Maike Siebold

Rille aus dem Luftschacht


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nach. „Das ist doch langweilig.“

      „Langweilig? Die Luftschächte sind spannender als alles, was du bisher in deinem kurzen kleinen Leben erlebt hast. Außer Fußball und ein paar blöden Com­puter­­spielen kennst du ja überhaupt nichts.“

      Roderich ist verblüfft. Woher weiß das Mädchen, dass er gerne Fußball spielt und vor dem Computer hockt?

      Als ob sie Gedanken le­­sen könnte, erklärt Rille, dass die vielen verzweigten Luftschächte zu allen Wohnun­­­­gen im Haus führen und sie die Leute im Haus beobachtet. Die Schächte im Gebäude sind wie das Straßennetz einer Stadt. Rille kann sogar fernsehen, denn Klatsche schaut meistens ihre Lieblingssendung. Als sie den Namen Klatsche erwähnt, wirft sie Roderich einen prüfenden Blick von der Seite zu.

      „Ich weiß, du kannst Klatsche nicht leiden.“

      „Das weißt du auch?“

      Rille grinst. „Ich weiß alles!“

      Roderich kommt zu dem Schluss, dass dieses Mädchen doch nicht so doof ist, wie er zuerst geglaubt hat.

      „So, nun kennst du mein Geheimnis, bekomme ich jetzt endlich Strom?“

      „Ehrensache“, antwortet Roderich. Als er auf den Flur schleicht, um ein Verlängerungskabel zu besorgen, steht plötzlich seine Mutter vor ihm.

      „Roderich? Ist dir nicht gut?“

      „Mama – hast du mich erschreckt. Ich muss nur mal für kleine Pandabären.“

      Seine Mutter haucht ihm ein Küsschen auf die Wange und geht in die Küche. Er hört, wie sie ein Glas aus dem Schrank nimmt und Wasser einlaufen lässt. Als er wieder aus dem Bad kommt, hantiert seine Mutter noch immer in der Küche herum. Kein guter Moment, um das Kabelproblem zu lösen. Roderich kehrt ohne Verlängerungsschnur in sein Zimmer zurück. Er verabredet sich mit Rille für den nächsten Abend um zehn Uhr. Bis dahin will Roderich ein megalanges Stromkabel besorgen.

      Klatsche und die Päckersbande

      Die Pausenglocke läutet. Die ersten zwei Schulstunden sind geschafft. Pausenlärm füllt langsam den Schulhof. Doch Roderich will nicht raus. Lieber drückt er sich in den Schulfluren herum, zumindest bis ihn die Pausen­aufsicht erwischt. Noch steckt ihm die Begegnung mit Klatsche in den Knochen. Durch das geöffnete Fens­ter dringt das Stimmengewirr der anderen Kinder zu ihm. Vorsichtig linst er um die Ecke. Sofort entdeckt er die Päckersbande: Klatsche, der mit seinen Gang­mitgliedern Marvin und Melina über den Schulhof Richtung Tischtennisplatte stolziert. Solche unglaublichen Angeber, denkt Roderich. Und Päckersbande, was für ein alberner Name. Nur weil Klatsche Fan der American Football-Mannschaft Green-Bay-Packers ist, wird der Name auch nicht cooler.

      An diesem Vormittag scheinen Klatsche und seine Päckersbande besonders auf Krawall gebürstet zu sein. Schon von Weitem sieht man ihnen an, dass sie Ärger im Sinn haben.

      Roderich verfolgt die drei mit seinen Blicken. Er sieht, wie Klatsche plötzlich stehen bleibt und Jakob mustert. Roderich mag Jakob, der eine Klasse unter ihm ist.

      Jakob hätte sein Geburtstagsgeschenk, ein neues Fahrrad, nicht mit in die Schule bringen dürfen. Als ihm das klar wird, ist es zu spät.

      Genüsslich zieht Klatsche eine Kombizange aus der Ho­sen­­tasche. Roderich vergisst für einen Augenblick seine Angst und verlässt seinen sicheren Beobachtungs­pos­ten. Er kann sich gut vorstellen, wie Jakob sich gerade fühlt. Langsam schleicht er die Treppen zum Schulhof hinunter, dann pirscht er sich unauffällig an Jakob und die Päckersbande heran. Klatsche und seine Freunde sind viel zu sehr mit ihrem Plan beschäftigt, um zu be­merken, dass sich jemand nähert.

