F. John-Ferrer

Und über uns die Ewigkeit


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taucht auf und meldet, dass Leutnant Brechtmann vor einer halben Stunde mit dem Auto weggefahren sei.

      »Bei dem Sauwetter?«, fragt Hanke. »Dienstlich etwa?«

      »Keine Ahnung, glaube aber nicht, dass er dienstlich weg musste. Können ja unseren Alten mal fragen!«

      Die Begrüßung des Staffelkapitäns ist freundlich, Kameradenbesuch stets willkommen.

      »Legen Sie ab, Hanke, setzen Sie sich zu uns. Kognak oder Wein?«

      Und schon sitzt Hanke mit in der Runde, und die Unterhaltung beginnt. Natürlich geht es um die letzten Einsätze. Erst nach einer Weile kommt Hanke dazu, nach Rudolf zu fragen.

      »Leutnant Brechtmann ist nach Fécamp gefahren«, sagt der Staffelkapitän. »Wohl dem, der das Glück hat, von einer Dame eingeladen worden zu sein.«

      »Eine Dame?«, staunt Hanke.

      »Krankenschwester beim Seenotdienst«, schmunzelt der Hauptmann.

      »Ach so.« Auch Hanke grinst. Er hat keine Ahnung, dass der Freund gerade jetzt vor dem Gebäude der Seenotstaffel hält und Augenblicke später mit jenem Mädchen zusammentrifft, dessen Bild noch immer in Hankes Erinnerung herumgeistert.

      Doris begrüßt Rudolf in einer hübschen Stube. Es ist ihr Dienstzimmer – ein Raum, bei dessen Betreten man sofort spürt, dass Frauenhände ihm das Gepräge verliehen haben: auf dem Tisch ein Buschen Kiefernzweige, bunte Gardinen an dem breiten Fenster, zwei Klubsessel um den Tisch, ein Sofa mit drei Zierkissen an der Wand, und quer in der Ecke ein Schreibtisch: das einzige Möbel, das dem Raum eine dienstliche Note verleiht.

      »Hübsch haben Sie’s hier«, stellt Rudolf fest.

      Sie nimmt ihm Mantel, Koppel und Schiffchen ab und trägt alles in ein Nebenzimmer, aus dem es nach Äther riecht: das Behandlungszimmer.

      Rudolf wartet, bis Doris wiederkommt. Sie ist ganz in Weiß gekleidet und sieht aus wie ein Engel.

      »Na, setzen Sie sich schon«, sagt sie und deutet auf einen der Sessel. »Wollen Sie Tee oder Kaffee?«

      »Tee.« Rudolf setzt sich. »Freuen Sie sich?«

      »Sehen Sie mir das nicht an?«, fragt sie und nimmt ihm gegenüber Platz.

      »Ehrlich gesagt, Doris – ich weiß nicht recht. Sie machen mir so einen dienstlichen Eindruck.«

      »Ich bin ja auch im Dienst. Sagte ich Ihnen das nicht am Telefon?«

      »Doch, doch.« Was bei Rudolf sehr selten vorkommt, widerfährt ihm jetzt: Er hat Hemmungen. Doris’ kühler Blick irritiert ihn. Hat sie ihn nur kommen lassen, um etwas von Hanke zu erfahren? Fast bereut er sein Kommen.

      »Scheußliches Wetter!«, beginnt er. »Aber hier ist’s gemütlich. Man kommt sich vor, als wäre man daheim.«

      Doris schlägt ein Bein übers andere, stützt die Ellenbogen auf die Armpolster des Sessels, faltet die Hände flach zusammen und legt leicht das Kinn auf die Fingerspitzen. Ihr Blick ist ernst und forschend.

      Rudolf muss jetzt von Horst sprechen. Der grüne, kühle Blick befiehlt es ihm.

      »Äh …« beginnt Rudolf, »tja … Horst lässt grüßen.«

      Doris nickt kaum merklich mit dem Kopf.

      »Er war .. äh … er hat sich natürlich sehr gefreut, als ich ihm sagte, dass Sie ganz in der Nähe sind.«

      »Warum ist er nicht mitgekommen?«

      »Er kann dienstlich nicht weg.«

      »Und was sollen Sie mir ausrichten?«

      Rudolf gibt sich einen Ruck, beugt sich vor. »Nichts. Ich habe eine Unwahrheit gesagt, Doris. Horst weiß noch gar nicht, dass Sie hier sind. Ich hielt es für richtig, ihm nichts zu sagen. Ich wollte mit Ihnen zusammentreffen, Doris … ganz einfach Sie wiedersehen.«

      Das Mädchen lässt die Hände sinken. Ärgerlich blickt sie zu ihm herüber. Dann aber stiehlt sich ein blasses, spöttisches Lächeln auf die Mienen.

