Йозеф Рот

Joseph Roth: Gesamtausgabe - Sämtliche Romane und Erzählungen und Ausgewählte Journalistische Werke


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      Henry Bloomfield trinkt seinen Mokka sehr schnell, eine halbe Schale läßt er stehn. Er nippt nur flink, wie ein durstiger Vogel.

      Er bricht ein kleines Törtchen entzwei und läßt ein halbes liegen. Er hat keine Geduld für die Nahrung, er vernachlässigt seinen Leib, er ist mit gewaltigen Dingen beschäftigt.

      Er denkt an große Gründungen, Henry Bloomfield, des alten Blumenfelds Sohn.

      Viele Menschen kamen vorbei und begrüßten Bloomfield, sein Sekretär Bondy sprang immer auf, er schnellte in die Höhe, als zöge ihn jemand an einem Gummiband, Bloomfield aber blieb immer sitzen. Es schien, daß der Sekretär auch die Aufgabe hatte, alle Höflichkeit für Bloomfield zu erfüllen.

      Einigen reichte Bloomfield sein kleines Händchen, den meisten nickte er nur zu. Dann steckte er seinen Daumen in die Westentasche und trommelte mit den übrigen vier Fingern auf der Weste.

      Manchmal gähnt er, ohne daß man es merkt. Ich beobachte nur, wie seine Augen wässerig werden und seine Brille trübe. Er putzt sie mit einem riesengroßen Taschentuch.

      Er schien sehr vernünftig, der kleine große Henry Bloomfield. Nur daß er just im Zimmer Nummer 13 wohnen mußte, war amerikanisch. Ich glaube nicht an die Ehrlichkeit seines Aberglaubens. Ich habe gesehen, daß viele vernünftige Menschen sich absichtlich eine kleine Verrücktheit zulegen.

      Zwonimir war merkwürdig still. So still war Zwonimir noch nie gewesen. Ich hatte Angst, daß er über eine Möglichkeit nachdachte, Bloomfield umzubringen.

      Plötzlich kommt Alexanderl herein. Er grüßt sehr tief, er schont seinen neuen Filzhut nicht. Er lächelt mir intim zu, so daß jeder merken muß: Hier sitzen Alexanders Freunde.

      Alexander geht ein paarmal hin und zurück durch den Raum, als suchte er jemanden.

      In Wirklichkeit aber hat er hier niemanden zu suchen.

      »Amerika ist doch ein interessantes Land«, sagte der dumme Militärarzt, weil man schon eine Weile geschwiegen hatte.

      Und er fuhr mit seiner alten Klage fort: »Hier in dieser Stadt verbauert man. Der Schädel wird einem zugenäht. Das Gehirn verdorrt.«

      »Aber die Kehle nicht«, sage ich.

      Bloomfield sah mich mit einem dankbaren Blick an. Kein Zug seines Gesichts verriet, daß er lächelte. Nur seine Augen bemühten sich, von unten her über den Rand der Brille zu blicken, und bekamen so einen spöttischen Ausdruck.

      »Sie sind ja fremd hier?« fragte Bloomfield und sah uns beide an, Zwonimir und mich.

      Es war die erste Frage, die Bloomfield getan hatte, seitdem er angekommen war.

      »Wir sind Heimkehrer«, sage ich, »und halten uns nur zum Spaß hier auf. Wir wollen weiterfahren, mein Freund Zwonimir und ich.«

      »Sie sind schon lange unterwegs«, fiel der höfliche Bondy ein.

      Es war ein prächtiger Sekretär – Bloomfield brauchte nur ein Stichwort zu sagen, und schon setzte Bondy Bloomfields Gedanken in Rede um.

      »Sechs Monate«, sage ich, »sind wir unterwegs. Und wer weiß, wie lange noch.«

      »Es ist Ihnen schlimm ergangen in der Gefangenschaft?«

      »Im Kriege war es schlimmer«, sagt Zwonimir.

      Wir sprechen nicht mehr viel an diesem Tage.

      Die drei Reisenden aus Deutschland kommen in den Saal, Bloomfield und Bondy verabschieden sich und setzen sich mit den Drillingen an den Tisch.

      Die Branche der Drillinge waren Juxgegenstände – das erfuhr ich am nächsten Tage vom Zimmerkellner. Es waren keine Drillingsbrüder. Die gemeinsamen Interessen hatten sie so verbrüdert.

      Viele Menschen kamen aus Berlin, dem letzten Aufenthalt Bloomfields. Sie reisten ihm nach.

