Junkie, so sagt man zu Rauschgiftsüchtigen. Also Leuten, die Drogen nehmen, …“
Von Papa kam dazu automatisch: „Junkie von englisch junk, Müll, Abfall.“
Mir war nicht ganz klar, was Drogen mit Müll zu tun haben sollten.
„… also seid besser ein bisschen vorsichtig“, sagte Mama.
„Ja klar. Mach dir keine Sorgen.“ Was soll man sonst sagen zu einer Mama, die sich hauptberuflich Sorgen macht?
Wir machten uns über die Wassermelonenstücke, Pfirsiche und Weintrauben her, die Mama von einem Bauern gekauft hatte, der seinen Stand auf dem Parkplatz vor der Ferienanlage hatte. Außerdem gab es superleckeren griechischen Sahnejoghurt. Das Campingtischchen brach fast unter der Last zusammen.
Als wir schon fast fertig waren, trudelte auch noch Tati ein. Im Lauf der Ferien kam er jeden Tag ein bisschen später, und jeden Tag sah er ein bisschen verwilderter aus. Seit er griechischen Boden betreten hatte, war er kaum noch wiederzuerkennen. Professor Marienhoff, den man eigentlich nur in Anzug und Krawatte kannte, hatte jetzt eine Fischermütze auf dem Kopf, das Hemd vorne offen und einen wilden Stoppelbart im Gesicht. Und in den Fingern ein kleines Kettchen aus Perlen, an dem er ständig rumspielte. Zum typischen Griechen fehlte nur noch, dass er das Rauchen anfing.
Zu Hause hatte er wohl noch davon geschwärmt, dass er im Urlaub endlich mal in Ruhe arbeiten könne, und den Koffer mit Laptop, Festplatten und sogar einem Drucker vollgepackt. Nun lebte er hier entspannt in den Tag hinein: Nach dem Frühstück machte er es sich erst einmal mit einer Zeitung im Café auf dem „Dorfplatz“ (wie sie hier den zentralen Platz nannten) gemütlich. Nachmittags fuhr er meistens mit dem Bus in das Städtchen, das so eine halbe Stunde entfernt war. Er hatte sich dort mit den Fischern angefreundet, ganz besonders mit einem, den er „Zweistein“ nannte. Auf die Frage, woher er den Namen hatte, kam die Antwort: „Weil er mit seiner weißen Wuschelmähne aussieht wie Einstein – der zweite Einstein, also Zweistein, logisch.“ Was daran logisch sein sollte, war mir allerdings nicht ganz einsichtig.
Nach dem Frühstück war es jeden Tag meine Aufgabe, das Geschirr abzuspülen. Mamas Erziehungsprogramm ging natürlich auch im Urlaub weiter. Ihre größte Befürchtung ist ja, dass aus mir so was Schlimmes wie ein „Macho“ wird. Das ist wohl jemand, der zu Hause die Füße hochlegt, während seine Frau für ihn arbeitet.
Das Abspülen war aber gar nicht so wild, die anderen waren ja mit von der Partie. Im Waschhaus war so ein langer Schlauch, mit dem wir nicht nur das Geschirr, sondern uns auch gegenseitig abspritzten. Leider hatte auch der Koala einmal eine kalte Dusche abgekriegt, was der nur so mäßig komisch fand.
Nach dem Abwaschen machten wir uns alle zusammen auf den Weg ins Dorf, nur Papa blieb meistens noch auf seinem Campingstuhl sitzen und vertiefte sich in seinen Schmöker mit der griechischen Kulturgeschichte oder philosophierte mit dem Koala.
Mama dagegen fuhr voll auf das „Clubprogramm“ ab. Gleich nach dem Frühstück zog sie los, meistens zusammen mit Britta, unserer holländischen Nachbarin, mit der sie sich angefreundet hatte. Erst zur Morgengymnastik, dann zum Yoga oder Batiken oder was weiß ich. Am Nachmittag war dann ihr heiß geliebtes Zumba dran. Darunter muss man sich einen Tanz vorstellen, bei dem alle mit dem Arsch wackeln. Schien aber echt anstrengend zu sein. Mama hatte sich schon zu einer richtigen Zumba-Queen entwickelt und trug jetzt auch außerhalb der Trainingsstunden ein leuchtendes rosa Tuch um die Stirn, was super aussah.
Wir erholten uns erstmal bei Luigi von den Strapazen des Abspülens. Wir hatten sein Café inzwischen in „Eis-Tanke“ umgetauft. Dann liefen wir im Dorf herum, dort kannten wir inzwischen jeden Weg wie unsere Westentasche. Früher oder später landeten wir am Strand. Den konnte man ewig entlanggehen und überall bestens baden. Ich spüre noch heute den feinen Sand unter den Füßen, wie er zwischen den Zehen rausquillt. JoJo sorgte mit seinem abgefahrenen Ganzkörperanzug natürlich für viel Aufmerksamkeit. Zum Schwimmen zog er einen blauen Thermoanzug an, der ihn vor irgendwelchen Killerfischen schützen sollte, die es „in diesen Breiten“ angeblich in Massen gab. Er sah aus wie das Sams höchstpersönlich.
