Ulrich Renz

Motte und Co Band 4: Die Insel der Drogenbande


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echtes Indianerlager.

      JoJo sicherte den Eingang des Zelts mit mehreren Vorhängeschlössern, dann sagten wir unserem Lager Tschüss und zogen los, um bei Mama und Papa vorbeizuschauen.

      Kaum zu glauben, der Tempel war aufgebaut! In voller Pracht, quietschgrün und noch größer und leider auch hässlicher, als ich gedacht hatte.

      Im Schatten des Vordachs saß Papa auf einem Campingstuhl und schaute uns unglücklich an. Um seine rechte Hand hatte er einen dicken Verband. „Ich bin mit dem Zelt nicht ganz klargekommen“, sagte er mit einem matten Lächeln.

      „Er wollte die Heringe mit einem Steinbrocken einklopfen. Beim ersten ist es passiert …“, seufzte Mama.

      Offenbar hatte sie es ganz gut allein geschafft, das Zelt aufzubauen.

      Nach einem kleinen Snack mit Wassermelonenschnitzen, die der nette Platzwart vorbeigebracht hatte, wollten wir uns gleich mal das „Dorf“ anschauen – so wurde die Ferienanlage im Prospekt genannt. Auf Mamas Befehl mussten wir Ute mitnehmen. Die verschwand erst einmal im Zelt, um sich mit ihrem Schminkköfferchen stadtfein zu machen. Und auch JoJo war noch nicht bereit. „Keine Expedition ohne geeignete Ausrüstung“, sagte er und stapfte zurück zu unserem Lager.

      Als er wiederkam, war er kaum mehr wiederzuerkennen. MM stupste mich an und zischte mir „Nichts sagen!“ zu.

      JoJo trug einen Ganzkörperanzug in Tarnfarbe, der voller Reißverschlüsse, Taschen und Schlaufen war, an denen Karabinerhaken und alle möglichen Gerätschaften befestigt waren. Auf dem Kopf hatte er einen überdimensionierten Sonnenhut mit Moskitonetz vorne über dem Gesicht und Nackenschutz hinten. Vor seinem Bauch baumelte das Riesenfernglas. Mit der Sonnenbrille mit blau metallic verspiegelten Gläsern, die unter dem Moskitovorhang hervorstrahlten, sah er aus wie ein durchgeknallter Außerirdischer.

      Als dann auch Ute endlich wieder aufgetaucht war, in voller Kriegsbemalung, konnten wir uns auf den Weg ins Dorf machen. Alles war hübsch und nett und picobello sauber. Um die Pools saßen und lagen Leute auf ihren Liegestühlen, drum rum waren Restaurants, Bars und Cafés mit leuchtend blauen Sonnenschirmen davor. Es wimmelte von Kellnern und Kellnerinnen in weißer Uniform, die sogar Gäste auf den Liegestühlen am Schwimmbad mit Säften und Cocktails versorgten. MM hatte uns erzählt, dass die Clubgäste mit den gelben Bändern am Handgelenk alles „inklusive“ bekämen, also für Frühstück, Mittagessen und Abendessen und alle Getränke nicht extra bezahlen müssten. Aber am Urlaubsende dafür eine dicke Rechnung bekämen. Wir vom Campingplatz hatten beim Einchecken grüne Bändchen erhalten, mit denen wir abends im Restaurant so viel essen durften wie wir wollten. MM und Tati hatten blaue Bändchen und bekamen damit Frühstück, Abendessen und Getränke in den Cafés und Bars. Und was das Genialste war: Die mit den blauen Bändchen durften sich jederzeit an der Eistruhe bedienen, die im Eingangsbereich der Cocktailbar stand.

      Und genau dort standen wir nun und hatten ein Problem.

      „Ich kann da doch nicht einfach reingehen und mir fünf Packungen Eis nehmen“, sagte MM mit einem gequälten Lächeln.

      „Kommt sicher nicht so gut“, sagte Simon und grinste.

      JoJo meinte großspurig „Wo ist das Problem?“, aber mir wäre es auch peinlich gewesen. Leider hatten wir keine Chance, MMs blaues Bändchen reihum weiterzugeben, denn es war an ihrem Handgelenk fest verplombt.

      In dem Moment winkte uns der Barkeeper zu sich heran und zwinkerte uns freundlich an. Offenbar hatte er unser Problem erkannt. In einem lustigen Kauderwelsch sagte er zu MM: „Is sich nullo Problemo, kannst du nehmen auch für deine Freunde – bei Luigi is Eistruhe immer voll!“ Er gab uns der Reihe nach die Hand und sagte dabei „Ich Luigi“. Er war ganz in Weiß gekleidet, sein Hemd war vorne offen bis zum Bauchnabel und zeigte eine Behaarung, die einem Orang-Utan alle Ehre gemacht hätte.

