Charles Dickens

Klein-Doritt


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drehte es mit seiner Zunge wie eine Zuckerbohne, überlegte, fand sich zu einer klaren Auseinandersetzung unfähig und sagte, an seine Frau sich wendend: »Sally, du kannst ebensogut sagen, wie es kam, ja, Alte.«

      »Miß Dorrit«, sagte Sally, den Säugling beruhigend und ihr Kinn auf die kleine Hand legend, als er das Kleid wieder in Unordnung zu bringen suchte. »Miß Dorrit kam eines Nachmittags mit etwas Geschriebenem hierher und sagte, daß sie Beschäftigung als Näherin wünsche, und fragte, ob es uns irgendwie ungelegen wäre, wenn sie die Interessenten hierher weisen lasse.« (Plornish wiederholte: die Interessenten hierher weisen lasse, mit leiser Stimme, als ob er in der Kirche nachbetete.) »Ich und Plornish sagen, nein, Miß Dorrit, gar nicht ungelegen.« (Plornish wiederholte: nicht ungelegen.) »Und sie schrieb es demzufolge hinein, worauf ich und Plornish sagen: Aber Miß Dorrit!« (Plornish wiederholte: Aber Miß Dorrit.) »Haben Sie auch daran gedacht, es drei- bis viermal abzuschreiben, damit man's an verschiedenen Plätzen anschlagen kann? ›Nein‹, sagte Miß Dorrit, ›ich habe es nicht getan, aber ich will's tun.‹ Sie schrieb es deshalb auf diesem Tisch recht schön ab, und Plornish nahm es mit, wohin er zur Arbeit ging, er hatte damals gerade Arbeit« (Plornish wiederholte: damals gerade Arbeit), »und dann auch zu dem Besitzer des Hofes zum blutenden Herzen. So kam es, daß Mrs. Clennam zuerst Miß Dorrit beschäftigte.« (Plornish wiederholte: Miß Dorrit beschäftigte.) Und Mrs. Plornish, die zu Ende war, tat, als bisse sie in die kleine Hand, während sie sie küßte.

      »Der Besitzer des Hofes«, sagte Arthur Clennam, »ist –«

      »Er heißt Mr. Casby«, sagte Plornish, »und Pancks, der kassiert die Miete ein. Das«, fügte Mr. Plornish hinzu, indem er mit einer Langsamkeit des Geistes und Denkens, die sich an keinen besonderen Gegenstand zu ketten, ihn auf keinen besondern Punkt zu führen schien, bei dieser Sache verweilte, »das ist's, was sie ungefähr sind, Sie mögen mir's glauben oder nicht, wies Ihnen beliebt.«

      »Ach!« versetzte Clennam, nun auch in Gedanken versinkend. »Mr. Casby! Ein alter Bekannter von mir; lange Zeit her.«

      Mr. Plornish fand keinen Weg, sich das Wieso zu erklären, und ließ es darum auch auf sich beruhen. Da hier wirklich kein Grund vorhanden war, weshalb er auch nur das geringste Interesse daran haben sollte, ging Arthur Clennam wieder zum Zweck seines Besuches über; nämlich Plornish zur Befreiung Tips als Werkzeug zu benutzen, und zwar mit so wenig Nachteil wie möglich für das Selbstvertrauen und die Selbsthilfe des jungen Mannes, da er voraussetzte, daß diese Eigenschaften noch nicht ganz in ihm aufgehört; freilich eine sehr kühne Voraussetzung. Plornish, der mit der Klagesache aus dem eignen Munde des Beklagten bekannt gemacht worden, gab Arthur zu verstehen, daß der Kläger ein »Chaunter« sei – er meinte damit nicht einen Kirchensänger, sondern einen Pferdehändler – und daß er (Plornish) glaube, mit zehn Schilling per Pfund sei die Sache »sehr schön bereinigt« – mehr aber hieße das Geld hinauswerfen.

      Bald darauf begaben sich Clennam und sein Werkzeug nach einem Pferdehof in High Holborn, wo ein außerordentlich schöner, grauer Wallach, mindestens fünfundsiebenzig Guineen wert (ungerechnet der Wert des Schrots, den man ihm gegeben, um seine Form zu verschönern), für eine Zwanzig-Pfund-Note verkauft werden sollte. Er war nämlich vergangene Woche mit Frau Kapitän Barbary von Cheltenham durchgegangen, die einem Pferd seines Mutes nicht gewachsen war und es aus purem Ärger um diese lächerliche Summe verkaufen oder, mit andern Worten, verschenken wollte. Plornish, der allein in den Hof hineinging und den Herrn draußen ließ, fand einen Gentleman mit engen, schwarzbraunen Beinkleidern, einem ziemlich alten Hut, einem kleinen, krummen Stock und einem blauen Halstuch (Kapitän Marvon von Gloucestershire, ein intimer Freund von Kapitän Barbary), der glücklicherweise gerade anwesend war, um diese Mitteilungen über den außerordentlich feinen Schimmelwallach jedem wirklichen Pferdekenner und jedem, der etwas Gutes wegschnappen wollte, zu geben, falls er etwa, durch die Zeitungsanzeige veranlaßt, hier vorsprechen würde.

