den Spieß. Und wehe, ich höre dich über die Hitze jammern!»
Zu Makepeaces Überraschung und Erleichterung meldete die alte Köchin den Vorfall nicht; man legte sie auch nicht wieder in Eisen. Im Gegenteil, von nun an herrschte zwischen ihnen beiden eine entspanntere Stimmung, auf eine wachsame, reservierte Art. Sie hatten einander getestet und gemerkt, wo die Grenzen der jeweils anderen lagen, wie spitze Felsen unter einer friedlich scheinenden Wasseroberfläche.
Als sie schließlich vor der großen Feuerstelle ihr eigenes Abendessen zu sich nahmen, war die griesgrämige Stille fast kameradschaftlich. Die Köchin kaute an einer Scheibe des harten dunklen Brots, das Makepeace ihr Leben lang gegessen hatte. Doch dann hielt ihr Mistress Gotely ein Stück Weißbrot mit einer goldenen Kruste hin, wie es die reichen Leute aßen. Makepeace starrte es nur an.
«Glotz nicht so», fuhr die Köchin sie an. «Iss. Lord Fellmottes Befehl.» Makepeace biss zögernd hinein und bestaunte die Süße und die Weichheit, die unter ihren Zähnen nachgab. «Sei dankbar und stell keine Fragen.»
Makepeace kaute und wunderte sich über diesen seltsamen Anflug von Freundlichkeit des frostigen Obadiah. Dann fragte sie trotzdem.
«Ihr sagtet, meine Mutter sei sturköpfig gewesen», sagte sie kauend. «Habt Ihr sie gekannt?»
«Ein bisschen», nickte Mistress Gotely, «obwohl sie hauptsächlich oben gearbeitet hat.» ‹Oben›, das klang wie ein weit entferntes Land, Frankreich etwa.
«Stimmt es, dass sie weggelaufen ist? Oder hat man sie aus dem Haus gejagt, weil sie ein Kind erwartete?» Makepeace wusste, dass so etwas nicht selten geschah.
«Nein», sagte Mistress Gotely. «Oh nein, sie hätten sie nie fortgeschickt. Sie ist aus freiem Willen gegangen, ohne ein einziges Wort zu irgendjemandem.»
«Warum?»
«Woher soll ich das wissen? Sie war ein verschwiegenes Ding. Hat sie es dir nicht gesagt?»
«Sie hat mir gar nichts gesagt», erwiderte Makepeace ausdruckslos. «Ich wusste nicht einmal, wer mein Vater ist. Das habe ich erst erfahren, nachdem sie gestorben war.»
«Aber … jetzt weißt du es?», fragte die alte Köchin und warf ihr einen scharfen Seitenblick zu.
Makepeace zögerte und nickte dann.
«Tja, früher oder später hättest du es sowieso herausgefunden.» Die Köchin nickte langsam. «Alle hier wissen es – es ist genauso wenig zu übersehen wie das Kinn da in deinem Gesicht. Aber … ich würde nicht herumlaufen und allzu offen darüber reden. Die Herrschaften könnten denken, du wärst vermessen und würdest Ansprüche stellen. Sei dankbar für das, was du hast, und mach keinen Ärger. Dann wirst du zurechtkommen.»
«Könnt Ihr mir denn sagen, wie er war?», fragte Makepeace.
Die Köchin seufzte und rieb sich mit einem wehmütigen und zärtlichen Blick das Bein.
«Ach, der arme Sir Peter! Hast du James Winnersh kennengelernt? Er ist Sir Peter in vielem sehr ähnlich. James ist ein rücksichtsloser Taugenichts, aber er hat ein gutes Herz. Er macht Fehler, aber er macht sie aus ehrlicher Überzeugung.»
Makepeace fing an zu verstehen, warum Sir Thomas James gernhatte, er erinnerte ihn an seinen toten Bruder.
«Was ist passiert? Wie ist Sir Peter gestorben?», fragte sie.
«Er hat versucht, auf einem Pferd, das zu erschöpft war, eine Hecke zu überspringen, die zu hoch war», antwortete die Köchin seufzend. «Das Pferd stürzte und fiel auf ihn drauf. Er war noch so jung, gerade einmal zwanzig.»
«Warum war denn das Pferd so erschöpft?», hörte Makepeace sich fragen.
«Tja, das werden wir wohl nie erfahren, was?», erwiderte Mistress Gotely scharf. «Aber … einige behaupten, er hatte es zuschanden geritten, als er nach deiner Mutter suchte. Es passierte zwei Monate, nachdem sie verschwunden war.» Sie betrachtete Makepeace mit einem Stirnrunzeln.
«Du warst ein Fehler, Mädchen», sagte sie sachlich. «Aber ein Fehler aus ehrlicher Überzeugung.»
