Leopold Stummer

Fehlalarm!


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(siehe dazu auch Stella Liebeck vs. McDonald’s, New Mexico, 1992) und man von zu viel Alkohol besoffen wird. Man könnte dann auch noch die Menge eines aufzunehmenden Inhaltsstoffes, mit den bisher gegessen Produkten addieren und so eine voraussichtlich noch harmlose »erlaubte Tagesdosis« (ETD – engl.: acceptable daily intake, ADI) – pro Schadstoff – bestimmen. Dieser Wert errechnet sich aus der Dosis (pro Kilo), bei der eine Ratte oder Maus noch keine sichtbaren (!) Schäden zeigt (no observable adverse effect level, NOAEL). Ein Prozent davon ist – per definitionem – harmlos und daher jedermann /-frau zuzumuten. Individuelle Unverträglichkeiten oder Wechselwirkungen bleiben natürlich unberücksichtigt. Hoffen wir deshalb, dass z. B. E 231 (Orthophenylphenol) und E 321 (Butylhydroxytoluol) im Magen (gemeinsam mit der Salzsäure) nicht ausgerechnet einen neuen Sprengstoff ergeben.

      Einschränkend muss jedoch angemerkt werden: Keiner liest den Unsinn, die Mehrheit versteht ihn nicht (besonders die dzt. über 300 E-Nummern, hier scheint Absicht dahinterzustehen). Bei Frischprodukten ist ein Überblick über die Inhaltsstoffe ohnehin nicht möglich, die Werte der verschiedenen Substanzen schwanken stark, und wer hat schon immer ein voll ausgestattetes Lebensmittellabor bei sich. Der Vitamingehalt – sagen wir z. B. von einem Radieschen – ändert sich um ein Mehrfaches, u. a. je nach Herkunft, Lagerung und Rasse (des Radieschens natürlich).

      Noch dazu sind, wie erwähnt, noch längst nicht alle Gefahren entdeckt. Unerkannte Bedrohungen lauern listig: Sogar wenn dich persönlich der gesunde Menschenverstand davon abhält, dich fast ausschließlich von Buttergeschmack-Mikrowellenpopkorn zu ernähren – einen Idioten gibt’s immer, [22] und der ist ohne wissenschaftliche Studien, Medienberichte, Grenzwerte und Warnhinweise, Ge- und Verbote natürlich ganz arm dran.

      Als wäre das alles noch nicht genug, diffundieren auch noch Chemikalien aus den Verpackungen in die Lebensmittel. Wer also glaubt, dass sein Baby bei Fütterung mit geprüften, schadstofffreien (?) Bio-Karotten vor Gesundheitsgefahren sicher ist, sollte doch konsequenterweise auch die Deckel des Gläschens kontrollieren, ob nicht womöglich Phthalate – die üblichen Weichmacher im Kunststoff – in der Dichtung stecken. Letztere sind nämlich hochverdächtig, das männliche Geschlecht als solches zu schwächen.

      Vor einer weiteren Gefahr muss noch gewarnt werden – wer sich in diesem Sinn bewusst ernährt, die Kalorien (eigentl. Joule), Fett, Kohlehydrate, Inhaltsstoffe, Herkunft und Qualität der Lebensmittel genau kontrolliert und berechnet, Extrapreise für Biofutter bezahlt und für das Glück der Hühner(besitzer) noch einen Bonus drauflegt, dessen Verhalten wird anderen Menschen wahrscheinlich auffallen. Diese holen dann Fachleute herbei, die möglicherweise zwanghaftes Verhalten und psychische Störungen20 diagnostizieren. Kurz darauf findet der Betreffende oder Betroffene sich vielleicht in einer Umgebung, in der Klinikkost verabreicht wird – und auf deren Zusammensetzung, wiewohl kontrolliert, hat man selbst gar keinen Einfluss.

      Nachdem nun geklärt ist, dass man in jedem Fall das Leben riskiert, was immer man auch isst, muss noch eine weitere Warnung ausgesprochen werden: Übermäßiges Essen kann, wie bereits angedeutet wurde, zu Gewichtszunahme führen. In diesem Punkt sind sich praktisch alle Ernährungsexperten einig: Egal, was man isst, es ist auf jeden Fall zu viel (gibt es eigentlich mehr Käsesorten oder Diätpläne?).

      Man muss nicht extra ins Schwimmbad gehen, schon halbwegs warme Sommer (eine erwünschte Auswirkung des Klimawandels?) zeigen uns Schreckliches. Radlerhosen, Leggins, zu kurze T-Shirts, … das ganze belebte Stadtbild zeigt beträchtliche Abweichungen von der medial definierten Idealfigur (betr. Männer, Frauen, Hunde, … sogar Tauben sind fett).

      Wie bei jeder Art von basalem menschlichem Verhalten findet sich auch beim Essen eine erstaunlich hohe Zahl von Aberrationen. Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brechsucht) und Binge-Eating (Fressattacken) sind die häufigsten Essstörungen. Schlichtes »Zu-viel-Fressen« ist als eigenes Krankheitsbild umstritten, nicht aber seine Auswirkungen. Die Auswirkungen der Fettleibigkeit – Diabetes Typ 2, Koronarerkrankungen, diverse Krebsarten usw. – sind längst als Bedrohung globalen Ausmaßes erkannt worden (natürlich nur in dem Teil des Globus, der genug zu essen hat). Wieder mal ist Handlungsbedarf gegeben!

