Charles Dickens

Klein-Doritt


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      »Ist das Ihr Name als Frau?« fragte Arthur, mitten in all diesem Geplauder durch einen gewissen warmen, herzlichen Ausdruck betroffen, der in ihrem Ton lag, sobald sie, wenn auch höchst wunderlich, auf das jugendliche Verhältnis anspielte, in dem sie früher zueinander gestanden. »Finching?«

      »Finching. O ja, ist es nicht ein schrecklicher Name? Jedoch Mr. Finching sagte, als er mir seinen Heiratsantrag machte, was er siebenmal tat, und sich ganz hübsch drein fügte, nach zwölf Monaten wieder anzuklopfen, wie er's nannte, er sei nicht verantwortlich dafür und könnte nichts daran ändern, nicht wahr, ein exzellenter Mann, gar nicht wie Sie, aber doch ein exzellenter Mann!«

      Flora hatte sich endlich doch für einen Augenblick außer Atem gesprochen. Einen Augenblick; denn sie erholte sich, während sie eine kleine Ecke ihres Taschentuchs ans Auge brachte, einen Tribut für den Geist des geschiedenen Mr. Finching, und begann dann wieder.

      »Niemand kann bestreiten, Arthur – Mr. Clennam – daß es ganz recht ist, wenn Sie unter so veränderten Umständen förmlich freundlich gegen mich sind, und wirklich, Sie könnten nichts anderes sein, wenigstens kann ich nicht annehmen, daß Sie es wissen sollten, aber ich kann nicht umhin, daran zu erinnern, daß es eine Zeit gab, wo die Dinge ganz anders standen.«

      »Meine liebe Mrs. Finching«, begann Arthur, durch den weichen Ton wieder betroffen.

      »O, nicht diesen häßlichen, garstigen Namen, sagen Sie Flora!«

      »Flora, ich versichere Sie, Flora, ich bin glücklich, Sie wiederzusehen und zu finden, daß Sie wie ich die alten, törichten Träume nicht vergessen haben, als wir alles im Lichte unserer Jugend und Hoffnung sahen.«

      »Es scheint denn doch nicht so«, schmollte Flora, »Sie nehmen es sehr kalt auf, aber ich weiß freilich, Sie sind in mir enttäuscht. Ich vermute, die Chinesinnen – Mandarininnen, wenn Sie sie so nennen wollen – sind, schuld daran, oder vielleicht bin ich schuld daran, es kann ebensogut sein.«

      »Nein, nein«, bat Clennam, »sagen Sie das nicht.«

      »O, ich sollte Sie kennen«, sagte Flora in einem bestimmten Ton, »welcher Unsinn auch, ich weiß, ich bin nicht, was Sie erwarteten, ich weiß das ganz wohl.«

      Mitten in ihrem Ungestüm hatte sie das mit der raschen Beobachtungsgabe einer klügeren Frau herausgefunden. Die ungereimte und ganz unvernünftige Art, wie sie plötzlich ihre lange abgebrochene Knaben- und Mädchenfreundschaft mit dieser Begegnung verwob, machte den Eindruck auf Clennam, als ob er verrückt wäre. »Eine Bemerkung«, sagte Flora, indem sie ihrer Unterhaltung, ohne die geringste Notiz von Clennam zu nehmen, zu seinem großen Schrecken den Ton eines Liebesstreites verlieh, »eine Bemerkung wünschte ich zu machen, eine Erklärung möchte ich abgeben: als Ihre Mama kam und deshalb eine Szene mit meinem Papa spielte, und als ich in das kleine Frühstückszimmer hinabgerufen wurde, wo sie, Ihrer Mama Sonnenschirm zwischen sich, einander ansahen und dasaßen auf zwei Stühlen wie zwei tolle Stiere, was sollte ich da tun!«

      »Meine liebe Mrs. Finching«, bat Arthur, – »alles, was so lange vorbei und so lange erledigt, verdient ernstlich –«

      »Ich kann mich nicht, Arthur«, entgegnete Flora, »von der ganzen chinesischen Gesellschaft der Herzlosigkeit anklagen lassen, ohne mich zu rechtfertigen, wenn mir die Gelegenheit geboten ist. Sie mußten ganz gut wissen, daß es ein ›Paul und Virginie‹ zurückzugeben galt, welches auch zurückgegeben wurde, aber ohne Bemerkung oder Erklärung. Nicht daß ich damit sagen wollte, Sie hätten an mich schreiben sollen, bewacht wie ich war, aber wenn Sie das Buch nur wenigstens mit einer roten Oblate auf dem Umschlag versehen, so würde ich gewußt haben, daß es sagen wollte: Komm barfuß nach Peking, Nanking, und wie heißt doch noch gleich der dritte Ort?«

      »Meine liebe Mrs. Finching, Sie waren nicht zu tadeln, und ich tadelte Sie nie. Wir waren beide zu jung, zu abhängig und hilflos, um in irgend etwas zu willigen, als unsre Trennung. – Bitte, bedenken Sie, wie lange das her ist«, warf Arthur freundlich ein.

