Barbara Beck

Legendäre Frauen


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Agnes Bernauerin (1410-1435). Der Mythos von Liebe, Mord und Staatsräson, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 122 (2005), S. 263–284, hier S. 277.

      ZUM WAHNSINN VERDAMMT

      JOHANNA I. VON KASTILIEN, „DIE WAHNSINNIGE“

      Johanna die Wahnsinnige, eine der bis heute bekanntesten Königinnen aus Spanien, kam am 6. November 1479 als drittes Kind von Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien, die als die „Katholischen Könige“ in die spanische Geschichte eingingen, in Toledo zur Welt. Ferdinand und Isabella begründeten den spanischen Gesamtstaat. Während ihrer Herrschaft begann Spaniens Aufstieg zur ersten kolonialen Weltmacht. Über Kindheit und Jugend Johannas ist nur wenig bekannt. Die übersensible Prinzessin, die als das intelligenteste Kind des Königspaars galt, erhielt eine strenge, asketisch anmutende Erziehung. Sie erlernte, wie dies für Mädchen ihres Standes üblich war, mehrere Sprachen und beherrschte auch einige Musikinstrumente. Der religiösen Unterweisung kam eine wichtige Rolle zu.

      Im Alter von sechzehn Jahren wurde Johanna, die schönste der vier Töchter der Katholischen Könige, mit dem einzigen Sohn Kaiser Maximilians I., Philipp dem Schönen, verheiratet. Der ein Jahr ältere Habsburger war der Landesherr in den niederländischen Territorien. Im Gegenzug heiratete Johannas Bruder Johann gleichzeitig die Schwester seines Schwagers, Erzherzogin Margarete. Von dieser Doppelhochzeit versprachen sich sowohl Ferdinand II. als auch die Habsburger Unterstützung im Kampf gegen den beiderseitigen großen Konkurrenten Frankreich, der auf diese Weise geographisch regelrecht umzingelt wurde. Die Gefühle der Brautleute interessierten bei diesem ehrgeizigen politischen Projekt nicht. Im November 1495 fand zunächst in Valladolid eine Trauung per Stellvertreter statt, bevor Johanna im Spätsommer 1496 von einer großen Kriegsflotte über den Seeweg in die Niederlande gebracht wurde. Sie reiste dabei in Begleitung eines beträchtlichen Hofstaats in ihre neue Heimat zu dem ihr bis dahin völlig unbekannten Herzog von Burgund. In Lier an der Nethe trat sie am 18. Oktober 1496 erstmals ihrem Ehemann Philipp persönlich gegenüber. Der junge Habsburger entsprach in seinem Aussehen dem männlichen Idealbild seiner Zeit, was seinen Beinamen „der Schöne“ erklärt. Die beiden Brautleute verliebten sich sofort ineinander und bestanden entgegen den protokollarischen Abmachungen auf dem Vollzug der Eheschließung noch am selben Tag. Angesichts der Tatsache, dass der Erzherzog bekannt dafür war, dass er gerne „jeden Tag mit einem anderen jungen Mädchen schlief“1, überrascht dieses stürmische Verlangen von seiner Seite aus nicht sonderlich, aber bei der verschlossen und scheu wirkenden Prinzessin erstaunt dieses leidenschaftliche Auflodern der Gefühle. Offensichtlich verfiel Johanna ihrem Ehemann, ihrem „Märchenprinzen“, vom ersten Augenblick an völlig. Am 21. Oktober 1496 fanden die Hochzeitsfeierlichkeiten statt.

      Die ersten Ehejahre an dem für seinen Luxus und sein aufwändiges Zeremoniell berühmten burgundischen Hof verliefen relativ glücklich, obwohl sich Johanna mit der fröhlichen und genussfreudigen Lebensart der Niederländer nie anfreunden konnte. Herzogin Johanna gebar zwischen 1498 und 1501 drei Kinder. Den ersehnten Thronerben, den späteren Kaiser Karl V., brachte sie am 24. Februar 1500 zur Welt. Bereits zu dieser Zeit sorgten erste Eifersuchtsszenen Johannas für Unruhe. Sie liebte ihren Ehemann so leidenschaftlich und war dermaßen auf ihn fixiert, dass alle anderen Pflichten und Aufgaben dahinter zurücktreten mussten. Die junge Fürstin konnte ihre Gefühle nur schwer beherrschen, weshalb sie sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen begann. Johanna bekannte selbst einmal, dass sie, wenn sie sich von der Leidenschaft hinreißen ließ, „in einen Zustand verfiel, der meiner Würde nicht entsprach“2. Jedes weibliche Wesen aus der Umgebung ihres lebenslustigen Ehemannes, der Liebesabenteuern alles andere als abgeneigt war, erregte ihr Misstrauen. In ihrem eifersüchtigen Verhalten ähnelte sie ihrer Mutter Isabella, die ebenfalls heftig auf die zahlreichen Seitensprünge ihres Gatten reagierte. Anfang Mai 1505 verwies Johanna selbst in einem, allerdings von Philipp dem Schönen veranlassten Brief, auf dieses mütterliche Erbe: „(…) und nicht nur ich trage diese Leidenschaft in mir, auch meine Mutter, der Gott Ruhm verleihen möge, die eine solch vorzügliche und auserwählte Person in dieser Welt war, war eifersüchtig, und auch Ihre Hoheit heilte am Ende die Zeit, wie Gott, wenn es ihm gefällt, mich heilen wird“3.

