Franz Taut

Die schweigenden Kameraden


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ehe der SD-Führer seine Drohung hätte verwirklichen können.

      Der Doktor grüßte den jungen Leutnant mit müder Handbewegung zur Krempe seines vergilbten Strohhutes.

      »Wie geht’s, Doktor?«, fragte Staude.

      Der schmalbrüstige Höhnhauser, vornübergebeugt wie unter einer unsichtbaren Last, verzog das blasse hagere Gesicht zu einem bitteren Lächeln.

      »Unverändert, Herr Staude. Bin auf dem Weg zum Dienst.«

      »Und die Frau Gemahlin?«, erkundigte sich Staude. »In letzter Zeit habe ich sie am Strand vermisst. Sie ist doch nicht krank?«

      Mit noch tieferer Bitterkeit schüttelte Dr. Höhnhauser den Kopf.

      »Nein, nein«, versicherte er. »Sie ist viel unterwegs. Hat eine Menge Freunde in der Stadt.«

      Staude nickte.

      »Versteh’ ich. Sie ist ja hier an der Küste zu Hause.«

      Er grüßte nochmals und wandte sich zum Gehen. Noch weniger als sonst schien der bedauernswerte Höhnhauser zu einem Gespräch aufgelegt zu sein.

      Staude ging zur Fahrstraße hinauf und schlug den Weg zur Stadt ein.

      Marine-Schnellboote flitzten hinter aufschäumender Bugwelle durch die blaue, mit gleißenden Lichtern gesprenkelte See.

      Er nahm sich vor, demnächst wieder einmal mit seinem Freund, dem Leutnant zur See Köck, zum Fischfang hinauszufahren.

      Staudes Ziel war das oberhalb der Stadt in einem Park mit subtropischen Bäumen und Pflanzen gelegene Hotel »Imperial«. Seit der deutschen Besetzung war das Hotel das »Soldatenheim« von Dubrovnik. Sein B-Trupp und er selbst bewohnten gleichsam als Dauermieter fünf der für Quartierzwecke verfügbaren Zimmer. Die Mannschaften hausten je zu zweit, während man ihm, Wachtmeister Maderspacher und dem Unteroffizier Blaisch, dessen Unterkiefer zerschossen und eine einzige große Narbe war, Einzelzimmer zugewiesen hatte.

      Unter den Rotkreuzschwestern, die das Soldatenheim betreuten, hatte Staude vor drei Wochen bei seiner Ankunft Elfriede gefunden, die blonde Elfie, die er vor Jahren schüchtern verehrt hatte, als sie gemeinsam das Gymnasium in seiner Heimatstadt besucht hatten. Allerdings war das Zusammentreffen nicht ganz zufällig gewesen – jedenfalls nicht für Staude. Weihnachten 39, als er vom Westwall auf Urlaub kam, war er Elfie begegnet, und seither hatten sie regelmäßig Briefe gewechselt. Anfang Juni hatte sie ihm mitgeteilt, dass sie nach längerer Verwendung in verschiedenen Heimatlazaretten seit Ende Mai im Soldatenheim von Dubrovnik »eingesetzt« sei, eines der neu eingeführten Wörter, das ihm genauso missfiel wie »Garant«, »Volkstum« oder »Endsieg«.

      Von Bukarest aus, wo er in einem Kraftfahrzeugpark den Kübelwagen in Empfang genommen hatte, hatte er versucht, Elfie telefonisch zu erreichen, um ihr mitzuteilen, dass er auf dem Weg nach Dubrovnik sei, aber irgendeine schnippische Nachrichtenhelferin in Belgrad oder Agram hatte ihm zu verstehen gegeben, Gespräche mit Soldatenheimen seien nicht kriegswichtig und könnten daher nicht vermittelt werden.

      So war er – für Elfie überraschend – im Hotel »Imperial« aufgetaucht, hatte die blonde Schwester, überwältigt von der Freude des Wiedersehens, in die Arme genommen und zum ersten Mal in der langen Zeit ihrer Bekanntschaft stürmisch geküsst.

      Als er, vom Strand kommend, das Hotel betrat, in dem es vergleichsweise kühl war gegenüber der draußen herrschenden brütenden Hitze, überlegte er, wie er es anstellen sollte, Elfie unauffällig vom Dienst wegzulotsen, um mit ihr droben auf seinem Zimmer ein Glas Whisky zu trinken. Den Whisky hatte Köck bei einem Inselunternehmen erbeutet. Zwei Flaschen hatte der Leutnant zur See dem Kollegen von der Artillerie großzügig abgetreten.

      Im Hotel war es still, als hätten die neuen Gäste in Feldgrau, OT-Braun und Marineblau es nicht vermocht, den Geist der Ruhe zu verscheuchen, der sich von langen Friedensjahren her in dem prunkvollen und nunmehr zweckentfremdeten Gebäude eingenistet hatte.

