Karl May

Der Geist des Llano Estacado


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trat eine ältliche, wohlbeleibte Frau aus der Tür. Sie brachte Brot und ein gewaltiges Stück gebratene Rindslende herbei. „Das ist meine Frau“, erklärte Helmers dem Hobble-Frank in deutscher Sprache, während er mit dem Mormonen Englisch gesprochen hatte. „Sie versteht ebenso gut Deutsch wie ich.“

      „Freut mich ungeheuer“, meinte Frank, indem er ihr die Hand reichte. „Es ist gar lange Zeit her, dass ich mich zum letzten mal mit einer Lady um die deutsche Muttersprache herumbewegte. Seien Sie mir also herzlich gegrüßt, meine liebliche Frau Helmers! Hat sich Ihre Wiege vielleicht auch im Vater Rhein oder in der Schwester Elbe geschaukelt?“

      „Wenn auch das nicht“, entgegnete sie lächelnd. „Man pflegt auch drüben in der Heimat die Wiegen nicht ins Wasser zu stellen. Aber eine geborene Deutsche bin ich doch.“

      „Na, das mit dem Rhein und der Elbe war natürlich nich so wörtlich gemeint. Ich drücke mich mehrschtenteels gewählt und vornehm aus. Was mich anlangt, so habe ich meinen ersten wonnevollen Atemzug in der Nähe von Elbflorenz getan, was der mathematische Geograf Dresden nennt.“

      Die gute Frau wusste nicht, was sie dem eigentümlichen Kerlchen antworten sollte. Sie sah ihren Mann fragend an und Helmers kam ihrer Verlegenheit zu Hilfe, indem er erklärte: „Der Herr ist ein lieber Kollege von mir, ein Forstmann, der drüben sicher eine gute Laufbahn gemacht hätte.“

      „Ganz gewiss!“, fiel Frank schnell ein. „Die Forstwissenschaft war die Leiter, auf der ich mit Armen und Beinen emporgeklimmt wäre, wenn mich nich mein Fatum hinten angepackt und herüber nach Amerika gezogen hätte. Ich hoffe, wir werden uns schnell und gut kennenlernen, meine ergebenste Frau Helmers!“

      „Davon bin ich überzeugt!“, entgegnete sie ihm zunickend.

      „Übrigens ist mein Bier jetzt alle. Könnte ich noch eins bekommen?“

      Sie nahm sein Glas, um es ihm nochmals zu füllen. Bei dieser Gelegenheit brachte sie für den Mormonen Brot, Käse, Wasser und ein kleines Gläschen voll Brandy mit. Er begann sein einfaches Mahl, ohne sich darüber zu beschweren, dass er kein Fleisch erhalten hatte.

      Jetzt kam Bob der Neger herbei. „Masser Bob sein fertig mit Pferden“, meldete er. „Masser Bob auch mit essen und trinken!“

      Da fiel sein Blick auf den Heiligen der letzten Tage. Er blieb stehen, musterte den Mann einige Augenblicke und rief dann: „Was sehen Masser Bob! Wer hier sitzen! Das sein Massa Weller, der Dieb, der haben gestohlen Massa Baumann all sein viel Geld!“

      Der Mormone fuhr von seinem Sitz auf und starrte den Schwarzen erschrocken an.

      „Was sagst du?“, fragte Frank, indem er auch aufsprang. „Dieser Mann soll jener Weller sein?“

      „Ja, er es sein. Masser Bob ihn genau kennen. Masser Bob ihn haben damals sehr gut ansehen.“

      „Lack-a-day! Das wäre ja eine allerliebste Begegnung. Was sagt denn Ihr dazu, Mister Tobias Preisegott Burton?“

      Der Mormone hatte seinen augenblicklichen Schreck überwunden. Er machte eine verächtliche Armbewegung gegen den Neger und erwiderte: „Dieser Schwarze ist wohl nicht recht bei Sinnen? Ich verstehe ihn nicht. Ich weiß nicht, was er will!“

      „Seine Worte waren doch deutlich genug. Er nannte Euch Weller und sagte, dass Ihr seinen Herrn, einen gewissen Baumann, bestohlen hättet.“

      „Ich heiße nicht Weller.“

      „Vielleicht habt Ihr einmal so geheißen?“

      „Ich hieß zu aller Zeit Burton. Der Nigger scheint mich mit irgendjemand zu verwechseln.“

      Da trat Bob drohend auf ihn zu und rief: „Was sein Masser Bob? Masser Bob sein ein Neger, aber kein damned Nigger. Masser Bob sein ein coloured gentleman. Wenn Massa Weller noch einmal sagen Nigger, so Masser Bob ihn schlagen nieder mit Faust, wie Massa Old Shatterhand es ihm hat zeigen!“

