England, …) ist eine sehr restriktive Einstellung zu Alkohol ohnehin Tradition. Erstaunlich, wie unglaublich besoffen die Bürger dieser Länder dann im Ausland oft sind, wenn die gewohnten Einschränkungen fehlen. Ja, der Begriff des »binge drinking« wurde sogar in einem dieser den Alkoholkonsum tendenziell eher einschränkenden – und sehr teuren – Ländern geprägt. Als Universalmittel zur Eindämmung des offensichtlichen Bedürfnisses dieser Bürger, sich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken, wurden natürlich hohe Steuern – in Verbindung mit starkem moralischem Druck – verordnet. [17]
Um also die Gesundheit, besonders der Jugend, zu schützen, wurden Steuern erhöht (Alkopops), Verbote verschärft und Kontrollen verstärkt. Bald war der Wolf besiegt. Niemand, aber auch schon wirklich niemand war mehr stockbesoffen?
Vielleicht waren die dann folgenden Berichte im Sommer 2007 nur etwas unauffälliger. Nicht auf der Titelseite, sondern tief in den »Wissenschaftsseiten« versteckt, fanden sich kurze Notizen darüber, dass es ein vermehrtes (klinisch relevantes) Auftreten alkoholisierter Jugendlicher oder gar Kinder, nie gegeben hatte. Die Zahlen waren langjährig konstant und insgesamt eher niedrig. Nichts war anders gewesen als zuvor, bevor der »Komasaufen«-Wolf geschaffen worden war. Lediglich einige spektakuläre Einzelfälle wurden medial aufgebauscht. Irgendwann haben eben die meisten Jugendlichen ihren ersten und oft auch einzigen Vollrausch. Jugendliche wollen eigene Fehler begehen, diese kann (und soll) man ihnen nicht ersparen, man kann höchstens versuchen, sie vor den Auswirkungen zu beschützen.
Übermäßiger Konsum von Alkohol – wie jeder andere übermäßige Konsum – ist schädlich (dies ist schon dem Wort »übermäßig« zu entnehmen). Psychischer, physischer und sozialer Ruin, Sucht, Leberzirrhose, mindestens ein Dutzend Krebsvarianten, ja sogar Ausschreitungen bei Fußballspielen, evidente Selbstüberschätzung, ungeplante Schwangerschaften, Verirrungen, Verwirrungen und befleckte Kleider können die Folge sein. Gewiss ein Anlass zur Sorge. Diese Bedrohung ist aber vielleicht nicht ganz so neu, denn schon vor ca. 3 300 Jahren warnt ein ägyptisches Papyrus [26]:
Sei nicht unmäßig beim Biertrinken!
Nicht angenehm ist die lallende Sprache,
die aus deinem Munde kommt,
du selbst aber weißt nicht, was du redest.
Fällst du hin und bist du verletzt,
niemand ist da und reicht dir die Hand.
Deine Saufkumpane stehen herum
und sagen: Weg von diesem Betrunkenen!
Kommt aber eilig jemand,
um von dir einen Rat zu holen,
dann wird er dich am Boden finden,
daliegend wie ein Kleinkind.
Letztendlich ist die überwiegende Mehrheit der Menschen mit den Gefahren des Alkohols bis jetzt so halbwegs fertig geworden. Trotzdem müssen scheinbar künftige Generationen unbedingt vor dieser Bedrohung beschützt werden. Ausweiskontrollen, Überwachungskameras25 und stetiges Erhöhen von Verkaufspreis und Mindestalter sind durchzusetzen, denn … 1.) hat es Tradition (siehe vorhin bei Frau Nation und Co.), 2.) gibt es tatsächlich viele tragische Fälle von Alkoholismus und dessen Auswirkungen und 3.) werden die Raucher ja irgendwann ausgerottet sein (s. u.), es wird also Bevormundungspotential frei, das ansonsten ungenutzt, ja womöglich gar »verschwendet« wäre.
