Ulrich Renz

Motte und Co Band 4: Die Insel der Drogenbande


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diese Frisur ausgedacht hatte, bekam man keine klare Antwort, aber seine Freunde lagen mit der Vermutung, dass es etwas mit dem coolen Surflehrer vom Ferienclub zu tun hatte, sicher nicht falsch. Chrissy, wie ihn alle genannt hatten, war von so ziemlich allen Mädchen heiß umschwärmt gewesen, ganz besonders natürlich von Mottes Schwester Ute. Das lag aber nicht nur an seiner angesagten Frisur, sondern auch an seinem Körperbau. Und da war JoJo, klein und dick wie er war, von vorneherein auf verlorenem Posten.

      Die vier Freunde saßen nebeneinander auf dem Geländer in einer Ecke des Parkplatzes vor dem Supermarkt, wo sie nach der Schule immer eine kleine Pause einlegten, bevor sich jeder auf seinen Nachhauseweg machte.

      „Jetzt krieg dich doch ein“, sagte Motte zu JoJo, „wart doch erstmal ab, wie Siegwart reagiert.“

      „Klar denkt er, wir hätten uns das alles zusammen ausgedacht“, sagte MM. „Kann schon sein, dass er uns dafür ein paar Punkte abzieht, er ist ja so darauf rumgeritten, dass wir einen Tatsachenbericht schreiben sollen und keine Fantasiegeschichte …“

      „Und dass ihr mir bloß nichts dazuerfindet, meine Damen und Herren“, äffte Motte den Deutschlehrer in dessen merkwürdigem Singsang nach. „Das Thema heißt: Ein unvergessliches Ferienerlebnis, jeder schreibt drei Seiten Minimum.“

      „Ich werde ihm dann schon klarmachen, dass es nun mal genau so passiert ist, ob's ihm passt oder nicht!“, platzte es aus JoJo heraus. „Schließlich gibt es ja auch Beweise.“ Mit beleidigtem Gesicht fügte er hinzu: „Als ob ich es nötig hätte, mit irgendwelchen erfundenen Geschichten anzugeben“, und zwirbelte wieder an seinen Haaren herum.

      „Ist doch logisch“, beschwichtigte ihn Motte, „wir schreiben alles genau so, wie es passiert ist …“

      „Aber …“, unterbrach ihn MM, „eins ist doch wohl klar: kein Wort zu dem, was am Schluss passiert ist, ja?“

      „Was denkst du denn?! Abgemacht ist abgemacht“, gab Motte zurück.

      „Wollte das nur noch mal für uns alle klarstellen“, sagte MM und zwinkerte dabei JoJo zu. „Nicht, dass jemandem der Stift durchgeht. Bei der Banane ist Schluss, okay?“

      „Klar, bei der Banane ist Schluss“, sagte Motte.

      „Logo, bei der Banane ist Schluss“, brummte JoJo.

      „Banane … Schluss“, murmelte jetzt auch Simon.

      MM sprang von der Stange. „Ich muss los.“ Sie umarmte die Jungs einen nach dem anderen, Motte erst ganz am Schluss, dafür ein bisschen länger. „Also dann, viel Spaß beim Schreiben!“

      Sie setzte sich auf ihr Fahrrad. Im Wegfahren drehte sie sich noch zu JoJo um: „Und nichts dazu dichten – es reicht auch so für einen Herzinfarkt von Siegwart …“

      „Hör mal … kennst mich doch …“

      „Ja, eben.“

      ***

      Zwei Stunden später lag Motte in seinem Zimmer auf seinem Lieblingsplatz, dem weißen flauschigen Teppich unter dem Hochbett, und starrte auf das leere Heft, das aufgeschlagen vor ihm lag. Er wusste einfach nicht, wie er anfangen sollte. Und das ging jetzt schon eine ganze Stunde so.

      Bisher hatte er nur seinen Namen links oben auf die Seite gekritzelt, aber das war auch schon alles. „Moritz Blohm, Klasse 7 c“. Wie immer kam es ihm ein bisschen komisch vor, seinen offiziellen Vornamen vor sich zu haben. Seit Menschengedenken nannten ihn nun mal alle nur Motte.

      Gut, Siegwart hatte ihnen eine ganze Woche Zeit gegeben, er war also nicht wirklich unter Druck, aber irgendwann sollte er schon mal in die Gänge kommen. Die anderen hatten bestimmt schon ein paar Seiten geschafft, zumindest MM, und Simon sicher auch. Bei JoJo hatte er allerdings seine Zweifel, der saß jetzt vermutlich eher an seinem Spiel vor der Playstation und zog sich dazu einen Döner rein. JoJo hatte einfach zu viel Ablenkung, um sich mit Hausaufgaben zu beschäftigen. Und wenn seine Mutter abends nach Hause kam, hatte sie anderes zu tun als die Schularbeiten ihres Sohnes zu kontrollieren. Am Ende würde es wie immer auf eine seiner berühmten „Last-minute-Hausaufgaben“ hinauslaufen, kurz vor der Deutschstunde würde er die von Siegwart geforderten „drei Seiten Minimum“ hinklecksen und sich mit dem üblichen „ausreichend“ zufriedengeben.

