F. John-Ferrer

Und über uns die Ewigkeit


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nur, nimmt ein paar Schlucke aus dem Glas und stellt es dann auf den Nachttisch.

      »Übrigens«, sagt er entschlossen, »ich habe hier noch einen Bekannten getroffen.«

      Ein fragender Blick trifft ihn.

      »Horst«, sagt Rudolf und wartet die Wirkung seiner Worte ab. Doris senkt den Kopf. Es sieht fast aus, als sei sie erschrocken.

      Rudolf erzählt ihr jetzt, wie er mit Horst zusammengetroffen ist.

      »Wie geht es ihm?«, fragt sie dann.

      »Oh, gut. Vor einer Stunde waren wir auf einer Stippvisite in England. Leider bin ich gleich bei meinem ersten Feindflug abgeschossen worden, vorher habe ich aber noch einen runterholen können.«

      Wieder huscht ein seltsamer Blick über Rudolf hinweg. Dann die leisen Worte: »Ich gratuliere Ihnen zum Erfolg und zu Ihrer Rettung, Herr Leutnant.«

      »Unsinn, für Sie bin ich Rudolf, wie Sie für mich Doris sind.«

      Sie nickt. »Es gibt seltsame Zufälle im Leben.«

      »Da haben Sie recht«, sagt er. Dann erzählt er mit anschaulichen Worten von seinem Abschuss, trinkt dabei den Grog aus und fragt plötzlich: »Was ist übrigens aus Heinz Berger geworden, Doris?«

      »Er ist tot.«

      Rudolf stellt das leere Grogglas auf den Nachttisch. »Heinz – tot?«

      »Ja. Ich erhielt Ende Mai die Nachricht, dass er bei einem Bombenangriff auf Emden ums Leben kam.«

      Kurzes Schweigen. Draußen tutet ein Schiff. Im Flur gehen Schritte vorüber.

      »Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie mit Heinz verlobt, nicht wahr?«, fragt Rudolf vorsichtig.

      Sie nickt nur und steht auf. »Ich muss jetzt gehen, Rudolf.«

      »Bitte bleiben Sie noch – nur fünf Minuten. Ich möchte noch so vieles fragen, Doris.«

      Sie trägt den Stuhl zurück und fragt dabei: »Warum ich mich von Horst getrennt habe?«

      »War Heinz Berger der Grund?«

      »Ich habe mich mit Heinz erst verlobt, als Horst mir sagte, dass … Ach«, unterbricht sie sich, »lassen wir das. Ich werde mich jetzt um Ihre Kleider kümmern. Sie hängen bereits auf dem Trockenboden. Ich bügele sie dann und richte Ihnen alles wieder her.«

      »Nett von Ihnen, Doris. Aber noch eine Frage!«

      Sie blickt misstrauisch herüber.

      »Soll ich Horst sagen, dass Sie hier sind?«

      »Mir ist das gleichgültig. Man soll eine zerbrochene Vase nicht mehr kitten. Ich überlasse es Ihnen, Rudolf, ob Sie Horst etwas sagen wollen oder nicht.«

      Sie geht. Rudolf sinkt zurück und blinzelt zur weiß getünchten Zimmerdecke empor.

      Die Welt ist also doch ein Dorf, denkt er. Wenn ich es Horst erzähle, wird er aus allen Wolken fallen. Oder soll ich es ihm verschweigen? … Sie sieht reifer aus, sie ist ausgeglichener geworden. Wie alt ist sie jetzt? So um die Zwanzig herum, wenn ich mich recht erinnere … Hm … Sie hat sich in dem einen Jahr sehr zu ihrem Vorteil entwickelt. Dabei sah sie schon damals verdammt niedlich aus. Hätte ich damals nicht Marion gehabt, ich wäre Horst ins Gehege gekommen! … Mal sehen, wie sich’s weiter entwickelt.

      Als Rudolf zu seiner Staffel zurückkommt, ruft auch schon Hanke an.

      »Menschenskind, wie geht es dir?«, will er wissen.