      Werden Übergewichtige die nächsten Raucher sein? Mal sind’s schon Grundschüler, mal die Wehrdienstleister, mal die Jugend überhaupt21 oder gar die »Bevölkerung« – jedenfalls sind alle viel zu dick! Einschlägigen Büchern und Filmen zufolge [23, 24] – nein, begreiflicherweise diesmal nicht von Michael Moore – wundert man sich, dass sich in den USA überhaupt noch genügend Jugendliche finden, die mit ihren Ärschen in einen Panzer oder Kampfjet passen, um fremden Ländern demokratische Freiheit einzubomben.

      Europa ist kaum besser dran. Ein großer Teil der Jugendlichen strebt nicht nach körperlicher Ertüchtigung, sondern frisst fettes Zeug und Süßigkeiten in sich hinein, während sie fast regungslos viele Stunden vor Monitoren verbringen – zum großen Entsetzen von Eltern und Älteren, die ihnen dieses Fehlverhalten durch ihr Vorbild und Werbebotschaften von klein auf ständig vermitteln. Man kann nur hoffen, dass diese Generation von verweichlichten Fettsäcken hart genug sein wird, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein (auch wenn sie dies ständig mit Ballerspielen und Gewaltvideos trainieren).

      Der Volksmund hat – auch diesmal wieder – den Kern der Sache klar erkannt: Alles was Spaß macht, ist entweder unmoralisch, illegal, oder es macht dick! Das Bestreben der Wolfbekämpfungsfraktion ist darauf gerichtet, immer mehr Spaßfaktoren von »unmoralisch« (und dick machend) nach »illegal« zu verschieben. Außer den schon früher genannten Gründen, wie Prestige und Geld scheint es – besonders beim »einfachen, besorgten« Aktivisten – auch um ein tief sitzendes Unbehagen gegenüber dem Spaß, den ein anderer hat, zu gehen. Solche Genussskeptiker sind gewiss ein lohnendes Gebiet für psychologische Forschung. Letztendlich entscheidet jeder (noch und zum Teil!) selbst, wie viel Gesundheitsrisiko und gegebenenfalls Illegalität ihm der jeweilige Spaß wert ist.

      Die Endlösung: Letztlich bleibt dir nur Soylent Green – die Nahrung der Zukunft, das beste Soylent [25] aller Zeiten.

      Auf den Schreck brauchst du jetzt …

       … was zu trinken?

      Vorsicht, hier lauert einer der ältesten Wölfe überhaupt, schon fast ein Zombiewolf – die Prohibition (USA, 1919–1932). Na gut, das ist lange her und wäre ja jetzt überstanden! – Nicht ganz, denn im ständigen Streben nach Bevormundung von jedem und jeder sind die selbsternannten Gouvernanten lediglich etwas subtiler geworden.

      Carrie Nation (1846–1911) verrichtete ihr segensreiches Werk noch mit Steinen und Äxten. Als Tochter einer Geisteskranken und Gattin eines Alkoholikers, den sie nach wenigen Monaten verließ, erlebte sie eine religiöse Erweckung und begann – natürlich von Gott direkt geleitet – Dutzende Saloons22 zu verwüsten. Konsequenterweise wurde sie zu einer der wichtigsten Vorkämpferinnen der Prohibition (und der Frauenbewegung).

      Inzwischen werden vorwiegend publizistische Mittel verwendet. Nicht, weil die Gegner etwaiger alkoholischer Freuden plötzlich etwas gegen Äxte oder ähnliche Zwangsmaßnahmen hätten, aber die Zeiten haben sich doch ein wenig geändert. Der Gedanke, dass irgendjemand vergnügt ist – und sei es auch nur unter Einfluss berauschender Mittel – ist für Abstinenzler, Temperenzler, Puritaner und andere selbsternannte Hüter der öffentlichen Moral nach wie vor unerträglich. Schließlich ist es »Verschwendung« von Zeit, Geld, Produktivität, Hirn- und Leberzellen, ja sogar von Menschenleben23. Besonders abzulehnen ist eine evtl. enthemmende Wirkung (bei Alkohol und einigen anderen24 Substanzen), weil viele dieser Hemmungen dem Nachwuchs ja vorher erst mühsam andressiert werden müssen – es wäre also schade um die Mühe.

      Was liegt also näher als ein Wolf! In wechselnden Abständen – vermehrt aber Anfang 2007 – wurde er in den Schlagzeilen gesichtet: Jugendliche, von Woche zu Woche jünger, wurden sturzbetrunken aufgefunden (mit von Woche zu Woche höherem Promillegehalt). Das sogenannte »Komatrinken« war erfunden worden. Minister, Pädagogen, Ärzte, … und wer sich sonst noch aller dazu berufen ­fühlte, gaben ihre Meinung ab. Ein Problem war geboren: Wie kann man die Kinder davor bewahren, sich buchstäblich zu Tode zu saufen? Mit den Eltern hatte das alles natürlich