      Nach zwei Tagen kam Christoph Kolumbus.

      Christoph Kolumbus war Bloomfields Friseur. Er gehörte zum Gepäck Bloomfields und kam immer als Nachsendung.

      Er ist ein gesprächiger Mensch, der Abkunft nach ein Deutscher. Sein Vater war ein Verehrer des großen Kolumbus gewesen und hatte seinen Sohn Christoph Kolumbus getauft. Aber der Sohn mit dem großen Namen ward ein Friseur.

      Er ist ein Mann mit Geschäftssinn und guten Manieren. Er stellt sich jedem vor: Christoph Kolumbus, Friseur des Mister Bloomfield. Er spricht ein gutes Deutsch mit rheinländischem Akzent.

      Christoph Kolumbus ist schlank und groß und hat gekräuseltes Haar, blondes, und gutmütige Augen, wie aus blauem Glas.

      Er ist der einzige bessere Friseur in dieser Stadt und im Hotel Savoy, und weil er kein Geld verschmäht und es ihm sonst langweilig würde, beschließt er, sich im Hotel einen Laden zu eröffnen, und er bewirbt sich um die Erlaubnis bei Bloomfield.

      Es gab gerade einen freien kleinen Raum neben der Loge des Portiers. Dort lagerten immer Gepäckstücke der Gäste, die im Begriff waren abzureisen oder sich für ein paar Tage entfernt hatten, um wiederzukommen.

      Ignatz erzählte mir, daß Christoph Kolumbus sich in diesem Raum festsetzen wollte.

      Es gelang ihm, Kolumbus war ein gescheiter Kerl. Dünn und schlank, wie er war, schien er in jeden Winkel zu passen. Es war überhaupt sein Schicksal, Lücken im Leben zu erspähen und sie auszufüllen. Wahrscheinlich war er so Bloomfields Friseur geworden.

      Die Leute wußten hier kaum, daß der Friseur einen berühmten Namen lächerlich machte. Nur Ignatz wußte es und der Militärarzt und Alexanderl.

      Zwonimir fragte mich: »Gabriel, du bist ein gebildeter Mann, hat Kolumbus Amerika entdeckt oder nicht?«

      »Ja.«

      »Und wer war Alexander?« fragte Zwonimir weiter.

      »Alexander war ein mazedonischer König und ein großer Welteroberer.«

      »So, so«, sagte Zwonimir.

      Am Abend kamen wir mit Alexanderl im Fünf-Uhr-Saal zusammen.

      »Was sagen Sie zu diesem Friseur Kolumbus?« lachte Alexander. »Ausgerechnet Kolumbus heißt er.«

      Zwonimir schickt mir einen schnellen Blick zu und sagt:

      »Wenn ein Friseur Christoph Kolumbus heißt, ist es noch lange nicht so schlimm. Aber Sie heißen Alexander! …«

      Das war ein gutes Wort, und Alexander schwieg.

      Manchmal sage ich: »Zwonimir, laß uns abreisen.«

      Aber jetzt will Zwonimir erst recht nicht. Bloomfield ist da, und das Leben wird von Tag zu Tag interessanter. Es kommen mit jedem Zug Fremde aus Berlin. Kaufleute und Agenten und Nichtstuer. Alle Menschen zieht Bloomfield herbei. Der Friseur Kolumbus rasiert heftig. Der Gepäckraum sieht freundlich aus, mit zwei großen Wandspiegeln und einer Marmorplatte. Kolumbus ist der geschickteste Barbier, den ich in meinem Leben je gesehn habe. In fünf Minuten ist man fertig. Das Haarschneiden besorgt er nach neuester Methode mit dem Rasiermesser. Nie hört man in seinem Laden eine Schere klappern.

      Weiß der Teufel, woher Zwonimir das Geld für uns beide nahm. Unsere Zimmerrechnung war schon sehr hoch. Zwonimir dachte nicht daran, sie zu bezahlen. Sein Geld legte er jeden Abend vor dem Schlafengehn unters Kopfkissen. Er hatte Angst, daß ich es ihm stehlen könnte.

      Wir lebten fast so gut wie Bloomfield und gingen in die Armenküche, wenn es uns gefiel. Und wenn es uns nicht gefiel, aßen wir im Hotel. Und nie ging uns das Geld aus.

      Einmal sage ich zu Zwonimir: »Ich packe und gehe zu Fuß weiter! Wenn du nicht willst, bleib hier!«

      Da weinte Zwonimir. Es waren ehrliche Tränen.

      »Zwonimir«, sage ich, »dies ist