      Wir zogen, jeder mit seinem Eis in der Hand, weiter zu den Swimmingpools. Einer davon war für die Nichtschwimmer, die Kleinen quiekten und kreischten um die Wette. Im großen Pool spielte eine Großfamilie Ball, alle trugen orangene Badeklamotten. Ich meinte, sie vorhin schon auf dem Campingplatz gesehen zu haben. Ihr Zelt war nicht weit von unserem Wohntempel. Ihrer lustigen Sprache nach waren es wohl Holländer.

      „Sieh mal einer an, die Billigtouristen vom Campingplatz!“, war plötzlich eine Stimme neben uns zu hören. Sie kam von einem Jugendlichen, der vielleicht achtzehn war, braungebrannt und blond, mit einem strammen Seitenscheitel. Er hatte ein Cocktailglas in der Hand, am Handgelenk ein gelbes Bändchen.

      Er grinste und wieherte in die Runde seiner Freunde, die sich um ihn herum auf ihren Liegen fläzten. Alle wieherten mit. Sie waren zu fünft, ungefähr so alt wie der Strammscheitel und ebenso braungebrannt. Und alle hatten das gleiche fiese Grinsen im Gesicht. Nur einer beteiligte sich nicht am allgemeinen Gelächter, sondern starrte mit offenem Mund Ute an. Er war deutlich jünger als die anderen und sah mit seinem Bubi-Gesicht voller Sommersprossen eigentlich ganz nett aus.

      „Schaut euch mal die Bleichgesichter an, sind ja noch ganz frisch!“, fing der Strammscheitel wieder an. Er war offenbar der Anführer. Und auf Ärger aus.

      „Na Dicker, biste auf Tropenexpedition?“, sagte er in Richtung JoJo.

      Von den anderen kam wieder Gewieher.

      Wir hatten uns mit ein paar Blicken verständigt. Die Botschaft war: besser weiterziehen.

      Es war sowieso höchste Zeit zum Abendessen. Mama und Papa wollten uns um sieben am Restaurant treffen.

      Als wir ankamen, warteten sie schon, und auch Tati war mit von der Partie. Das Restaurant wurde im Prospekt als „kulinarische Wohlfühl-Oase“ angepriesen, und es war tatsächlich wie eine Oase gestaltet: In der Mitte war ein Springbrunnen, um den herum kleine Palmen in Kübeln standen, darüber war eine Glaskuppel. Auf zwei Seiten war das Buffet aufgebaut, hinter dem Bedienstete in weißer Uniform wirbelten oder Würstchen und Frikadellen brieten. Es war wie im Schlaraffenland. Man konnte sich nach Herzenslust bedienen und ging dann mit seinem Teller zurück an seinen Platz. Mama konnte Ute nur mit Mühe daran hindern, ausschließlich vom Nachtisch-Buffet zu nehmen. Es gab Törtchen und Obstpyramiden, Pralinen auf silbernen Tabletts und das Tollste überhaupt: einen Schokoladenbrunnen. Papa taufte die kulinarische Oase feierlich in „Fresstempel“ um. Sein Kopf war eben voller Tempel.

      Nur Mama machte ein unglückliches Gesicht. „Die haben doch was von Bio-Essen geschrieben!?“ Sie machte sich auf die Suche, kam aber bald darauf enttäuscht zurück.

      Ich konnte ganz gut ohne Körnersalat auskommen und meinen Freunden ging es nicht anders. Es gab Pommes, so viel man wollte, und wir hatten sogar einen eigenen Tisch nur für uns Kinder. Man muss den Erwachsenen ja auch mal ein bisschen Ruhe gönnen.

      Nach dem Abendessen schlossen wir uns den Leuten an, die zum „Show-Event-Platz“ pilgerten, der gleich neben dem Fresstempel lag. Dort war eine Bühne aufgebaut, vor der Stühle und Tische standen. Wir fanden einen Tisch, an dem wir alle zusammen Platz hatten.

      „Aber wir bleiben nicht lange“, sagte Mama gleich. „Es ist unser erster Tag, wir sind alle hundemüde.“

      „Und wir bestellen nichts!“, schärfte uns Papa ein. „Mit den grünen Bändchen kostet hier alles extra.“

      Aber wir hatten Glück. Für unseren Tisch war ausgerechnet Luigi zuständig. Er hatte wie alle Kellner jetzt nicht mehr die weiße Uniform an, sondern ein lustiges Kostüm. Er kam gleich vergnügt zwinkernd auf uns zu.

      Tati bestellte etwas auf Griechisch, was wie „Retsina“ klang, er hatte ja auch ein blaues Bändchen. Papa sagte schnell: „Für uns nichts.“

      Luigi lächelte ihn nett an: „Ich immer da, falls Sie anders überlegen.“ Dann zwinkerte er MM zu: „Und die Dame? Bestellt wieder für Herren mit?“ Bevor MM antworten konnte, kam JoJo ihr zuvor: „Klar, Cola für alle, on the rocks!“

      On the rocks, er musste mal wieder den Eingeweihten raushängen. Mal sehen, was Luigi da anschleppen würde.

      „Für