»Ich verstehe Sie nicht«, murmelte er ratlos.
»Ich will es Ihnen erklären.« Rainhart schloß die Augen und suchte nach Worten. Es war viel schwerer, als er gedacht hatte.
»Sie wissen, daß Ulrike Sie liebt?« fragte Eckhoff. »Sie liebt Sie schon lange.«
Rainhart nickte. »Sie hat es mir gesagt, und dieses Geständnis gab mir den Mut zu meiner Frage, die ich sonst vielleicht nicht gewagt haben würde.«
Eckhoff kniff die Augen zusammen. »Spekulieren Sie auf Ulrikes Mitgift? Ich muß Ihnen sagen, daß ich nicht reich bin. Ulrikes Vermögen ist unbedeutend, jedenfalls solange ich lebe. Nach meinem Tod erbt sie Grund und Boden sowie das Gut. Aber bis dahin…« Er brach ab und bedeckte die Augen mit der Hand.
»Darum geht es mir nicht«, antwortete Rainhart hastig. »Und doch ist meine Absicht, die ich mit dieser Heirat verbinde, in Ihren Augen vielleicht ebenso verwerflich.« Er holte tief Luft und sah den Gutsherrn bittend an. »Ich wünschte, Sie würden mich verstehen.«
»Reden Sie!« sagte Eckhoff kurz.
»Als ich mich von Kathinka trennte, wußte ich, daß ich niemals wieder zu einer solchen Liebe fähig sein würde, wie ich sie damals empfunden hatte. Meine Ahnung hat mich nicht getrogen. Mein Herz ist mit dieser Liebe gestorben. Ich habe mir damals geschworen, nie zu heiraten.«
»Und jetzt wollen Sie diesen Schwur brechen?« Eckhoff blickte argwöhnisch auf.
Arundsen sah Eckhoff furchtlos in die Augen. »Ich verliere das Majorat, wenn ich keinen männlichen Erben habe«, sagte er hart. »Darum muß ich heiraten.«
»Heiraten und Kinder haben!« fuhr Eckhoff fort und sprang auf. »Meine Tochter ist todkrank! Haben Sie das nicht begriffen? Sie kann keine Kinder haben!« Seine Augen funkelten empört.
»Ulrike wünscht sich ein Kind!«
»Sie hat keine Ahnung, wie es um sie steht! Sie weiß nicht, daß sie an Lymphdrüsenkrebs erkrankt ist und daß es keine Rettung für sie gibt! Ulrike wird niemals Kinder haben, und wenn das Ihr Plan gewesen ist, so haben Sie sich gründlich verrechnet!«
Rainhart erhob sich ebenfalls. »Doktor Langeloh hält es nicht für unmöglich«, erwiderte er ruhig. »Er hat mir ausdrücklich versichert, daß ein amerikanischer Professor, der Ihre Tochter untersucht hat, in einer Schwangerschaft sogar das einzige Mittel zur Gesundung sieht!«
Konrad Eckhoff hieb mit der flachen Hand wütend durch die Luft. »Das ist Unsinn! Ich glaube kein Wort davon!« Er wandte sich ab und ging zum Fenster. »Meine Tochter ist für Sie also Mittel zum Zweck?« fragte er mit einer Stimme, die vor Empörung zittertet »Sie wollen einen Erben und schrecken nicht davor zurück, ein todkrankes Mädchen noch unglücklicher zu machen, als es ohnehin schon ist?«
Rainhart ging mit zögernden Schritten bis in die Mitte des Zimmers. »Ich hoffe, Ulrike ein wenig Glück zu geben«, antwortete er bedächtig. »Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird. Aber ich will es versuchen.«
»So, Sie wissen es nicht! Aber Sie wollen es wenigstens versuchen! Wie löblich! Wie ehrenhaft!« höhnte Eckhoff. »Aber was Sie meiner Tochter zumuten, haben Sie sich vermutlich nicht überlegt?«
»Ich habe es mir sehr genau überlegt, Herr Eckhoff«, erwiderte Rainhart langsam. »Tagelang – wochenlang. Ulrike liebt mich und hat mir selbst gesagt, daß es sie glücklich machen würde, an meiner Seite zu leben, obwohl ich ihr nicht verhehlt habe, daß ich sie nicht so lieben kann, wie sie mich liebt.«
»Das haben Sie ihr gesagt?«
»Ja. Ich wollte Sie nicht belügen, wenn sie schon das Letzte, Schlimmste nicht wissen durfte.«
»Und wie hat sie es aufgenommen?« fragte Eckhoff zögernd.