      Da ihr einziger Bruder Johann im Oktober 1497 jung verstarb, ohne einen Erben zu hinterlassen, ihre ältere Schwester Isabella im darauf folgenden Jahr das Kindbett nicht überlebte und im Juli 1500 auch der einzige Sohn ihrer Schwester Isabella als Kleinkind verschied, wurde die zwanzigjährige Johanna Erbin des spanischen Reichs. Das Königreich umfasste damals bereits neben Kastilien-León, Aragón, Granada und Neapel-Sizilien auch die westindischen Kolonien. Diese Aussicht löste am Hof Philipp des Schönen große Freude aus, wie der Chronist Lorenzo de Padilla zu berichten wusste: „Die Erzherzöge jubelten über die Neuigkeit, wozu sie auch allen Grund hatten“4. Das junge Fürstenpaar durfte sich nun Prinz und Prinzessin von Asturien nennen. Zur Sicherung von Johannas Anspruch war es notwendig, dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Philipp nach Spanien reiste, um offiziell als Erbin anerkannt zu werden.

      Im Oktober 1501 verließ das Herzogspaar die Niederlande, um in Kastilien den Treueid der Granden persönlich entgegenzunehmen. Der Reisebeginn hatte sich verzögert, da Johanna wieder schwanger war und erst ihre Niederkunft abwarten musste. Am 27. Mai 1502 versammelten sich die Cortes in der Kathedrale von Toledo, um Johanna als Prinzessin von Asturien und Thronerbin der kastilischen Reiche anzuerkennen. Ihr Vater König Ferdinand II. sorgte dafür, dass auch die aragonesischen Stände Johanna als Thronfolgerin bestätigten. Dies hatte großes staatsmännisches Geschick erfordert, da die auf ihren Traditionen, Gesetzen und Vorrechten beharrenden Aragonesen noch nie zuvor eine Frau als Kronprinzessin akzeptiert hatten.

      Auf Johannas Gemütslage wirkten sich die Reise und die Rückkehr in die alte Heimat weniger positiv aus. Zu ihren Eifersuchtsattacken gesellten sich noch Wahnvorstellungen und Ohnmachten. Nur Philipp der Schöne konnte seine emotional instabile Frau beruhigen. Als der Herzog im Dezember 1502 zur Rückkehr in die Niederlande aufbrach und ihn die erneut schwangere Johanna nicht begleiten konnte, verschlechterte sich deren Zustand zunehmend. Sie fühlte sich ganz verlassen und verfiel in schwere Depressionen. Ihre Gedanken kreisten nur um ihren abwesenden Gatten. Laut Petrus Martyr von Anglería, einem Mailänder Humanisten im Dienst der Katholischen Könige, ließ sie „Tag und Nacht ihren trübsinnigen Grübeleien hingegeben kein Wort von sich hören“5. Auch nach der Geburt ihres zweiten Sohnes Ferdinand im März 1503 blieb ihr Gesundheitszustand bedenklich. Petrus Martyr berichtet: „Sie verlangt nach ihrem Mann, ist zutiefst verzweifelt, runzelt die Stirn, grübelt Tag und Nacht, ohne ein Wort von sich zu geben, und wenn sie es, bedrängt von Fragen, dennoch tut, dann voller Verärgerung“6. Zwischen Johanna und ihrer Mutter kam es im Verlauf des Jahres 1503 zu einem heftigen Zusammenstoß. Johanna fühlte sich ständig überwacht. Anfangs verweigerte Isabella die Katholische ihr die Heimreise zu ihrem Ehemann aus Sicherheitsgründen. Betrübt schilderte Königin Isabella die Auseinandersetzung mit ihrer Tochter: „Sie sprach mit so wenig Respekt und so wenig, wie es einer Tochter geziemt, daß ich, wenn ich mir nicht ihres Geisteszustandes bewußt gewesen wäre, eine solche Sprache niemals geduldet hätte“7. Als Isabella ihrer Tochter die Abreise endlich Ende Mai 1504 gestattete, blieb Johannas kleiner Sohn Ferdinand bei seinen Großeltern in Spanien zurück.

      Nach ihrer Rückkehr nach Brüssel Anfang Juni 1504 trat keine wirkliche Verbesserung in ihrem seelischen Zustand ein. Nach der ersten Wiedersehensfreude verfolgte sie Philipp den Schönen wieder mit heftigen Eifersuchtsszenen. In ihrer Eifersucht griff Johanna sogar Philipps damalige Favoritin an und verletzte diese. Ihr wütender Ehemann sperrte sie daraufhin in ihren Zimmern ein. Petrus Martyr schilderte diese höchst unerfreulichen Szenen einer fürstlichen Ehe folgendermaßen: „Jene Feuerschlange der Eifersucht trieb sie dazu, in wüste Beschimpfungen auszubrechen, es heißt, sie habe mit wutentbranntem Herz Feuer gespuckt, mit den Zähnen gefletscht, auf eine der Damen eingeschlagen, von der sie glaubte, sie sei die Geliebte, und befahl schließlich, das blonde Haar, das Philipp so gefiel, rappelkurz schneiden zu lassen. Als dieser davon erfuhr, geriet er außer sich und wandte sich gegen seine Frau und überzog sie mit Beschimpfungen und