      Die längst getrocknete Badehose in der Hand stieg Staude die Treppe hinauf, da der Aufzug außer Betrieb war. Als er den Flur des zweiten Stockwerks betrat, auf den eine lange Reihe nummerierter Türen mündete, erblickte er zu seiner Verblüffung Tilda Höhnhauser, die schöne junge Frau des Emigranten.

      Sie schlenderte lässig mit der ihr eigenen Selbstsicherheit heran in einem rot-weiß gestreiften schulterfreien Kleid, das von zwei schmalen Trägern gehalten wurde. Ihre nackten, bronzebraun getönten Füße, deren Zehennägel mit dem gleichen Rot gefärbt waren wie ihre sorgfältig manikürten Fingernägel und ihre vollen Lippen, steckten in weißen Sandaletten mit hohen Korksohlen. Wippend blieb sie vor Staude stehen, ein spöttisches Lächeln auf ihrem hübschen, gebräunten Gesicht, das von halblang geschnittenem, dichtem, schwarzem Haar umrahmt war.

      »O der Herr Leutnant«, sagte sie mit ihrem starken slawischen Akzent, den sie offensichtlich in dem Bewusstsein kultivierte, dass es reizvoll sei und sie noch anziehender erscheinen lasse.

      Staude hob die Rechte zum Mützenschild und legte sie dann in die kühle Hand der jungen Frau.

      »Ich sehe Sie gar nicht mehr am Strand«, sagte er. »Erst vor einer Viertelstunde bin ich dem Herrn Gemahl begegnet. Er war auf dem Weg zur Sendung.«

      Ein Schatten glitt über ihre Züge.

      »Ja, natürlich. Jetzt ist ja die Zeit für Paul.« Sie seufzte. »Er leidet darunter. Sie wissen es ja.«

      Staude nickte.

      »Hätte es denn keine Möglichkeit gegeben, aus Dubrovnik zu verschwinden oder hier in der Stadt unterzutauchen? Bei Ihren guten Verbindungen …«

      Sie hob die schlanke braune Hand, an deren Gelenk eine Anzahl silberner Armreifen klirrte.

      »Man kann nicht immer so, wie man möchte. Das müssen doch gerade Sie verstehen, Herr Leutnant.«

      Ihre Lippen öffneten sich zu einem Lachen und enthüllten zwei Reihen makelloser weißer Zähne.

      Sie sollte zum Film gehen, dachte Staude. Er war sich darüber klar, dass sie nicht nur schön war, eine südländische Schönheit von ungewöhnlichem Reiz, sondern auch das nötige schauspielerische Talent besaß. Aber Film war im totalen Krieg nicht mehr gefragt. Zudem war sie die Frau eines Emigranten und wurde sicherlich ebenso wie ihr Mann beargwöhnt und überwacht.

      »Sie und Ihre Soldaten werden hier wohl von vielen beneidet, Herr Leutnant«, sagte Tilda Höhnhauser unvermittelt, als wolle sie das Gespräch in andere Bahnen lenken. »Oder ist Ihre Batterie inzwischen eingetroffen?«, fügte sie nach einer Pause hinzu, wobei ihre ins Grünliche schimmernden grauen Augen zu ihm, der einen halben Kopf größer war, mit kokettem Wimpernschlag aufblickten.

      »Das ist militärisches Geheimnis«, gab Staude halb scherzhaft zurück.

      »Natürlich«, bekräftigte sie mit bezauberndstem Lächeln. »Wie dumm von mir, Sie zu fragen!« Sie blickte halb erschrocken auf die winzige Uhr, die sie am linken Handgelenk trug. »Oh, ich muss gehen. Wann sieht man Sie wieder, Herr Leutnant? Besuchen Sie uns doch. Mein Mann würde sich freuen.«

      »Gern«, sagte Staude. »Bitte lassen Sie mich wissen, wann es Ihnen passt.«

      Sie hob ihre Rechte.

      »Ciao, amico. Sie hören von uns.«

      Mit beschwingtem Schritt, wie ein junges Mädchen, ging sie eilig zur Treppe. Der weite rot und weiß gestreifte Rock wippte rhythmisch um ihre wohlgeformten, braunen Beine.

      Staude blickte ihr nach. Eine verteufelte Person, dachte er, rassig und raffiniert. Eigentlich passte sie überhaupt nicht zu dem stillen »Doktor«, der mit der Miene eines ergebenen Dulders tagtäglich zur Sendezeit seine innerste Überzeugung verriet. Unerklärlich, was die beiden miteinander verband.

      Nicht meine Angelegenheit, sagte sich Staude achselzuckend. Bedauerlich war nur, dass Tilda Höhnhauser in letzter Zeit nicht mehr zum Strand kam. Im Badeanzug war sie ein durchaus erfreulicher Anblick, wenn auch natürlich Elfie in ihrer blonden Mädchenhaftigkeit den Vergleich mit ihr nicht