Karl May

Der Geist des Llano Estacado


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die Stelle des Geistes vertreten. Verrichtet Euer letztes Gebet! Bald werdet Ihr vor dem ewigen Richter erscheinen!“

      Diese Worte des jungen Mannes, der noch ein halber Knabe war, machten einen gewaltigen Eindruck auf die Anwesenden. Er kam ihnen völlig verändert vor. Wie er da stand, stolz aufgerichtet, mit drohend erhobenem Arm, blitzenden Augen und einem unerschütterlichen Entschluss in den festen Zügen – war er ein Bote der Gerechtigkeit, ein Vollstrecker des gerechten Strafgerichts.

      Der Fremde war, obwohl er den Jüngling fast um Kopfeslänge überragte, bleich geworden. Doch fasste er sich schnell, stieß ein lautes Gelächter aus und rief: „Wahrhaftig, er ist verrückt! Ein Floh will einen Löwen verschlingen! So etwas hat noch niemand gehört! Mensch, beweise es doch einmal, dass ich ein Mörder bin!“

      „Spottet nicht! Was ich sage, das geschieht, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Wem gehört das Gewehr, das da am Stamm des Baumes lehnt?“

      „Natürlich mir.“

      „Seit wann ist es Euer Eigentum?“

      „Seit über zwanzig Jahren.“ Trotz seines vorigen Gelächters und seiner geringschätzigen Worte machte die Haltung des Knaben einen solchen Eindruck auf den starken Mann, dass ihm gar nicht der Gedanke kam, die Antwort zu verweigern.

      „Könnt Ihr das beweisen?“, fragte Bloody-Fox weiter.

      „Kerl, wie soll ich das beweisen? Kannst du etwa den Beweis des Gegenteils erbringen?“

      „Ja. Diese Büchse gehörte dem Señor Rodriguez Pinto auf der Estanzia del Meriso drüben bei Cedar Grove. Er war vor zwei Jahren mit seinem Weib, seiner Tochter und drei Vaqueros hüben in Caddo am Washita River auf Besuch gewesen. Dort verabschiedete er sich, kehrte aber niemals heim. Kurze Zeit darauf fand man die sechs Leichen im Llano Estacado, und die Spuren im Boden verrieten, dass die Wegweiserpfähle verändert worden waren. Diese Büchse trug er damals bei sich. Hättet Ihr behauptet, sie seit der angegebenen Zeit von irgendwem gekauft zu haben, so wäre die Sache zu untersuchen. Da Ihr aber behauptet, sie bereits zwanzig Jahre zu besitzen, so habt Ihr sie nicht von dem Schuldigen gekauft, sondern seid selbst der Mörder und als solcher dem Gesetz des Llano Estacado verfallen.“

      „Hund!!“, knirschte der Fremde. „Soll ich dich zermalmen? Dieses Gewehr ist mein Eigentum. Beweise es doch, dass es jenem Estanziero gehört hat!“

      „Sogleich!“ Der Jüngling nahm das Gewehr vom Stamm des Baumes weg und drückte an einer der kleinen Silberplatten, die in den unteren Teil des Kolbens eingelegt waren. Sie sprang auf, und darunter zeigte sich ein zweites Plättchen mit dem Namen, den er vorher genannt hatte.

      „Schaut her!“, sagte er, das Gewehr den anderen zeigend. „Hier ist der unumstößliche Beweis, dass dieses Gewehr Eigentum des Estanziero war. Er war mein Freund und ich kenne es genau. Ich halte diesen Mann für seinen Mörder und das genügt. Seine Minuten sind gezählt.“

      „Die deinigen auch!“, schrie der Fremde, indem er auf den Ankläger einsprang, um ihm das Gewehr zu entreißen.

      Aber Bloody-Fox trat blitzschnell einige Schritte zurück, schlug die Büchse auf ihn an und gebot: „Stehen bleiben, sonst trifft Euch die Kugel! Ich weiß, wie man mit solchen Leuten umspringen muss. Hobble-Frank, Juggle-Fred, legt auf ihn an, und wenn er sich bewegt, so schießt ihr ihn sofort nieder!“

      Die beiden Genannten hatten im Nu ihre Gewehre erhoben und auf den Mexikaner gerichtet. Es handelte sich hier um das Präriegesetz, das nur einen einzigen, aber umfassenden Paragrafen hat. Da gibt es für den braven Westmann kein Zaudern. Der Fremde sah, dass Ernst gemacht wurde. Es ging um sein Leben, deshalb stand er bewegungslos.