An diesem Abend erfuhr Makepeace, dass sie als jüngstes und niedrigstes Mitglied des Küchenpersonals nicht mit den anderen Mägden zusammen in einem Bett schlafen durfte. Stattdessen musste sie mit einer Strohmatratze unter dem Tisch vorliebnehmen und dafür sorgen, dass das Feuer nicht ausging. Sie war nicht allein. Der Küchenhund und zwei der großen Doggen schliefen ebenfalls vor dem Feuer.
Bär war nicht glücklich über die Hunde, aber wenigstens war ihm ihr Geruch nicht fremd. Hunde hatten große, laute und grausame Mäuler, aber sie gehörten zum Leben dazu. Hundegeruch auf dem Markt, Hundegeruch nachts am Lagerfeuer.
Mitten in der Nacht wurde Makepeace von einem lang gezogenen, rumpelnden Knurren dicht an ihrem Ohr aus dem Schlaf geschreckt. Einer der großen Hunde war wach. Einen Moment lang hatte sie Angst, dass er sie gewittert hatte und für einen Eindringling hielt, doch dann hörte sie leise, schlurfende Schritte, zu leicht, als dass sie von der Köchin stammen konnten. Jemand war in der Küche.
«Komm raus!», hörte sie James’ leise Stimme. «Nero wird dich nicht beißen – es sei denn, ich befehle es ihm.» Er grinste, als Makepeace unter dem Tisch vorgekrochen kam. «Ich hab dir doch gesagt, dass ich dich aus dem Turm raushole!»
«Danke», sagte Makepeace zögernd. Sie hielt immer noch gebührenden Abstand. Mittlerweile hatte sie ein gutes Gespür dafür bekommen, wie nah Bär fremden Menschen kommen konnte, ohne unruhig zu werden. Auch jetzt spürte sie eine leise Nervosität, das Verlangen, sich zu seiner vollen Größe aufzurichten und den Fremden schnaubend zu verjagen. Aber sie stand schon so aufrecht, wie sie konnte; sie hatte keine Reserven mehr.
«Das hast du gut gemacht, dir eine Arbeit in der Küche zu ergattern», sagte James und setzte sich im Schneidersitz auf den großen Tisch. «Das ist perfekt. Jetzt können wir uns gegenseitig helfen. Ich werde ein Auge auf dich haben und dir erklären, wie hier alles läuft. Und du kannst mir sagen, was du so hörst. Kannst mir Sachen aus der Küche besorgen, wenn niemand hinguckt …»
«Du willst, dass ich für dich stehle?» Makepeace machte ein böses Gesicht und fragte sich, ob das der Grund war, warum er ihr geholfen hatte. «Wenn irgendwas wegkommt, wissen sie doch gleich, dass ich es war. Dann setzt man mich wieder vor die Tür!»
James schaute sie lange an, dann schüttelte er langsam den Kopf.
«Nein», sagte er. «Das machen sie nicht.»
«Aber …»
«Ich meine es ernst. Sie würden dich bestrafen. Sie würden dich schlagen. Vielleicht würden sie dich wieder in dem Vogelzimmer einsperren. Aber sie würden dich nicht wegjagen. Nicht einmal, wenn du sie darum bittest.»
«Wovon redest du denn?»
«Ich versuche seit fünf Jahren wegzulaufen», sagte James. «Immer und immer wieder habe ich es versucht. Und jedes Mal verfolgen sie mich, spüren mich auf und bringen mich wieder hierher zurück.»
Makepeace starrte ihn an. War es normal, dass reiche Leute Dienstboten verfolgten, die weggelaufen waren? Sie hatte gehört, dass man für flüchtige Lehrburschen ein Kopfgeld aussetzte, aber das war wohl etwas anderes.
«Du hattest Albträume, nicht wahr?», sagte James plötzlich. Seine Bemerkung traf Makepeace völlig unvorbereitet. «Träume, die so schlimm waren, dass du schreiend aufgewacht bist. Von Geistern, die versuchen, in dich einzudringen …»
Makepeace wich ein paar Zentimeter zurück und betrachtete ihn mit einem Anflug von Unsicherheit und Misstrauen.
«Solche Träume hatte ich auch», fuhr James fort. «Sie haben vor fünf Jahren angefangen, als ich neun war. Und nicht lange danach haben die Fellmottes mich holen lassen. Meine Mutter wollte mich erst nicht hergeben, dann hat man sie bezahlt, und sie hat nichts mehr gesagt.» Er lächelte bitter. «Die Fellmottes kümmern sich so lange nicht um Bastarde wie uns, bis wir diese Albträume kriegen. Dann sind wir für sie von Interesse. Dann holen