Joseph Roth: Gesamtausgabe - Sämtliche Romane und Erzählungen und Ausgewählte Journalistische Werke
kann nichts dafür, Taddeus Montag, daß er kein Geld verdient. Er zeichnete die Karikatur des Planeten Mars oder den Mond oder längst verstorbene Griechen-Helden. Agamemnon war auf seinen Bildern zu finden, wie er Klytämnestra betrügt – im Felde, mit einem rundlichen trojanischen Mädchen. Auf einem Hügel stand Klytämnestra und sah durch ein riesiges Opernglas die Schande ihres Mannes.
Ich entsinne mich, daß Taddeus Montag die ganze Geschichte von den Pharaonen bis zur Gegenwart grotesk verdrehte. Montag reichte seine verrückten Blätter so selbstverständlich herüber, als zeigte er Hosenknöpfe zur Auswahl. Einmal zeichnete Taddeus Montag ein Schild für einen Tischlermeister. Er zeichnete einen überdimensionalen Hobel in die Mitte, daneben auf einem großen Holzgerüst einen Mann mit einem Zwicker auf der Nase, der einen kleinen Bleistift an dem riesigen Hobel spitzte.
Und dieses Schild lieferte er sogar ab. –
Es kamen wunderbare Lügner, der Mann mit dem Glasauge, der ein Kino gründen wollte. Nun war die Ausfuhr deutscher Filme sehr schwierig, das wußte Bloomfield – und ließ sich auf die Sache gar nicht ein.
In dieser Stadt fehlt nichts so sehr wie ein Kinotheater. Es ist eine graue Stadt mit viel Regen und trüben Tagen, die Arbeiter streiken. Man hat Zeit. Die halbe Stadt würde tagsüber und eine halbe Nacht im Kino sitzen.
Der Mann mit dem Glasauge heißt Erich Köhler und ist ein kleiner Regisseur aus München. Er stammt aus Wien, so erzählt er, aber mich kann er nicht täuschen, mich, der ich die Leopoldstadt kenne. Erich Köhler stammt, es ist kein Zweifel, aus Czernowitz, und das Auge hat er nicht im Krieg verloren. Das hätte schon ein viel größerer Weltkrieg sein müssen.
Er ist ein ungebildeter Mensch, er verwechselt Fremdwörter, er ist ein schlimmer Mensch – er lügt nicht aus Freude an der Lüge, sondern er verkauft seine Seele um schäbigen Gewinn.
»In München habe ich die Kammerlichtspiele eröffnet, mit einer Ansprache an die Presse und die versammelten Behörden. Es war im letzten Kriegsjahr, wenn die Revolution nicht gekommen wäre – Sie wüßten heute besser, wer Erich Köhler ist.«
Und eine Viertelstunde später erzählt er von intimen Freundschaften mit russischen Revolutionären.
Er war eine Größe, der Erich Köhler.
Der andere Herr, der Jüngling mit den französischen Stiefeln, ein Elsässer, versprach Gaumontfilme und gründete wirklich ein Kino. Bloomfield hatte keine Lust, den Leuten seiner Heimatstadt Vergnügungen zu verschaffen. Aber der französische Jüngling kaufte einen Milchladen von Fränkel, dessen Geschäft schlechtging, und druckte Plakate und verkündete Amüsement für Jahrzehnte.
Nein, es war nicht leicht, von Bloomfield Geld zu bekommen.
Ich war mit Abel Glanz in der Bar, da saß die alte Gesellschaft. Glanz erzählte mir im Vertrauen – Glanz erzählte alles im Vertrauen –, daß Neuner kein Geld bekommen hatte und daß Bloomfield überhaupt kein geschäftliches Interesse an dieser Gegend mehr hatte. In einem Jahr verzehnfachte sich sein Vermögen in Amerika – was ging ihn die schlechte Valuta an?
Bloomfield hatte viele enttäuscht. Die Leute wurden ihre Devisen nicht los, das Geschäft ging genauso weiter, als wäre Bloomfield aus Amerika gar nicht gekommen. Dennoch verstand ich nicht, weshalb jetzt plötzlich die Fabrikanten mit ihren Frauen auf den Plan traten und mit den Töchtern.
Es änderte sich nämlich inzwischen vieles in der Gesellschaft des Fünf-Uhr-Saals.
Vor allem hat Kaleguropulos Musik bestellt, eine fünf Mann starke Kapelle, sie spielt Walzer wie Märsche, das Temperament geht mit ihnen durch. Fünf russische Juden spielen jeden Abend Operetten. Und der Primgeiger hat gekräuseltes Haar für die Damen.