      »Noch eine Bemerkung möchte ich machen«, fuhr Flora mit ungeschwächter Redekraft fort, »nur noch eine Erklärung abgeben. Fünf Tage hatte ich einen Schnupfen vom Weinen, während dessen ich beständig in dem hinteren Empfangszimmer blieb. – Das hintere Empfangszimmer ist noch immer in dem ersten Stock und immer noch hinten hinaus, um meine Worte zu bekräftigen. – Als diese traurige Periode vorüber war, folgte ein Dämmerzustand. Jahre verflossen und Mr. Finching wurde uns bei gemeinschaftlichen Freunden vorgestellt. Er war lauter Aufmerksamkeit; er kam den folgenden Tag zu uns, er kam bald in der Woche dreimal abends und schickte Kleinigkeiten zum Nachtessen. Es war nicht Liebe auf Mr. Finchings Seite, es war Anbetung; Mr. Finching machte seinen Antrag mit der vollen Zustimmung Papas und was konnte ich tun?«

      »Nichts, gar nichts andres«, sagte Arthur mit der freundlichsten Bereitwilligkeit, »als was Sie taten. Gestatten Sie einem alten Freund, Ihnen zu versichern, daß er vollständig davon überzeugt ist, wie Sie recht getan.«

      »Eine letzte Bemerkung wollen Sie mir erlauben«, fuhr Flora fort, das Alltagsleben mit der Hand abwehrend, »eine letzte Erklärung wünschte ich abzugeben. Es war eine Zeit, ehe Mr. Finching mir seine ersten unmißdeutbaren Beweise von Aufmerksamkeit gab; aber sie ist vorbei und sollte nicht sein, lieber Mr. Clennam. Sie tragen keine goldene Kette mehr, Sie sind frei: Sie werden glücklich sein: hier ist Papa, der immer überflüssig ist und überall seine Nase hineinsteckt, wo man ihn nicht haben will.«

      Mit diesen Worten und einer hastigen Gebärde voll ängstlicher Vorsicht – Clennams Augen kannten die Gebärde aus früheren Zeiten her – versenkte sich Flora ins achtzehnte Jahr, eine lange, lange Zeit rückwärts, und kam endlich zu einem Punkt in ihrer Rede.

      Oder vielmehr, sie ließ ungefähr die Hälfte von sich im achtzehnten Jahre zurück und pfropfte den Rest auf die Witwe des verstorbenen Mr. Finching. Auf diese Art machte sie eine geistige Sirene aus sich, die ihr ehemaliger kindlicher Liebhaber mit Gefühlen betrachtete, darinnen sich sein Sinn für das Traurige und sein Sinn für das Komische seltsam mischte.

      Zum Beispiel. Als ob ein geheimes Einverständnis der herzergreifendsten Art zwischen ihr und Clennam obwaltete: als ob die ersten Pferde eines Trains von vierspännigen Postwagen, die den ganzen Weg bis nach Schottland bedecken, im Augenblick um die Ecke kämen: als ob sie unter dem Schatten des Familienschirms, mit dem patriarchalischen Segen auf ihrem Haupt und unter dem Zustrom einer großen Menschenmasse nicht mit ihm in die nächste Pfarrkirche hätte treten können (und wollen), erquickte Flora ihr Herz durch Einbildungen geheimnisvollster Art, die die Furcht vor der Entdeckung an der Stirn trugen. Mit dem Gefühl, jeden Augenblick verwirrter zu werden, sah Clennam die Witwe des verstorbenen Mr. Finching sich in der seltsamsten Weise ergötzen, indem sie sich und ihn an ihre alten Plätze versetzte und das ganze Schauspiel von ehedem noch einmal aufführte – jetzt, wo die Bühne staubig, die Szenerie verblichen, die jugendlichen Schauspieler gestorben, das Orchester leer, die Lichter ausgelöscht waren. Und doch, bei all dieser grotesken Wiederbelebung dessen, was, wie er sich erinnerte, ihr einst ganz natürlich gestanden, mußte er fühlen, daß es bei seinem Anblick in ihr erwachte und daß eine süße Erinnerung für sie darin lag.

      Der Patriarch bestand darauf, daß er zum Essen bleibe, und Flora signalisierte: »Ja!« Clennam wünschte so sehr, er hätte mehr tun können, als zum Essen bleiben – er wünschte so herzlich, er hätte Flora finden können, wie sie gewesen oder wie sie nie gewesen –, daß er glaubte, die geringste Genugtuung, die er für die Enttäuschung geben könnte, deren er sich beinahe schämte, sei, sich dem Familien-Wunsch zu opfern. Deshalb blieb er.

      Pancks speiste mit ihnen. Pancks dampfte aus seiner kleinen Werft ein Viertel vor sechs und bahnte sich einen geraden Weg auf den Patriarchen zu, der gerade gedankenlos durch das stehende Wasser einer Rechnung über den Hof zum blutenden Herzen segelte. Pancks schoß dicht auf ihn zu und hielt ihn.

      »Der Hof zum blutenden Herzen«, sagte Pancks schnaubend und schnaufend, »das ist ein beschwerliches Besitztum. Sie bezahlen nicht gerade schlecht, aber die Miete ist schwer zu bekommen. Sie haben mehr Mühe mit dem einen Platz als mit allem, was Ihnen sonst gehört."

      Gerade wie das schwere