Sabine Siebert

Die Abenteuer der kleinen Lilly und andere Kurzgeschichten


Скачать книгу

geschlafen“, sagte Max.

      „Na, Mädchen halten eben nichts aus“, ergänzte Georg.

      Lilly schlich in ihr Zimmer. Aber sie ging nicht schlafen. Sie war ganz aufgeregt. Heute sollte sie Murmels Familie kennenlernen. Wie sie wohl sein würde? Sie hörte, wie die Mäusejungen wieder raus zum Spielen gingen. Ihre Eltern setzen sich vor die Tür und unterhielten sich. Das war gut so. Da alle draußen beschäftigt waren, bemerkte niemand, dass Lilly aus dem Fenster kletterte und hinter dem Baum in entgegengesetzte Richtung lief. Es war nicht weit bis zu Murmels Wohnung. Unterwegs pflückte sie wieder ein kleines Gänseblümchen und einige Beeren. Die wollte sie als Geschenk mitnehmen.

      Leise klopfte sie an die Tür. Wieder öffnete sich die Tür nur einen Spaltbreit und Murmel fragte leise: „Bist du es, Lilly?“

      „Ja“, erwiderte Lilly. Auch sie flüsterte.

      Die Tür öffnete sich und Lilly trat ein. Dieses Mal waren die Vorhänge aufgezogen und die Abendsonne schien noch ein wenig durch die Fenster.

      „Guten Abend“, sagte Lilly. „Ich habe Beeren mitgebracht, ich hoffe, ihr mögt Beeren.“

      Nun sah Lilly die ganze Familie. Sie saßen alle am Tisch und hatten gerade ihr Abendessen verzehrt. An der Stirnseite des Tisches saß eine ältere, etwas dickliche Maus. Murmel stellte sie Lilly vor. „Da ist meine Mutter, Irma Maus.“

      An der gegenüberliegenden Seite saß Murmels Mann, Manfred Maus. Außerdem saß da noch ein Mäusejunge. Das musste Murmels Sohn sein. Murmel sagte: „Das ist Fips, unser Sohn. Es geht ihm nicht so gut, er ist noch ganz benommen von dem weiten Weg und den Ereignissen unserer Reise.“

      Lilly musterte Fips und sagte dann: „Hallo, Fips, ich bin Lilly.“

      Schüchtern, fast verängstigt, blickte Fips sie an. „Hallo, Lilly“, flüsterte er.

      „Nun kennst du unsere ganze Familie“, war Murmel wieder zu vernehmen. „Alle, die es hierhergeschafft haben.“

      „Was ist euch passiert?“, wollte Lilly wissen.

      Und nun erzählte Murmel die ganze Geschichte: „Wir lebten auf einem Feld, ziemlich weit weg von hier. Wir waren eine große und glückliche Familie. Außer uns vier gab es unseren Opa, Freddy Maus, und meine Schwester Molly mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern. Es ging uns gut. Wir hatten schöne Behausungen und genügend zu essen. Die Vorratskammer war immer gut gefüllt. Aber dann passierte es. Der Bauer war mit seinem Traktor auf dem Feld unterwegs, als es plötzlich krachte und unsere Wohnung einstürzte. Wir konnten uns alle retten. Aber wir hatten keine Wohnung mehr. Wir erinnerten uns an Tante Mimis Wohnung, die sie uns hinterlassen hatte, als sie zu ihren Kindern an den Fluss gezogen war. Hier wollten wir uns mit dem Rest der Familie treffen. Aber bis heute ist niemand gekommen. Wir werden die anderen Familienmitglieder wohl nie wiedersehen“, beendete Murmel ihren Bericht.

      Lilly war während des Erzählens ganz traurig geworden. Aber plötzlich sagte sie: „Vielleicht haben sie sich nur verlaufen und kommen später.“

      „Ja, vielleicht“, seufzte Irma Maus.

      „Nun erzähle du uns was von dir und deiner Familie“, forderte Murmel Lilly auf.

      Lilly erzählte von ihren Eltern und ihren Brüdern. Sie berichtete über die Nachbarn und erzählte, dass es hier keine Mäusemädchen gab. Mittlerweile war es dunkel geworden. Lilly fragte: „Darf ich morgen wiederkommen? Ich könnte Fips die Umgebung zeigen.“

      Erschrocken piepste Fips: „Nein, nein, lieber nicht.“

      Aber Murmel sagte: „Ja, Lilly, komm morgen wieder.“

      Lilly war glücklich und dankbar. Artig verabschiedete sie sich und lief geschwind nach Hause. Sie nahm den gleichen Weg zurück und niemand sah sie. Ihre Familie hatte nicht bemerkt, dass Lilly fort gewesen war. Sie schlüpfte in ihr Bett und augenblicklich fielen ihr die Augen zu.