      Motte stöhnte. Er hatte ja selber noch keinen Buchstaben zustande gebracht, und jetzt zog er über JoJo her ... Das Problem war nicht, dass ihm nichts eingefallen wäre – genau das Gegenteil war der Fall. Sobald er an den Urlaub dachte, drängelten sich tausend Bilder und Erinnerungen gleichzeitig in seinen Kopf, er konnte einfach nichts dagegen machen. Es fühlte sich fast so an, als ob er immer noch auf der Insel wäre.

      Er spürte die Sonne auf der Haut, den warmen Sand unter den Fußsohlen, fühlte den Wind in den Haaren, und meinte sogar, das Meer zu riechen. Er sah den Campingplatz vor sich, wo sie sich ihr Lager eingerichtet hatten, mit den vier Hängematten zwischen den Kiefern. Es war ihm, als läge er in einer von ihnen und hörte die Wellen rauschen. Er dachte an die Bucht mit dem türkisgrünen Wasser, in das sie immer von den Felsen aus reingesprungen waren.

      Aber zwischen all den schönen Bildern tauchten dann unweigerlich auch die anderen auf: der fiese Leutnant mit der Narbe an der Stelle, wo das Ohr sein sollte. Das Waffenlager hinter dem Stahlgitter. Die Fahrt auf der Banane. Und dann unweigerlich auch das, was am Ende auf der Yacht passiert war.

      Motte spürte sein Herz klopfen. Was für ein Wahnsinnsglück sie gehabt hatten, dass sie da heil wieder rausgekommen waren!

      Seinen Eltern hatte er von der Sache auf der Yacht nur das Allernötigste erzählt, in einer harmlosen, aber fantasievollen Fassung. Aber das hatte schon für einen Nervenzusammenbruch von Mama gereicht. Und Papa hatte gar nicht mehr aufgehört, ihm Vorträge über das Verantwortungsbewusstsein zu halten. Dass man auch als Kind seine Grenzen kennen müsse. Er hatte ihn mal wieder als „Rückfalltäter“ bezeichnet, und, na ja, ganz unrecht hatte er ja nicht. Er wusste selber nicht, warum er immer wieder in solche gefährlichen Sachen hineingeriet ...

      Motte seufzte. Jetzt war er in Gedanken schon am Schluss der Geschichte angekommen – und hatte immer noch nicht die geringste Idee, wie er anfangen sollte. Vielleicht könnte er zumindest mal die Überschrift hinschreiben, dann war das Blatt nicht mehr so weiß.

      Er hatte gerade den Stift angesetzt, als mit einem Rums die Tür aufging.

      Ute, wer sonst. Anklopfen war unter ihrer Würde.

      „Na, Brüderchen?“

      Ihrem Gesicht nach zu urteilen, kam sie gerade von ihrer Freundin Melanie und hatte mit ihr den Nachmittag vor ihrem aktuellen Lieblingskanal auf YouTube verbracht, „Coole Styling Tipps für coole Girls“, und den ganzen Kram natürlich gleich ausprobiert: kiloweise Mascara um die Augen, dazu lila Lippenstift. Sie sah zum Fürchten aus. Dazu trug sie die gelben Leggins und ein Oberteil mit extra krassem Ausschnitt. Und Turnschuhe. Offenbar hatte sie sich schon fürs Abendprogramm auf ihrem Hometrainer zurechtgemacht, den sie Oma Biene zu Weihnachten aus den Rippen geleiert hatte. Sie musste schon für die Wochenenden im Freibad an ihrer „Bikini-Figur“ arbeiten. Auch das unter Anleitung einer megaangesagten YouTuberin, der sie mit Melanie „followte“. Mit zwölf schon auf dem Gipfel der Pubertät zu sein, musste weh tun. Jedenfalls tat es das bei denen, die mit dabei sein mussten.

      „Wir sollen einen Aufsatz über unsere Ferien schreiben, bei Frau Linowitzki in Deutsch“, platzte sie schon in der Tür heraus.

      „Ach, wie originell …“, gähnte er.

      „Hab vorhin in der Mensa schon angefangen, flutscht richtig, hab schon zwei Seiten, hat richtig Spaß gemacht! Irre, was wir da erlebt haben, ich kann's immer noch nicht fassen. Aber die glaubt’s ja sowieso nicht … Aber egal. Heute Abend krieg ich das fertig.“

      „Aber untersteh dich! Du weißt, was wir ausgemacht haben. Bei der Banane ist Schluss, dass das klar ist.“

      „Ach, muss Brüderchen sich mal wieder aufregen? Für wen hältst du mich eigentlich? Ich bin vielleicht jünger als du, aber deshalb