Karl May

Der Geist des Llano Estacado


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angebunden, mein Junge!“

      „Weil ich kein Mormonenpfarrer bin.“

      „Ach so! Dann entschuldigt! Ihr zürnt mir wohl, dass ich Euch Boy genannt habe?“

      „Fällt mir nicht ein. Mit der Anrede mag es ein jeder halten, wie er will, nur muss er sich dann auch meine Antwort gefallen lassen.“

      „Schön! Wir sind also einig. Ihr gefallt mir. Hier ist meine Hand, aber antwortet mir nun, wie es sich schickt und gehört! Ich bin hier fremd und muss nach Helmers’ Home. Hoffentlich zeigt Ihr mir nicht einen falschen Weg.“

      Frank reichte dem Jüngling die Hand hinüber. Der junge Mann drückte sie ihm, überflog Frack und Amazonenhut mit einem lächelnden Blick und erwiderte: „Ein Schuft, wer andere in die Irre führt! Ich reite soeben nach Helmers’ Home. Wenn ihr mir folgen wollt, so kommt!“

      Damit setzte er sein Pferd wieder in Bewegung und die beiden folgten ihm, vom Bach abbiegend, sodass der Ritt nunmehr nach Süden ging. „Wir wollten dem Wasser nachreiten“, bemerkte Frank.

      „Es hätte euch auch zu dem alten Helmers geführt“, erklärte der Knabe, „aber in einem sehr weiten Bogen. Anstatt in einer Dreiviertelstunde wärt ihr in zwei Stunden bei ihm angekommen.“

      „So ist es ein Glück, dass wir Euch getroffen haben. Kennt Ihr den Besitzer dieses Settlements?“

      „Sogar sehr gut.“

      „Was für ein Mensch ist er?“

      Die beiden Reiter hatten den Jüngling in die Mitte genommen. Er warf einen forschenden Blick auf sie und erklärte: „Helmers hat ein scharfes Auge für jede Schuftigkeit und hält streng auf ein reines Haus.“

      „Das gefällt mir an ihm. Wir haben also nichts von ihm zu fürchten?“

      „Wenn ihr brave Männer seid, nein. Dann ist er im Gegenteil zu jedem Dienst erbötig.“

      „Ich höre, dass er einen Store hat?“

      „Ja, aber nicht des Gewinns halber, sondern nur um den Westmännern, die bei ihm verkehren, gefällig zu sein. Er führt in seinem Laden alles, was ein Jäger braucht, und verkauft es zum möglichst billigen Preis. Doch einer, der ihm nicht gefällt, wird selbst für teures Geld nichts von ihm erhalten.“

      „So ist er ein Sonderling?“

      „Nein, aber er bemüht sich jederzeit, jenes Gelichter unbedingt von sich fern zu halten, das den Westen unsicher macht. Ihr werdet ihn ja kennenlernen. Nur eins will ich noch von ihm sagen, was Ihr freilich nicht verstehen und worüber Ihr wohl sogar lachen werdet: Er ist ein Deutscher von echtem Schrot und Korn. Damit ist alles gesagt.“

      Frank stand in den Bügeln auf und rief: „Was? Das soll ich nicht verstehen? Darüber soll ich sogar lachen? Was fällt Euch ein! Ich freue mich sogar königlich darüber, hier am Rand des Llano Estacado einen Landsmann zu finden.“

      Das Gesicht des Führers war ausgesprochen ernst. Selbst sein zweimaliges Lächeln war so gewesen, als verstehe er wirklich gar nicht zu lachen. Jetzt blickte er freundlich zu Frank hinüber und fragte: „Wie? Ein Deutscher seid Ihr?“

      „Natürlich! Seht Ihr mir denn das nicht sofort an?“

      „Nein! Ihr sprecht das Englische nicht wie ein Deutscher und habt ganz das Aussehen eines Yankee-Onkels, der von seinen sämtlichen Neffen zum Fenster hinausgeworfen wurde.“

      „Heavens! Was fällt Euch ein! Ich bin ein Deutscher durch und durch, und wer das nicht glaubt, dem renne ich das Schießeisen durch den Leib!“

      „Dazu genügt das Messer auch. Aber wenn es so ist, wird sich der alte Helmers freuen, denn er stammt auch von drüben und hält gar große Stücke auf sein Vaterland und seine Muttersprache.“