      Dieser Gentleman, der zufällig auch der Kläger in Tips Sache war, wies Mr. Plornish an seinen Sachwalter und weigerte sich, mit Mr. Plornish zu verhandeln oder auch nur seine Anwesenheit im Hofe zu dulden, wenn er nicht mit einer Zwanzig-Pfund-Note erscheine. In diesem Fall allein wollte der Gentleman aus dem Schein schließen, daß er in Geschäftsangelegenheiten gekommen und eingelassen werden könne. Auf solchen Wink entfernte sich Mr. Plornish, um mit seinem Auftraggeber zu sprechen, und kam alsbald mit dem verlangten Kreditbriefe zurück. Kapitän Maroon sagte nun: »Wie lange brauchen Sie, um auch die andern zwanzig aufzubringen? Ich will Ihnen einen Monat Zeit lassen.« Kapitän Maroon sagte ferner, als es nicht passen wollte: »Nun, ich will Ihnen sagen, was ich tun will. Sie bringen mir einen guten Wechsel, bei irgendeinem Bankhaus in vier Monaten zahlbar, für die andern zwanzig Pfund.« Kapitän Maroon sagte ferner, als auch das nicht passen wollte: »Nun, kommen Sie; daß ist das Letzte, was ich Ihnen vorschlagen kann. Zahlen Sie mir zehn Pfund bar, so will ich die Schuld ausstreichen.« Kapitän Maroon sagte weiter, als auch das nicht passen wollte: »Nun, ich will Ihnen sagen, wie es ist, und damit ist die Sache abgemacht; er hat mir schlecht mitgespielt; aber ich will ihn für fünf Pfund bar und eine Flasche Wein springen lassen, wenn Ihnen das recht ist, so sei's abgemacht, wenn nicht, so lassen wir die Sache beim alten.« Zuletzt sagte Kapitän Maroon, als selbst auch das noch nicht genügen wollte: »Abgemacht denn!« – Und gab rücksichtlich des ersten Anerbietens einen Schein für den Empfang der vollen Summe und sprach den Gefangenen frei.

      »Mr. Plornish«, sagte Arthur, »ich vertraue Ihnen, wenn es Ihnen recht ist, mein Geheimnis an. Wenn Sie es auf sich nehmen wollen, dem jungen Mann wissen zu lassen, daß er frei ist, und ihm zu sagen, daß Sie von jemandem, den Sie nicht nennen dürften, beauftragt seien, die Schuld abzutragen, so werden Sie nicht nur mir, sondern nicht weniger ihm und auch seiner Schwester einen Dienst erweisen.«

      »Der letzte Grund, Sir«, sagte Plornish, »würde vollständig genügen. Ihre Wünsche sollen erfüllt werden.«

      »Ein Freund habe seine Freilassung erwirkt, können Sie ja sagen, wenn Sie wollen. Ein Freund, der hoffe, daß er um seiner Schwester, wenn auch sonst um niemandes willen, einen guten Gebrauch von seiner Freiheit machen werde.«

      »Ihre Wünsche sollen erfüllt werden, Sir.«

      »Und wenn Sie so freundlich sein wollten, da Sie die Familie besser kennen, offen gegen mich zu sein und mir die Mittel zu sagen, wie ich Klein-Dorrit auf eine zarte Weise nützlich sein kann, so werde ich mich Ihnen sehr verbunden fühlen.«

      »Bitte sehr, Sir«, versetzte Plornish, »es wird mir gleichfalls ein Vergnügen sein und ein – gleichfalls ein Vergnügen sein und ein –" Da er sich, trotz zweimaligen Versuchs, nicht imstande fühlte, seine Phrase zu vollenden, ließ Mr. Plornish sie klugerweise fallen. Er nahm Clennams Karte nebst einem angemessenen Geldgeschenk in Empfang.

      Er wollte sich des Auftrags alsbald entledigen, und auch sein Auftraggeber war damit einverstanden. Dieser bot ihm deshalb an, ihn bei dem Tor des Marschallgefängnisses abzusetzen, und sie fuhren nach jener Gegend über die Blackfriarsbrücke. Auf dem Weg entlockte Arthur seinem neuen Freunde eine verwirrte Übersicht über das innere Leben im Hof zum blutenden Herzen. Sie seien dort alle sehr schlimm dran, sagte Mr. Plornish, ungemein schlimm dran, das könne er versichern.

      Er könne nicht sagen, wie das komme; er wisse nicht, ob es irgend jemand sagen könne; alles, was er wisse, sei, daß dies wirklich so wäre. Wenn ein Mensch an seinem eigenen Rücken oder in seinem Bauch fühle, daß er arm sei, so wisse dieser Mensch (das war Mr. Plornishs feste Überzeugung), daß er auf irgendeine Art arm sei, und man könne es ihm auch nicht ausreden, wie man kein Ochsenfleisch in ihn hineinreden könne.

      Und dann, sehen Sie, einzelne Leute, denen es besser geht, und derer wohnen eine ziemliche Masse bis dicht an dies Quartier und drüber hinaus, wie er gehört, – diese hätten gesagt, sie seien »sorglose Menschen« (das war sein Lieblingswort). Wenn sie zum Beispiel einen Mann mit seiner Frau und seinen Kindern in einem Wagen nach Hampton Court fahren sehen, und wär's auch nur einmal im Jahre, so sagen sie: »Hallo! Ich habe geglaubt, Ihr seid arm, mein sorgloser Freund!« Nun, bei Gott, das sei doch gewiß hart gegen den Mann! Was solle der Mensch anfangen? Er könne nicht »melancholisch« den Kopf hängen lassen, und wenn er's täte, wär' es darum nicht besser. Nach Mr. Plornishs Ansicht wäre