      Bloody-Fox senkte jetzt das Gewehr, da die beiden anderen Büchsen den Mann im Bann hielten, und sagte: „Ich habe Euch Euer Urteil gesprochen und es wird sofort vollstreckt werden.“

      „Mit welchem Recht?“, fragte der Mexikaner mit vor Grimm bebender Stimme. „Ich bin unschuldig und lasse mich nicht lynchen!“

      „Ich will Euch nicht töten, wie ein Henker den Verurteilten tötet. Ihr sollt mir Auge in Auge gegenüberstehen, jeder mit seinem Gewehr in der Hand. Eure Kugel soll ebenso gut mich treffen können, wie Euch die meinige treffen wird. Es soll kein Mord, sondern ein ehrlicher Kugelwechsel sein. Wir setzen Leben gegen Leben, obgleich ich Euch sofort niederschießen könnte, da Ihr ein Mörder seid.“

      Der junge Mann stand in aufrechter, selbstbewusster Haltung vor dem Fremden. Sein Ton war ernst und bestimmt und doch gelassen. Der Bravo aber schlug ein lautes, höhnisches Gelächter an und erwiderte: „Seit wann führen denn hier an der Grenze unreife Knaben das große Wort? Wenn diese Männer nicht wären, die ihre Läufe auf mich richten, hätte ich dich bereits abgewürgt, wie man einem fürwitzigen Sperling den Kopf abdreht. Bist du wirklich so verrückt, dich mit mir messen zu wollen, so habe ich nichts dagegen. Meine Kugel wird dir den Weg zur Hölle zeigen! Aber ich halte dich und die anderen bei dem, was dein großes Maul gesprochen hat. Ich verlange einen ehrlichen Kampf und dann ein offenes Feld für den Sieger!“

      „Oho!“, rief da Helmers. „So haben wir nicht gewettet. Selbst wenn Ihr Glück im Schuss haben solltet, sind wohl noch einige Gentlemen da, die ein Wort mit Euch zu sprechen haben. Ihnen werdet Ihr Rede stehen müssen.“

      „Nein, so nicht!“, fiel Bloody-Fox ein. „Der Mann gehört mir. Ihr habt kein Recht an ihm. Ich allein bin es, der ihn herausgefordert hat, und ich habe ihm mein Wort gegeben, dass der Kampf ehrlich sein soll. Dieses Versprechen müsst Ihr halten, wenn ich falle.“

      „Aber, Boy, bedenke doch...“

      „Da ist nichts zu bedenken. Wohl gehört der Schuft unbedingt zu den Staked-Plain-Vultures[7] und sollte eigentlich ohne langes Gerede mit Knütteln erschlagen werden. Aber so eine Henkerei widerstrebt mir. Ich will den Kampf und ihr versprecht mir jetzt, dass sich der Mann ungehindert entfernen kann, falls er mich erschießt!“

      „Wenn du nicht anders willst, so müssen wir es tun. Aber du gehst dann mit dem Vorwurf von der Erde, durch deine ungerechtfertigte Milde dafür gesorgt zu haben, dass dieser Schurke sein Handwerk auch fernerhin betreiben kann!“

      „Nun, was das betrifft, so bin ich ruhig. Wollen sehen, ob meine Kugel im Lauf steckt, um nur ein Loch in die Luft zu machen. Sage also, Kerl, auf welche Entfernung wir uns schießen wollen!“

      „Fünfzig Schritt“, erklärte der Fremde, an den die Aufforderung gerichtet war.

      „Fünfzig!“, lachte Bloody-Fox. „Das ist nicht allzu nahe. Ihr scheint Eure Haut sehr lieb zu haben. Aber es soll Euch doch nichts nützen. Ich will Euch die freundschaftliche Mitteilung machen, dass ich genauso wie der Avenging-ghost zielen werde, nämlich nach der Stirn. Nimm also die deinige in Acht!“

      „Immer schneide auf, Knabe!“, knirschte sein Gegner. „Ich habe erhalten, was ich wünschte, das Versprechen des ungehinderten Abzugs. Machen wir die Sache kurz! Gib mir mein Gewehr!“

      „Wenn die Vorbereitungen getroffen sind, sollt Ihr es haben, eher nicht, denn Euch ist nicht zu trauen. Der Wirt mag die Entfernung abmessen, fünfzig Schritt. Haben wir Stellung genommen, so mag sich Bob mit der einen Lampe zu Euch, Hobble-Frank mit der anderen zu mir stellen, damit wir beide einander genau sehen können und ein sicheres Ziel haben. Dann reicht Juggle-Fred Euch Euer Gewehr, Helmers mir das meinige. Helmers gibt das Zeichen und von diesem Augenblick an können wir beliebig schießen, jeder zwei Kugeln, denn unsere Gewehre sind doppelläufig. Wer seinen Platz verlässt, bevor die Kugeln gewechselt sind, wird von dem, der ihm das Licht hält, niedergeschossen. Zu diesem Zweck werden Bob und Frank ihre Pistolen oder Revolver bereit halten.“

      „Schön! So sein sehr schön!“, rief Bob. „Masser Bob sofort geben Schuft eine Kugel, wenn er wollen laufen!“ Er zog die Waffe aus dem Gürtel und zeigte sie unter drohendem Grinsen dem Fremden.

      Die anderen erklärten sich mit den Bedingungen des Bloody-Fox einverstanden und die Vorbereitungen wurden sofort getroffen. Alle waren damit so beschäftigt, dass es keinem einfiel, auf den frommen