Zum Glück hatten wir Ute nicht an der Backe, sie hatte nämlich beim Schminkkurs jede Menge Tussen kennengelernt, von denen eine auch Melanie hieß. Wenn sie nicht im Schminkkurs waren, saßen sie zusammen am Pool. Die anderen waren noch ein bisschen jünger, und Ute war der absolute Mittelpunkt. In ihrem pinken Bikini saß sie auf der Liege und hatte ein Glas Fruchtsaft-Cocktail mit Strohhalm in der Hand, an dem sie von Zeit zu Zeit vornehm nippte. Das hatte sie vermutlich aus irgendeiner ihrer Serien, die sie mit der anderen Melanie anschaute. Es war natürlich nicht irgendein Cocktail, sondern einer der angesagten XXL-Cocktails mit Mango und Papaya, von Luigi frisch gemixt, sechs Euro das Glas. Der Trick, wie sie ohne Geld und ohne gelbes Bändchen zu ihren Cocktails kam, hieß Benni. So hieß der sommersprossige Kleine von der Strammscheitel-Bande. Er litt ganz offensichtlich an einem schweren Fall von Verliebtheit und tat nichts lieber als sie von vorne bis hinten zu bedienen.
Ute fand es megaaufregend, so umschwärmt zu werden, aber viel lieber wäre sie natürlich im Surfkurs bei ihrem Chrissy gewesen – der war aber ausgebucht, weil alle Mädchen bei Chrissy surfen lernen wollten. Ute war aber auf der Warteliste und rückte jeden Tag weiter ihrem Traum entgegen. Wahrscheinlich musste sich der arme Sommersprossenknabe ihr ganzes Chrissy-Verliebtheitsgestöhne anhören. Aber gut, er machte es schließlich freiwillig.
Durch Ute waren wir über die Strammscheitel so ziemlich auf dem Laufenden. Sie hatte jedenfalls immer viel zu erzählen, wenn wir uns mittags alle vor dem Wohntempel zum Picknick trafen. Benni war wohl der jüngere Bruder von Wulfius, dem Blonden mit der Brille. Und eigentlich hatte er gar nicht mit nach Griechenland gewollt, aber seine Eltern hatten ihn kurzerhand dazu verdonnert, mit seinem Bruder zu fahren. Sie mussten nämlich unbedingt nach San Francisco düsen, um auf der Ausstellung irgendeines unglaublich angesagten Künstlers ein paar Bilder zu kaufen, für ein paar Zehntausender das Stück.
„Der arme Benni“, seufzte Ute immer wieder. Man konnte sich fragen, ob sie jetzt vielleicht auch noch in den Kleinen verknallt war. „Er tut mir so leid. Und diese Typen sind wirklich nicht nett zu ihm. Das Großmaul, das bei denen offenbar den Ton angibt, heißt übrigens Attila. Habt ihr so einen Namen schon mal gehört? Die Typen haben gerade Abitur gemacht, an irgend so einem piekfeinen Privatinternat, und haben von ihren Eltern zur Belohnung diese Reise geschenkt bekommen. Ihr glaubt gar nicht, was das kostet. Eine Riesenwohnung haben die, mit ner Dachterrasse, da machen sie die ganze Nacht Party …“
Sie hörte gar nicht mehr auf zu erzählen. Dass es schon ein paarmal Ärger mit den Nachbarn gegeben habe, und sie deshalb vom Manager schon verwarnt worden seien. Und dass Benni sich Sorgen mache, dass sein Bruder so viel trinkt. Im Internat durften die Schüler wohl überhaupt keinen Alkohol trinken und auch sonst keinerlei Drogen nehmen, sonst wären sie sofort von der Schule geflogen. Und jetzt wollten sie hier so richtig die Sau rauslassen und mal „alles Mögliche ausprobieren“.
„Und die sind wirklich schon 18?“, fragte Mama. „Also ich finde das eine Schande, dass die hier so viel Alkohol ausschenken. Wo es hier so leckere Kräuter gibt, und Honig, daraus könnte man die tollsten Drinks machen!“
„Doofe gibt es immer“, sagte Papa, „man muss ihnen nur aus dem Weg gehen.“
Das versuchten wir, so gut wir konnten.
Nur einmal gelang es uns nicht. Und das hatte mit dem Quallenalarm zu tun. Es muss am vierten oder fünften Tag gewesen sein, da war der Strand plötzlich mit roten Bändern abgesperrt und überall standen Warnschilder, dass das Meer voller Feuerquallen sei. Die Tiere hatten sich wohl wegen der Hitze wahnsinnig vermehrt, und dann hatte der Wind gedreht und sie zum Strand getrieben. „Die Berührung mit den Tieren kann extrem schmerzhaft sein. Es wird dringend davon abgeraten, ins Wasser zu gehen.“
„Da seht ihr, warum ich meinen Schutzanzug dabeihabe. Man muss in diesen Breiten mit allem rechnen.“ JoJo war jetzt natürlich sehr zufrieden mit sich, aber ganz alleine wollte er dann doch nicht schwimmen gehen.
Also landeten