich wieder, einigermaßen verwirrt, und erkundigte sich beim alten Zipper, ob er etwa einem Irrtum unterlegen sei. Und breit