Nie waren Damen zu sehen gewesen.
Jetzt hatte Fabrikant Neuner Frau und Tochter, Kanner war Witwer mit zwei Töchtern, Siegmund Fink hatte eine junge Frau, und dann kam noch Phöbus Böhlaug, mein Onkel, mit seiner Tochter.
Phöbus Böhlaug begrüßt mich mit herzlichen Vorwürfen. Ich hätte ihn besuchen müssen.
»Ich habe jetzt keine Zeit«, sage ich.
»Du brauchst kein Geld mehr«, antwortet Phöbus.
»Sie haben mir nie etwas gegeben –«
»Nichts für ungut«, flötet mein Onkel Phöbus.
XXII
Ich verstand nicht, wozu Henry Bloomfield eigentlich gekommen war. Nur um die Musik spielen zu lassen? Damit die Damen kämen?
Eines Tages tauchte Zlotogor, Xaver Zlotogor, der Magnetiseur, im Fünf-Uhr-Saal auf. Er hatte sein schelmisches Judenjungengesicht aufgesetzt, er ging zwischen den Tischen herum und begrüßte die Damen, und sie nickten ihm alle freundlich zu und baten ihn, Platz zu nehmen. Er mußte sich an jeden Tisch setzen, überall saß er fünf Minuten und stand auf, und dann küßte er den Damen die Hände, er küßte fünfundzwanzig Hände in einer Stunde.
Er kam auch zu mir, Zwonimir saß auch dabei und fragte ihn:
»Sind Sie der Mann mit dem Esel?«
»Ja«, sagte Zlotogor, ein bißchen befremdet, denn er war ein stiller Mensch, sein Element war die Lautlosigkeit, er haßte das Gepolter Zwonimirs.
»Ein guter Witz«, lobt Zwonimir weiter und weiß nicht, daß seine laute Fröhlichkeit nicht erwünscht ist.
Den Xaver Zlotogor konnte er allerdings nicht vertreiben. –
Im Gegenteil: Zlotogor setzte sich und erzählte mir, daß er eine gute Idee habe. Es war jetzt keine Saison für öffentlichen Magnetismus, er wollte die Ferien ausnützen und privat magnetisieren. Im Hotel, in seinem großen Zimmer im dritten Stock. Er wollte Damen empfangen, die an Kopfschmerzen litten.
»Prächtige Idee«, schreit Zwonimir.
»Herr Doktor«, schreit Zwonimir zum Militärarzt hinüber, und Zlotogor, der Magnetiseur, sitzt da, er hätte Zwonimir erdolchen mögen.
Aber Zwonimirs starker Natur schadet kein Magnetismus.
Der Militärarzt kommt herüber.
»Sie bekommen Konkurrenz«, sagt Zwonimir und zeigt auf den Magnetiseur.
Xaver Zlotogor sprang auf, er wollte größeres Unglück verhüten und das Geschrei Zwonimirs und erzählte deshalb selbst von seinen Absichten.
»Gott sei Dank«, sagt der Militärarzt, der nicht gerne arbeitet. »Da werde ich kein Aspirin mehr verschreiben. Ich schicke Ihnen alle Patienten.«
»Verbindlichen Dank«, sagt Zlotogor und verneigt sich.
Und am nächsten Tag kamen ein paar Damen und schickten Briefe zu Zlotogor hinauf. Ins Hotel traute sich keine, aber Zlotogor nahm es nicht genau. Er ging in die Häuser magnetisieren.
»Es ist merkwürdig«, sage ich zu Zwonimir, »siehst du, wie sich die Menschen verändern, weil Bloomfield, mein Chef, da ist? Jeder hat plötzlich geschäftliche Ideen in diesem Hotel und in dieser Stadt. Jeder will Geld verdienen.«
»Ich habe auch eine Idee«, sagte Zwonimir.
»Ja?«
»Bloomfield umzubringen.«
»Wozu?«
»So zum Spaß, das ist ja keine geschäftliche Idee, und sie hat auch keinen Zweck.«
»Weißt du übrigens, wozu Bloomfield da ist?«
»Um Geschäfte zu machen.«
»Nein, Zwonimir, Bloomfield pfeift auf diese Geschäfte. Ich möchte gerne wissen, weshalb er hier ist. Vielleicht liebt er eine Frau. Aber die könnte er ja hinübernehmen. Eine Frau ist kein Haus, aber sie kann auch verheiratet sein. Dann ist sie noch schwieriger fortzubringen als ein Haus. Ich glaube nicht, daß Bloomfield hierherkommt, um die