ein wenig erstaunt. Als sie jedoch nicht sehen konnten, woher die Schneebälle kamen, gerieten sie in Panik. Einer der Jungs lief schreiend davon, dann folgte der zweite. Das Mädchen in der roten Mütze schaute Lina nochmal wütend an und warf dann die Hände schützend vors Gesicht. Denn Sebastian ließ jetzt einen wahren Schauer an Schneebällen auf sie hernieder regnen. Dann drehte auch sie sich um und lief den Jungs hinterher.
Lina, die zunächst stumm zugesehen hatte, brach in lautes Gelächter aus. „Denen hast du es aber gegeben, Sebastian.“
Sebastian lachte auch: „Die lassen dich von heute an in Ruhe, das verspreche ich dir. Ich werde auch vom Himmel aus ein Auge darauf haben, ok?“
„Ok“, sagte Lina leise. „Vielen Dank.“
„Jetzt aber auf zur Probe!“ Sebastian war plötzlich sehr fröhlich. Vielleicht hatte es ja doch ein wenig Sinn gemacht, von seiner Wolke zu purzeln ...
Die Probe in der Schule lief bestens. Lina sang ihr Lied „Leise rieselt der Schnee“ aus vollem Halse so wunderschön, dass alle klatschten. „Da kann ja nachher in der Kirche nichts mehr schiefgehen“, lobte sie die Lehrerin. Lina strahlte. Sebastian schlich sich in der Zwischenzeit zurück in Linas Haus. Hier würde in kürzester Zeit der Weihnachtsmann vorbeikommen. Sebastian würde mit ihm mitfahren, seine Aufgaben erfüllen und zurück in den Himmel kehren. Und von seiner Wolke aus ein besonderes Augenmerk auf Lina haben. Das war sicher ...
Als Lina spät am Abend schließlich mit ihren Eltern aus dem Gottesdienst kam, lagen da tatsächlich die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Der Weihnachtsmann war da gewesen und Sebastian damit wieder weg. Lina seufzte. Doch da sah sie ein kleines Bild zwischen den Zweigen des Christbaumes glitzern. Auf ihm strahlte sie ein kleiner, etwas zu rund geratener Engel mit sehr kurzen Flügeln an. Lina hielt das Bild fest, ging zum Fenster und sah hinaus. Sie winkte in den Himmel und sagte leise: „Frohe Weihnachten, kleiner Engel Sebastian.“
Barbara Barkhausen ist Journalistin, lebt und arbeitet als Auslandskorrespondentin in Australien.
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Barbaratag
Eva blickte aus dem Küchenfenster in das dichte Schneetreiben hinaus. Im Garten konnte man nicht mehr erkennen, wo ihre Mutter im Herbst die frischen Gemüsebeete angelegt hatte. Ein weicher, samtener Teppich hüllte alles zu. Die Obstbäume hatten schon lange ihre Blätter verloren, der Herbstwind hatte noch mit ihnen gespielt und sie in Kreisen zu Haufen zusammengeweht. Jetzt waren alle Äste und Zweige mit Schnee dicht beladen. Die Zaunpfähle trugen dicke Mützen. Bald würde der Wind sie mit sich nehmen. Da sah Eva ihren Großvater aus dem Haus gehen, eine Baumschere in der Hand. Er bahnte sich einen Pfad zum Kirschbaum.
Eva lief vom Fenster weg zur Garderobe und schlüpfte rasch in Mantel und Schuhe. Als sie die Haustür aufriss, rief sie: „Opa, was machst du denn draußen?“ Sie hatte Mühe, den großen Fußstapfen zu folgen, ohne in den Schnee zu fallen.
„Was ich da mache? Das siehst du doch! Ich schneide Barbarazweige ab. Heute ist doch der Barbaratag!“, erklärte Großvater.
„Aber warum machst du das genau heute?“, wollte Eva wissen.
„Das ist ein alter Brauch, der geht schon viele Jahrhunderte zurück. Die heilige Barbara starb am 4. Dezember 306, und am Weihnachtstag sollen auf ihrem Grab Blumen geblüht haben. Wenn wir die Zweige heute ins Wasser stellen und sie gut pflegen und warm halten, dann kann es sein, dass wir zu Weihnachten Kirschblüten im Haus haben. Und da das ein Glücksfall ist, überträgt man dieses Glück auf das kommende Jahr.“ Der Großvater reichte Eva einige Zweige, während seine Augen weitere passende auf dem Baum suchten. Er wollte solche wählen, die dem Baum im Frühling nicht fehlten. Eva betrachtete die Zweige. Ihr fiel auf, dass die Knospen schon ganz schön dick und rund waren, obwohl es doch noch kalt und Winter war. Jede Knospe war gut in eine braune Hülle eingepackt. „Wenn es warm wird, sind die Knospen sofort bereit zu wachsen, dicker zu werden und dann auszutreiben. Diesen Frühling täuschen wir den Zweigen in der warmen Wohnung vor.“
Eva bewunderte diese Knospen, die in – sie rechnete rasch nach – zwanzig Tagen Blüten und Blätter treiben sollten. Sie konnte sich das gar nicht vorstellen. „Opa, das sind nur zwanzig Tage! Das ist doch unmöglich!“
„Wart’s ab! Vielleicht erleben wir eine Überraschung!“ Opa hatte genug Zweige geschnitten. Jetzt steckte er die Baumschere in die Jackentasche und gab Eva die letzten Zweige. Ein beachtlicher Strauß war das geworden!