      »Prima«, sagt Rudolf. »Vielen Dank für die Behütung. Das Wasser hat leider keine Badetemperatur.«

      Man lacht, man quatscht, dann fragt Hanke: »Ist dein Abschuss anerkannt worden?«

      »Ist er, jawohl!«

      »Gratuliere!«

      »Danke!«

      »Und wann sehen wir uns wieder?«, fragt Hanke. »Demnächst bei mir, wenn wir Schlechtwetter haben.«

      »Bis dann also, Casanova.«

      »Mach’s gut, Jockey.«

      Kein Wort von Doris. Rudolf hat ihm das Zusammentreffen verschwiegen. Er weiß selbst nicht, warum. Vielleicht weil er Horst die Ruhe nicht rauben will, vielleicht auch, weil Doris einen nachhaltigen Eindruck auf ihn selbst gemacht hat. Als Rudolf sich von ihr verabschiedet und noch einmal gefragte hat, ob er Horst etwas sagen solle, hat sie weder ja noch nein gesagt, ihm nur lächelnd die Hand gereicht und »Leben Sie wohl« gerufen. Rudolf aber glaubt, in ihrem Blick das Gegenteil von »Lebewohl« gesehen zu haben. Er ist abgefahren in dem sicheren Bewusstsein, dass er mit Doris noch einmal zusammentreffen würde. Ganz sicher sogar.

      Aber die nächsten Ereignisse verwischen die Episode. Pausenlose Einsätze folgen. Das Wetter ist sehr günstig. Einsatzbefehl auf Einsatzbefehl schickt Bomber- und Jägerstaffeln über den Kanal. Über London donnern Schwärme von deutschen Bombern. Ganze Straßenzüge werden in Schutt und Asche gelegt. Fabriken fliegen in die Luft. Industrieanlagen brennen. Das Kommuniqué von London muss zugeben, dass die deutschen Luftangriffe große Schäden und Verluste verursachen.

      In der englischen Hauptstadt rennen Zivilisten um ihr Leben, drücken Mütter ihre Kinder an die Brust und wimmern in den Schutzkellern, hören die Bomben bersten und spüren die Erde beben. Der Krieg tobt in seiner ganzen Grausamkeit und Brutalität, zerstört, reißt Wunden, schafft Leid und Not – auf beiden Seiten.

      Leutnant Rudolf Brechtmann hat bereits seinen vierten Abschuss zu verbuchen, malt vier weithin leuchtende Striche auf das Leitwerk seiner Me 109. Längst hängt das EK I an der linken Uniformseite. Bald soll die nächste Auszeichnung folgen.

      Wie ein Fieber ist es über Rudolf gekommen. Er denkt weder an die blonde Krankenschwester noch an den Freund, mit dem er fast täglich Seite an Seite fliegt. Die beiden haben keine Zeit mehr, um sich zusammenzusetzen und die jahrelange Freundschaft mit einem ausgiebigen Umtrunk zu vertiefen. Im Rummel der Zeit hat man sich ein bisschen aus den Augen verloren, obwohl beider Einsatzflugfelder nur wenige Kilometer auseinanderliegen.

      Der November geht zu Ende. Stürme lösen einander ab und peitschen Schnee und Regen über die vereinsamt daliegenden Flugplätze. Die abgestellten Maschinen ruhen unter den getarnten Überdachungen. Die Besatzungen vertreiben sich die Zeit in den Unterkünften oder Kameradschaftsräumen.

      Bei der 6. Jagdstaffel ist der große Raum mit Tabakwolken verhangen. In den Ecken sitzen Offiziere und Mannschaftsdienstgrade beisammen, rauchen, trinken und vertreiben sich die Zeit mit Gesprächen, Spiel oder einem Buch aus der Feldbibliothek.

      Vor dem offenen Kamin, in dem ein mächtiges Holzfeuer prasselt und einen Schwall Wärme in den großen, niedrigen Raum schickt, sitzt ein Leutnant und demonstriert seinen letzten Luftsieg.

      »… ich ziehe hoch, kriege ihn von unten herauf ins Visier und … ratatata … Peng! Schon stinkt er ab und segelt runter.«

      In einer andern Ecke sitzen ein Oberleutnant und ein Unteroffizier über den Schachtisch gebeugt. »Noch vier Züge, dann sind Sie matt, Herr Oberleutnant.«

      Der Oberleutnant zerknautscht mit der aufgestützten Hand sein Kinn, murmelt: »Nicht so vorlaut, Schramm, immer schön langsam mit die Pferde. Jetzt sage ich erst mal – Schach!«

      »Dann verlieren Sie die Dame, Herr Oberleutnant.« »Au Backe! Richtig! Damen zu verlieren schmerzt.« Drei Züge später muss sich der Oberleutnant geschlagen geben. Darüber herrscht kein Unmut.

      »Los, noch ein Spielchen, Schramm.«

      »Gern, Herr Oberleutnant.«

      In der Nähe des Fensters, durch das man ein jämmerliches Schneetreiben sehen kann, sitzt Rudolf mit einem Oberfeldwebel. Der zeigt ihm Bilder von daheim. »Das ist meine Braut, hübsch, nicht wahr?«

      »Hm, sehr hübsch, Strotmann. Wie alt?«

      Der Oberfeldwebel grinst glücklich: »Neunzehn.«