      „Ich glaube, das Rad da hat viel zu viele Originalteile. Da ist ein Umbau fällig.“

      Jakob stellt sich mutig vor sein Fahrrad. „Finger weg von meinem Rad.“

      „Na klar“, antwortet Klatsche hämisch lachend, „wir werden uns die Finger schon nicht schmutzig machen, wo wir doch Werkzeug dabeihaben.“

      Jakob hat keine Chance. Marvin und Melina halten ihn fest, während Klatsche sein Fahrrad fachgerecht auseinandernimmt. Mit weinerlichem Unterton bittet Jakob, dass Klatsche damit aufhören soll.

      Klatsche findet, dass das Rad so viel schöner aussieht. „Pass auf, damit gewinnst du bestimmt noch einen Preis für gutes Aussehen.“

      Jakob muss mit ansehen, wie sein tolles Fahrrad in Einzelteile zerlegt wird. Ein trauriger Anblick.

      Wo ist bloß die Pausenaufsicht, fragt sich Roderich verzweifelt. Wenn man die Lehrer einmal braucht, sind sie wie vom Erdboden verschluckt.

      Noch immer ist die Päckersbande mit Jakob und seinem Fahrrad beschäftigt. Mit jeder Minute wird der Kreis der Zuschauer größer. Als Roderich Jakob so hilflos und mit hängenden Schultern dastehen sieht, kann er nicht anders. Ohne weiter zu überlegen, stürmt er die letzten Meter direkt auf Klatsche zu und schreit: „Hör sofort auf mit dem Mist!“

      Klatsche erwidert übertrieben lässig: „Sieh mal an, der kleine Tintenpisser. Was hast du denn hier zu suchen?“

      Roderich ist in Fahrt: „Wieso suchen? Ich habe was gefunden – zwei Dummköpfe und ein Großmaul.“ Er beißt sich auf die Zunge. Das war zu viel. Der Schulhof mit großem Publikum ist nicht der Ort für solche Wahr­heiten.

      Klatsche sieht das offensichtlich genauso. Wut­schnau­bend lässt er seine Kombizange fallen und baut sich vor Roderich auf. Gerade als er ihm Schläge anbieten will, klingelt es. Die Pause ist zu Ende.

      Die Päckers zupfen Klatsche am Ärmel: „Komm – wir müssen. Bei Dr. Möser dürfen wir auf keinen Fall wieder zu spät kommen.“

      Halb im Gehen raunzt Klatsche Roderich zu: „Auf­gehoben ist nicht aufgeschoben.“

      Roderich kann sich nicht zurückhalten. „Das heißt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“

      Klatsche stoppt und schaut Roderich ungläubig an. „Klugschwätzer haben es besonders schwer auf meinem Schulhof. Das wirst du schon noch sehen. Dich krieg ich!“ Damit dreht er sich um und begibt sich in Richtung Schulgebäude.

      Der geheime Plan

      Nachmittags, bei der Besprechung in Klatsches Zimmer, drehen die drei von der Päckersbande die Musik so richtig auf. Durch das Dröhnen der Boxen hört niemand im Raum, wie sich Krabbelgeräusche aus dem Luftschacht nähern. Keiner ahnt, dass jemand ganz in ihrer Nähe ist und jedes Wort verfolgt.

      Melina, Marvin und Klatsche haben die Köpfe zusammengesteckt, um einen Anti-Roderich-Plan auszuhecken. Auf dem Bett von Klatsche entdeckt Melina einen Teddybären. Verwundert dreht sie den Bären mit den teuflisch roten Augen in ihren Händen.

      „Was ist denn das?“, will sie wissen.

      „Ach das? Das ist ein alter Teddy. Den ich habe zufällig im Schrank wiedergefunden.“

      „Du willst unser Chef sein und spielst noch mit Teddybären?“ Irritiert schaut sie Klatsche an.

      „Da sieht man mal wieder, dass ihr keine Ahnung habt“, erklärt Klatsche bedeutungsvoll. „Das ist Teddy-Nator. Der Terminator unter den Teddybären. Er ist so böse, dass kein Stofftier neben ihm sitzen will. Darum hat er auch eine brutale Lederjacke an. Drück mal auf seinen Bauch.“

      Als Melina drückt, hört man mit metallischer Stimme ein „Hasta la vista, Baby“ erklingen.