Als sie zurück zum Haus stapften, bemühte sich Opa, kleine Schritte zu machen, damit Eva im knietiefen Schnee leicht nachkommen konnte. Er guckte einmal zurück und musste lächeln. Eva trug die Kirschzweige so andächtig wie einen teuren Blumenstrauß samt Kristallvase. In der Küche legte Opa die Zweige eine Weile in das Abwaschbecken mit Wasser, dann erst steckte er sie in einen hohen Krug. Während er Wasser einfüllte, erklärte er: „Auf dem Kaminsims haben sie es warm. Und außerdem sehen wir jeden Tag, ob sich an den Knospen etwas verändert. Nun heißt es warten und geduldig sein. Wir Menschen sind häufig ungeduldig, aber die Natur lehrt uns die Geduld!“
Eva guckte die Zweige lange an. In ihren Gedanken hatten sie schon zu blühen begonnen.
Elisabeth Seiberl aus Bad Leonfelden in Österreich ist als Lehrerin an einer Hauptschule tätig. Sie hat bereits mehrfach in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht.
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Im Schein der Kerze
In seiner Werkstatt sitzt Tom. Er ist damit beschäftigt, ein paar besondere Kerzen für die Adventszeit zu gestalten. Schon in Kindertagen war es sein Wunsch gewesen, Kerzengießer zu werden. Noch heute, nach so vielen Jahren, hat er viel Freude an seiner Arbeit und denkt oft zurück an die Zeit, als sie damals als Kinder beim Schein der Kerze mit der Großmutter in der Dämmerstunde an langen Winterabenden saßen und ihren Geschichten lauschten.
Seine Kerzen sind sehr begehrt auf dem Wochenmarkt und finden schnellen Absatz. „Solche Kerzen sieht man nirgends sonst“, sagen seine Kunden. „Schön, dass Sie wieder da sind, ich brauche noch die eine oder andere Kerze als Geschenk.“ Solche Worte erfreuten den Mann und zeigen ihm, dass es richtig war, diesen Beruf zu ergreifen.
„Damit verdienst du doch nichts“, sagen andere. Aber das stört Tom nicht, denn er gibt mit jeder Kerze ein Stück Herz an seine Kunden weiter, ein wenig Liebe, mit der er jede einzelne seiner Kerzen erstellte – und das alleine ist ihm wichtig.
Heute steht er auf dem Weihnachtsmarkt. Viel hat er schon verkauft von seinem Angebot, da kommt eine alte Frau, die eine Kerze für ihr Adventsgesteck sucht. Gerade diese einzelne rot gedrehte ist die, die sie sich wünscht. Ihr weniges Geld reicht gerade noch für den Erwerb dieser einen Kerze.
Glücklich begibt sie sich mit ihrer Errungenschaft auf den Heimweg. Zu Hause fertigt sie sich ihr eigenes Adventsgesteck aus gesammelten Zweigen, Borke und Moos, Material, das sie von ihren Waldspaziergängen mitgebracht hatte. Durch diese Kerze wird das Gesteck zu einem liebevollen Kunstwerk. Am ersten Advent sitzt sie bei einer Tasse Tee und ein paar Plätzchen. Auf dem Tisch vor sich ihr Gesteck mit der leuchtenden Kerze. Sie sieht in die Flamme und träumt sich zurück in eine Adventszeit vor vielen Jahren, als ihre Kinder noch um sie saßen und lauschten, wenn sie sich für jeden Adventssonntag eine neue Geschichte ausdachte.
Da schreckt sie ihre Wohnungsklingel aus den Träumen. Wer da wohl etwas von mir will, überlegt sie, als sie sich zur Tür begibt. Vor ihr steht Vicky, ihre Enkelin. „Ich war hier in der Gegend und wollte mal nach dir schauen“, begrüßt sie ihre Oma.
„Komm herein, ich habe gerade Tee gebrüht“, freut sich die Alte. Beide sitzen nun zusammen und Oma erzählt, wie sie einst Weihnachten feierte. Wie es war mit sechs Geschwistern, das man sich riesig freute über eine Apfelsine, die man gerne miteinander teilte. Das junge Mädchen findet es schön, so mit ihrer Großmutter zusammenzusitzen. Als sie sich am Abend verabschieden, sagt sie: „Jetzt besuche ich dich öfter mal, es war wunderschön bei