Manchmal sind es allerdings nur triviale Geschäftsinteressen, die zu Verboten führen. Der relativ billige und deshalb unter anderem in Proletarier- und Künstlerkreisen um die Jahrhundertwende recht beliebte Absinth – ein Schweizer (!) Kräuterlikör – wurde, da er zu Ausschweifung, Wahnsinn und Mord führte, in fast allen europäischen Ländern verboten (bis 1998). Wichtige Unterstützter des Verbots waren allerdings – zufälligerweise – die französischen Weinproduzenten, die sich die unliebsame Konkurrenz vom Hals schaffen wollten. Der Alkoholismus von Teilen des Proletariats, »unabhängige« medizinische Gutachten und ein dramatisch aufgebauschter Mordfall führten schließlich zum Verbot von Absinth für beinahe ein Jahrhundert
Trotzdem wird andererseits gelegentlich veröffentlicht, dass mäßiger Genuss von Bier oder Wein (je nach Sponsor der Studie) eine wunderbar verjüngende, gesundheitsfördernde Wirkung hätte. Meist wird das auf die Vernichtung von freien Radikalen26 durch z. B. ein Gläschen Rotwein zurückgeführt. Dieser Antioxydantien-Mythos hilft auch beim Absatz von grünem Tee, Karottensaft, Vitamin-C- und -E-Präparaten und einem Dutzend anderer Kräuter, allerdings ohne dass die Wirkung wissenschaftlich beweisbar wäre. [27]
Vermutlich ist es am klügsten, einfach zu trinken, was schmeckt. Wein hat es immerhin im Christentum (und vielen antiken Religionen) sogar zu sakraler Bedeutung gebracht. Auch viele kritisch-kreative wissenschaftliche Diskussionen wären z. B. ohne Bier kaum denkbar – schon Wilhelm Busch schreibt über die angehenden Studenten: »Die erste Pflicht der Musensöhne ist, dass man sie an Bier gewöhne.« [28]
Lokalpolitiker beklagen gelegentlich (im kleinen Kreis, unter Ausschluss der Öffentlichkeit), dass kein öffentlicher Auftritt stattfinden kann, ohne das angebotene Glas zu trinken. Der prallen Marketenderin zu sagen, man hätte statt dem angebotenen Schnaps lieber ein Glas Multivitaminsaft würde die meist in unmittelbarer Nähe befindliche Blasmusikkapelle unverzüglich dazu bringen, ein Requiem auf die Chancen bei der Wiederwahl des/der betreffenden Politikers/-in zu intonieren. – Berufsrisiko!
Milch soll angeblich besonders gesundheitsfördernd sein – dies ist kein Wolf, sondern nur eine Ente. Tatsächlich vertragen 66–80% (!) der erwachsenen Weltbevölkerung (Südländer, Asien zu 80–90%) Milch wegen Laktoseintoleranz nicht. Andererseits kennen nur 10–15% der Mittel- u. Nordeuropäer (bzw. deren Abkömmlinge) dieses Problem. Der Rest hat vor gerade mal ca. 7000 Jahren anlässlich der Einführung der Rinderzucht eine genetische Mutation durchgemacht.
Deren Ergebnis ermöglicht es dem erwachsenen Nordeuropäer – wie einem Kind – Milch ohne Blähungen und Durchfall zu genießen, eine Art neotener27 Entwicklung. Die Empfehlung, zur Gesundheitsförderung Milch zu trinken, ist also ein typischer Fall von ethno-chauvinistischer, ernährungsmedizinischer Sichtweise …
Die restlichen Getränke sind schnell abgehandelt. Für Obstsäfte gilt vieles, das zuvor über Gemüse geschrieben wurde. Eine lange, meist ungemein klein gedruckte Liste von Zusatzstoffen, Geschmack und Färbemitteln und – wie auch bei den Softdrinks – eine Riesenmenge Zucker erfreuen den Gaumen. Vitamine usw. werden schon ein paar drin sein, und umbringen wird’s wohl kaum einen.
Dass Cola als Kontrazeptivum (spermizide Vaginalspülung), mühesparende Silberpolitur oder – zusammen mit Aspirin – als Droge wirkt, sind sämtlich urbane Mythen. Wahr ist hingegen, dass Cola rostlösend funktioniert, zusammen mit ein paar Menthos® ganz erstaunlich abgeht28 und eine Unmenge Zucker (oder alternativ Aspartam) enthält. Diese hohe Dosis an Süßmitteln enthalten auch fast alle anderen Getränke, die hauptsächlich an Kinder, aber auch an Erwachsene, die aus irgendwelchen Gründen keinen Alkohol trinken, verabreicht werden.
Kaffee – fast schon eine Droge? Tee – enthält ähnliche Wirkstoffe! Vielleicht schon bald wird die Wolfjägergesellschaft diese Gefährdung der Gesellschaft – ja, der ganzen Zivilisation überhaupt – nicht länger ignorieren können. Schon ein einziges kleines Mädchen, das sich in einer Talkshow als Espresso-Süchtige outet, kann eine Kampagne auslösen. Es ist nur eine Frage der Zeit!
Was bleibt also? Entweder man ignoriert die mehr oder weniger gut gemeinten Warnungen und tut, wonach einem ist, oder …
… trinkt reines, klares Wasser (wirklich)!
Bleibt noch das angeblich größte und gefährlichste der zeitgenössischen Laster …
… das Rauchen!
In der aktiven Variante