      „Das glaube ich. Ein Deutscher kann beide nie vergessen. Nun freue ich mich doppelt, nach Helmers’ Home zu kommen. Eigentlich konnte ich mir denken, dass er ein Deutscher ist. Ein Yankee hätte sein Settlement Helmers’ Ranch oder so ähnlich genannt. Aber Helmers’ Home! Dieses Namens wird sich nur ein Deutscher bedienen. Wohnt Ihr in seiner Nähe?“

      „Nein. Ich habe weder eine Ranch noch ein Home als Eigentum. Ich bin wie der Vogel in der Luft oder wie das Tier im Wald.“

      „Trotz Eurer Jugend? Habt Ihr keine Eltern?“

      „Keinen einzigen Verwandten.“

      „Hm. Wie heißt Ihr denn?“

      „Man nennt mich Bloody-Fox.“

      „Bloody-Fox? Das deutet auf ein blutiges Ereignis hin.“

      „Ja, meine Eltern wurden samt der ganzen Familie und allen Begleitern ermordet, drin im Llano Estacado. Nur ich allein bin übrig geblieben. Man fand mich mit klaffendem Schädel. Ich war damals ungefähr acht Jahre alt.“

      „Herrgott! Dann seid Ihr wirklich ein armer Teufel! Man überfiel euch, um euch auszurauben?“

      „Ja.“

      „So ist Euch nichts als das Leben, der Name und die schreckliche Erinnerung geblieben!“

      „Nicht einmal das. Helmers fand mich im Sand liegend, nahm mich aufs Pferd und brachte mich heim zu sich. Ich habe monatelang im Fieber gelegen, und als ich erwachte, wusste ich nichts mehr, gar nichts mehr. Selbst meinen Namen hatte ich vergessen und kann mich auch heute noch nicht darauf besinnen. Nur der Augenblick des Überfalls ist mir klar im Gedächtnis geblieben. Ich wäre glücklicher, wenn auch das mir entschwunden wäre, denn dann würde nicht das heiße Verlangen nach Rache mich wieder und immer wieder durch die schreckliche Wüste peitschen.“

      „Und warum hat man Euch den Namen Bloody-Fox gegeben?“

      „Weil ich über und über mit Blut bedeckt war und in meinen Fieberfantasien oft das Wort Fuchs gebraucht habe. Man glaubte daraus schließen zu müssen, dass es mein Name sei.“

      „So wären Eure Eltern Deutsche gewesen?“

      „Jedenfalls. Denn ich sprach, als ich wieder zu mir kam, Englisch und Deutsch, das Deutsch aber viel geläufiger. Helmers ist mir wie ein Vater gewesen. Doch es hat mich nicht bei ihm gelitten. Ich habe hinaus gemusst in die Wildnis wie der Falke, dem die Geier die Alten zerrissen haben und der nun um die blutige Stätte kreisen muss, bis es ihm gelingt, auf die Mörder zu stoßen.“ Fox knirschte hörbar mit den Zähnen und nahm sein Pferd so scharf in die Zügel, dass es aufbäumte.

      „So habt Ihr die Schmarre auf der Stirn von damals her?“, fragte Frank.

      „Ja“, bestätigte der Jüngling finster. „Doch sprechen wir nicht weiter davon! Es regt mich auf und dann müsst ihr gewärtig sein, ich stürme von euch fort und lasse euch allein nach Helmers’ Home reiten.“

      „Ja, reden wir lieber von dem Besitzer dieser Niederlassung! Was war er denn drüben im alten Land?“

      „Forstbeamter.“

      „Wie – wa – wa – was?“, rief Frank. „Ich auch!“

      Bloody-Fox machte eine Bewegung der Überraschung, betrachtete sich den Sprecher abermals genau und sagte dann: „Ihr auch? Das ist ja ein erfreuliches Zusammentreffen!“

      „Ja. Aber wenn er den schönen Beruf eines Forstmanns gehabt hat, warum hat er ihn dann aufgegeben?“

      „Aus Ärger. Er war Oberförster. Die betreffende Waldung befand sich in Privatbesitz und sein Herr war ein stolzer, rücksichtsloser und jähzorniger Mann. Beide sind an- und auseinander geraten und Helmers hat ein schlechtes Zeugnis erhalten, sodass er keine Anstellung mehr fand. Da ist er denn so weit wie möglich fortgegangen. Seht Ihr da drüben das Rot- und Schwarzeichengehölz?“

      „Ja“, nickte Frank, indem er in die angegebene Richtung blickte.

      „Dort treffen wir wieder auf den Bach und