      Sofort stellte sich Helmers zwischen die beiden und sagte: „Bob, keine Tätlichkeit! Du klagst diesen Mann eines Diebstahls an. Kannst du Beweise bringen?“

      „Ja, Bob Beweise bringen. Massa Frank auch wissen, dass Massa Baumann sein bestohlen worden. Er können Zeuge sein.“

      „Ist das wahr, Mister Frank?“

      „Ja“, bestätigte der Gefragte. „Ich kann es bezeugen.“

      „Wie ist es denn bei dem Diebstahl zugegangen?“

      „Mein Gefährte Baumann, der von denen, die ihn kennen, kurzweg der Bärenjäger genannt wird, hatte droben in der Nähe des South Fork of Cheyenne River einen Store und ich war sein Gefährte und Teilhaber. Das Geschäft ging anfangs sehr gut, da es häufig von den Goldgräbern besucht wurde, die sich damals in den Black Hills zusammengezogen hatten. Wir nahmen viel Geld ein und es lag oft eine bedeutende Menge Münzen und Nuggets bei uns verborgen. Eines Tages musste ich eine Reise zu den Diggers unternehmen, um Schulden einzutreiben. Als ich am dritten Tag zurückkehrte, hörte ich, dass Baumann indessen bestohlen worden sei. Er war mit Bob allein gewesen und hatte einen Fremden namens Weller über Nacht behalten. Am anderen Morgen war mit diesem Weller das ganze Geld verschwunden, und die Verfolgung hatte nichts genützt, weil durch einen Gewitterregen die Fährte des Diebes verwischt worden war. Jetzt behauptet Bob, ihn in diesem Heiligen der letzten Tage erkennen, und ich möchte nicht annehmen, dass er sich irrt. Bob hat offene Augen und ein sehr gutes Personengedächtnis. Er versicherte schon damals, sich den Menschen genau angesehen zu haben. Das, Mister Helmers, ist es, was ich in dieser Angelegenheit zu sagen habe.“

      „Also Ihr selbst seid dem Dieb damals nicht begegnet?“

      „Nein.“

      „So seid Ihr freilich nicht im Stande, dem Neger zu bezeugen, dass wir wirklich den Dieb vor uns haben. Bob steht mit seiner Behauptung allein. Was da zu machen ist, werdet Ihr ebenso gut wissen wie ich.“

      „Masser Bob es genau wissen, was zu machen sein!“, rief der Neger. „Masser Bob schlagen den Spitzbuben tot. Masser Bob sich nicht irren.“

      Er wollte Helmers beiseite schieben, um an den Mormonen zu kommen. Der Farmer aber hielt ihn zurück und sagte: „Halt! Das wäre eine Gewalttätigkeit, die ich auf meinem Grund und Boden nicht dulden kann.“

      „Gut. Masser Bob warten, bis Spitzbube sein fort von Grund und Boden. Dann aber ihn aufknüpfen am nächsten Baum. Masser Bob hier sitzen und gut aufpassen, wenn fortgehen der Dieb.“

      Bob setzte sich nieder, doch so, dass er den Mormonen im Auge hatte. Man sah es ihm an, dass es ihm mit seiner Drohung ernst war. Burton musterte mit ängstlichem Blick die riesige Gestalt des Negers und wendete sich dann an Helmers: „Sir, ich bin wirklich unschuldig. Dieser schwarze Master verkennt mich und ich hoffe, dass ich mich auf Euern Schutz verlassen kann.“

      „Verlasst Euch nicht zu sehr auf mich!“, lautete die Antwort. „Es sind keine Beweise erbracht und mich geht der Diebstahl überhaupt nichts an, weil ich keinerlei amtliche Eigenschaft besitze. Infolgedessen könnt Ihr ruhig sein, solange Ihr Euch hier befindet. Ich habe Euch aber bereits gesagt, dass Ihr Euch baldigst von dannen machen sollt. Was dann geschieht, ist mir gleichgültig. Ich kann Bob das Recht nicht bestreiten, diese Angelegenheit unter vier Augen mit Euch zu ordnen. Zu Eurer ganz besonderen Beruhigung will ich gern noch versichern, dass ich nicht vor Entsetzen in Ohnmacht fallen werde, falls ich Euch morgen unter irgendeinem Baum begegnen sollte, dessen stärkster Ast Euch zwischen Hals und Binde geraten ist.“

      Damit war die Sache einstweilen abgetan. Der Mormone wendete sich seinem Mahl wieder zu, aber er aß sehr langsam und mit bedeutenden Pausen, um die ihm gewährleistete Sicherheit möglichst lange zu genießen. Bobs rollende Augen ließen kaum von ihm und Bloody-Fox, der sich äußerlich still verhalten hatte, beobachtete ihn noch ebenso aufmerksam wie vorher.

      Jetzt war jeder mit dem Essen und mit seinen eigenen Gedanken so beschäftigt,