      Am nächsten Morgen erwachte Lilly bereits mit den ersten Sonnenstrahlen. Geschwind lief sie in die Küche. Ihre Mama bereitete das Frühstück vor. Lilly half ihr dabei und deckte den Tisch. Gemütlich frühstückte die ganze Familie. Es war ruhig am Tisch, denn Georg und Franz waren noch nicht richtig munter.

      Aber Max plapperte munter drauf los. „Was machst du heute, Schwesterlein?“, fragte er. „Wir spielen im Wald. Willst du mitkommen?“

      Augenblicklich sagte Franz: „Nein. Das geht nicht.“

      „Heute spielen nur die Jungs“, ergänzte Georg.

      „Ich wollte sowieso nicht mitkommen“, erwiderte Lilly und steckte Georg die Zunge raus. „So“, dachte sie, „die Brüder bin ich los. Wenn ich mit Fips nicht in den Wald gehe, begegnen wir ihnen auch nicht.“

      Nach dem Frühstück stürmten die Mäusejungen los. Lilly ging gemächlich aus dem Haus. Aber kaum war sie außer Sichtweite, rannte sie blitzschnell zu Murmels Haus. Sie traf Murmel vor der Tür mit einem Fingerhut Wasser.

      „Guten Morgen Murmel“, rief Lilly schon von Weitem.

      „Dir auch einen schönen guten Morgen, Lilly“, grüßte Murmel.

      „Ist Fips schon bereit?“, wollte Lilly wissen.

      „Ich sehe gleich nach“, antwortete Murmel.

      Lilly hörte, wie Fips sich drinnen wehrte. „Nein, ich will nicht mit dem Mäusemädchen gehen“, sagte Fips. „Vor Waldmäusen habe ich Angst. Der ganze Wald macht mir Angst. Ich will wieder aufs Feld, Mama.“

      „Lilly ist nett“, sagte Murmel. „Geh mit ihr mit, sie kann dir die Gegend zeigen.“

      Alles Flehen und Betteln half nicht – Fips musste mit Lilly gehen. Und diese tat so, als hätte sie von dem Gespräch nichts mitbekommen. Sie nahm Fips bei der Hand und lief fröhlich plaudernd mit ihm davon. Lilly redete ununterbrochen und Fips hörte geduldig zu. „Magst du den Wald, Fips?“, fragte Lilly.

      „Ich ... ich weiß nicht so recht“, stotterte Fips. „Er ist ziemlich groß und dunkel.“

      „Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte Lilly, „ich bin bei dir. Aber lass uns heute an den Tümpel zu meinem Freund Willy gehen. Den Wald können wir auch später erkunden.“ Eigentlich war es Lilly ganz recht, dass Fips nicht in den Wald wollte, denn sonst wären ihnen vielleicht Lillys Brüder begegnet.

      Etwas schüchtern fragte Fips: „Wer ist Willy? Ist er gefährlich?“

      „Nein“, beruhigte Lilly ihn. „Willy ist ganz lieb, manchmal ein bisschen nass und glitschig.“ Lilly hatte wieder Fips’ Hand genommen und so gingen sie weiter. Plötzlich rief Lilly: „Lass uns um die Wette laufen, Fips, bis zu dem großen Stein da vorne.“ Fips war einverstanden. Lilly zählte: „Eins, zwei, drei und los.“ Sofort flitzte sie los. Und siehe da, sie kam als Erste ans Ziel. Kurz nach ihr kam Fips an. Lilly freute sich riesig. Sie hatte noch niemals gegen ihre Brüder gewonnen. Vor Vergnügen quietschte Lilly und fiel Fips um den Hals. Jetzt war Fips ganz verwirrt. Aber irgendwie merkte er, dass Lilly es gut mit ihm meinte. Und er fand sie richtig nett. Sie neckten sich noch eine Weile und dann standen sie vor einem Tümpel. Er war nicht groß, aber er war ziemlich rund und in der Mitte blühten mehrere Seerosen in einem leuchtenden Gelb. Am Ufer wuchsen Schilfrohre. Lilly ging ganz nah ans Wasser. Fips blieb ängstlich zurück. „Geh nicht weiter, Lilly“, piepste Fips, „sonst fällst du noch in den Tümpel.“

      Lilly lachte. „Dann kommt Willy und rettet mich.“ Zugleich bemerkte sie, dass von Willy nichts zu sehen war. Deshalb rief sie laut nach ihm.

      Es dauerte eine Weile, dann hörte man ein Glucksen und eine tiefe Stimme quakte: „Wer ruft nach mir? Bist du das, Lilly?“

      „Ja“, rief wieder Lilly, „ich bin es und sieh mal, wen ich dir heute mitgebracht habe?“

      Behäbig kam Willy ans Ufer. Erstaunt fragte er: „Wer ist dein