»Sie war sich darüber im klaren, noch ehe ich es ihr sagte, und sie ist darüber nicht gekränkt.«
»Sie muten meinem armen kranken Kind zu, eine Ehe ohne Liebe zu führen?«
»Ich werde Ulrike beschützen und umsorgen, und das ist vielleicht in ihrem Zustand mehr wert als leidenschaftliche, himmelstürmende Liebe«, antwortete Rainhart.
Eckhoff schwieg einen Augenblick. »Sie liebt Sie«, sagte er dann mit schwerer Stimme. »Sie glaubt, an Ihrer Seite das Glück zu finden.« Er räusperte sich und richtete seinen Blick eindringlich auf Arundsen. »Sie hat nicht mehr lange zu leben«, fuhr er beschwörend fort. »Ich würde es Ihnen nie verzeihen, wenn Sie Ulrike enttäuschten!«
»Ich werde alles tun, um ihr die Jahre, die ihr verbleiben, so schön wie möglich zu gestalten«, erwiderte Rainhart. »Das verspreche ich Ihnen.«
»Sie soll glücklich werden, Arundsen«, sagte Eckhoff gepreßt. »Etwas anderes will ich nicht. Wenn es in Ihrer Macht läge, ihr das Glück und die Zufriedenheit zu schenken, die sie verdient…«
»Ich kann ihr nicht die Liebe schenken, die ich einmal für Kathinka empfunden habe, aber ich werde Ulrike meine grenzenlose Achtung, meine Freundschaft und Fürsorge entgegenbringen und ihr alle Wünsche erfüllen…«
»Außer dem einen!« fiel Eckhoff hastig ein. »Sie darf keine Kinder haben!«
Arundsens Miene wurde hart und entschlossen. »Es ist Ulrikes heißester Wunsch, und auch die Ärzte haben geäußert…«
»E i n Arzt hat es geäußert! Ein spleeniger Amerikaner, dessen Urteil mich nicht interessiert!«
»Ich werde andere Ärzte mit Ulrike aufsuchen!«
Eckhoff trat dicht auf Arundsen zu. »Ist meine Tochter für Sie Mittel zum Zweck, Herr Arundsen«, fragte er scharf, »oder denken Sie auch an Ulrikes Wohl?«
»Ich habe Ihnen alles gesagt – die ganze Wahrheit«, erwiderte Rainhart entschlossen. »Soll man einer Schwerkranken, die keine Aussicht auf Heilung hat, den heißesten Wunsch versagen, wenn man doch weiß, daß auch dieser Verzicht sie nicht retten würde?«
»Wenn ich Sie nicht besser kennen würde, müßte ich annehmen, Sie sind kalt und berechnend«, erwiderte er nachdenklich. »Doch ich vertraue auf Ihren anständigen Charakter, Arundsen.« Er lächelte traurig und streckte dem Majoratsherrn die Hand entgegen.
»Sie willigen also ein?« fragte Rainhart.
»Ja«, sagte der Gutsherr und umschloß mit festem Druck Rainharts Rechte, »wenn Sie gut zu ihr sind, wenn Sie sich ehrlich bemühen, sie glücklich zu machen, will ich mich der Heirat nicht widersetzen – zumal es Ulrikes Herzenswunsch ist.«
»Ich danke Ihnen, Herr Eckhoff«, antwortete Rainhart bewegt.
*
Mit Rücksicht auf Ulrikes Gesundheitszustand wurde die Hochzeit in aller Stille gefeiert.
Ulrikes Augen strahlten, als sie auf dem Standesamt den neuen Namen unter die Heiratsurkunde setzte, und Konrad Eckhoff, der als Trauzeuge der Zeremonie beiwohnte, hatte Mühe, seine Rührung zu verbergen.
Für den Gang zur Kirche hatte Ulrike ein duftiges weißes Spitzenkleid angelegt, das ihre schlanke Erscheinung wie eine zarte Wolke umfloß und sie noch schutzbedürftiger und zerbrechlicher erscheinen ließ als sonst.
Rainhart hatte ihr zu diesem besonderen Tag weiße Orchideen geschenkt, die sie behutsam in ihrer schmalen Hand trug.
Stumm und feierlich schritt sie neben dem hochgewachsenen Majoratsherrn zum Traualtar, und mit klarer, deutlicher Stimme sprach sie ihr »Ja«.
»Bis daß der Tod euch scheide«, sagte der Pfarrer.
Rainharts Herz zog sich schmerzhaft zusammen, und er warf einen angstvollen Blick auf seine junge Frau, die den Worten des Pastors jedoch keine besondere Bedeutung beimaß.
Ulrike schien nichts von Rainharts dunklen Gedanken zu ahnen. Mit einem weichen Lächeln hob sie das Gesicht zu ihm auf und nickte ihm kaum merkbar zu.
Unter dem brausenden Klang der Orgel verließen