      »Wenigstens sind Sie ehrlich«, sagt sie. »Irgendwie hatte ich mir schon gedacht, dass es ein Trick ist.«

      Rudolf atmet auf. Er ist froh, dass er das Kind beim Namen genannt hat, dass er sie nicht länger zu belügen braucht.

      »Ich bin sehr froh, dass Sie es nur als Trick bezeichnen«, sagt er. »Ich musste Sie einfach wiedersehen!«

      »Schön.« Sie erhebt sich. »Jetzt sind Sie einmal da und damit basta. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, ich will das Teewasser aufsetzen.«

      Rudolf schaut ihr nach, als sie wieder im Nebenzimmer verschwindet. Ein Wasserhahn beginnt zu rauschen. Ein Topf wird aufgefüllt. Dann beginnt ein Benzinkocher zu fauchen.

      Rudolf steckt sich eine Zigarette an. Seine Hände zittern ein bisschen. Wie erlöst stößt er den Rauch durch die Zähne, lehnt sich weit zurück und schließt für einen Moment die Augen. Eine unerklärliche Spannung liegt über ihm. Alles in ihm vibriert, ist voller Erwartung. Dabei weiß er genau, dass er heute kein Abenteuer erleben wird. Die Frau in dem weißen Kittel macht einen unnahbaren Eindruck. Kühle strahlt sie aus, eine Überlegenheit, vor der Rudolf ganz klein wird. Und dann die Augen! Nicht länger als einen Herzschlag lang kann man in sie hineinschauen.

      Doris Stimme ertönt: »Wenn Sie sein Freund sind, wird er Ihnen auch gesagt haben, warum wir auseinandergekommen sind. Oder wissen Sie das nicht?«

      Doris legt zwei Gedecke auf.

      »Doch«, sagt Rudolf, »er hat davon gesprochen: Er wollte frei sein, niemanden um sich haben, wenn er an die Front geht. Er meint, er könne freier fliegen, wenn er niemanden hat … Ich weiß nicht recht, Doris, diese Ansicht ist ein bisschen einseitig. Ich bin ganz sicher, dass Horst Sie sehr geliebt hat.«

      Sie rückt an den Untertassen, geht vom Tisch und holt eine Kristallschale mit Kleingebäck heran. Erst jetzt, und während Rudolf jede ihrer Bewegungen verfolgt, gibt sie die Antwort:

      »Ja, wir haben uns ausgezeichnet verstanden.« Doris setzt sich wieder. Tiefer Ernst liegt auf dem ungeschminkten Gesicht. »Warum sollen Sie nicht alles wissen? Ich hatte schon meine Aussteuer beisammen, als der Krieg ausbrach. Horst und ich waren fest entschlossen zu heiraten. Damals lag er noch in der Nähe von Straßburg. Mitte Mai kam er auf Urlaub nach Hause, und ich dachte, wir würden heiraten. Stattdessen haben wir uns getrennt. Ich war wie vor den Kopf gestoßen.«

      Sie schweigt und schaut an Rudolf vorbei. Eine Regenbö peitscht ans Fenster. Der Wind, der vom Meer kommt, pfeift und jault ums Haus. Es herrscht ein trübes, graues Licht. Aus dem Dunkel schimmert Doris’ Gesicht, fast so weiß wie das Gewand, das sie trägt.

      »Ist mir unbegreiflich«, murmelt Rudolf.

      »Mir nicht mehr«, entgegnet sie gelassen. »Seit Heinz gefallen ist, verstehe ich erst, was Horst damals gemeint hat.«

      »Sie hatten ihn doch sehr lieb, nicht wahr? Jedenfalls entnehme ich das Ihren Worten, Doris.«

      »Ja, wir hatten uns sehr lieb. Sie werden jetzt wissen wollen, warum ich mich trotzdem mit Heinz Berger verlobt habe, nicht wahr?«, fragte sie dann.

      Er nickt.

      »Heinz’ Eltern und die meinen sind Nachbarn. Da war es selbstverständlich, dass die Kinder Garten an Garten groß wurden. Ich war schon immer Heinz’ Jugendliebe. Als ich sechs Jahre alt war, versprach ich ihm, seine Frau zu werden.« Doris lächelt an Rudolf vorbei und fährt halblaut fort: »Ich weiß, dass Heinz sehr traurig war, als ich mich mit Horst verlobte. Er meldete sich, obwohl er kaum zwanzig war, zur Flak und wurde als Freiwilliger eingezogen.«

      »Ich erinnere mich«, wirft Rudolf ein, da Doris eine kleine Pause einlegt und aufhorcht, weil nebenan das Teewasser brodelt. Rasch steht sie auf und geht in das Behandlungszimmer. Wenig später kommt sie mit der Teekanne zurück und stellt sie auf den Tisch.

      »Ich werde Licht machen.«