Michael Connelly

Night Team


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quittierte ihre Erklärung mit Schweigen. Ballard blickte auf das verunstaltete Gesicht der Toten hinab.

      »Spätestens am zweiten Tag hat die Katze Hunger bekommen«, fuhr sie fort. »Sie war wahrscheinlich schon halb am Durchdrehen. Dann hat sie die Tote entdeckt.«

      »Also echt«, sagte Doucette.

      »Hol deinen Partner, Deuce. Seht zu, dass ihr die Katze findet.«

      »Moment. Warum ist sie schon im Nachthemd, als sie in die Badewanne steigen will? Das zieht man doch erst nach dem Baden an.«

      »Wieso? Vielleicht kommt sie von der Arbeit oder von einem Abendessen nach Hause, schlüpft schon in ihr Nachthemd, macht es sich bequem, sieht vielleicht noch ein bisschen fern … und beschließt dann, ein Bad zu nehmen.«

      Ballard deutete auf den Spiegel.

      »Außerdem war sie sehr dick. Vielleicht war es ihr unangenehm, sich nackt im Spiegel zu sehen. Sie kommt also nach Hause, schlüpft in ein Nachthemd und behält es an, bis sie in die Wanne steigt.«

      Ballard drehte sich um und ging an Doucette vorbei aus dem Bad.

      »Seht zu, dass ihr die Katze findet.«

      2

      Um drei Uhr morgens hatte Ballard ihre Ermittlungen abgeschlossen und war wieder in der Hollywood Division, wo sie sich in einem Abteil des Detective Bureau an die Arbeit machte. Tagsüber wimmelte es in dem riesigen Raum mit seinen insgesamt 48 Arbeitsplätzen von Detectives, aber nach Mitternacht war er verlassen, und Ballard konnte sich den Schreibtisch aussuchen. Sie entschied sich für einen in der hintersten Ecke, weit fort von den Nebengeräuschen und dem Polizeifunkgebrabbel aus dem Büro des Schichtleiters am Ende des Flurs. Außerhalb der üblichen Dienstzeiten konnte sie hinter dem Computermonitor und der Trennwand des Abteils in Deckung gehen, wie ein Soldat in einem Schützenloch, und dort ungestört ihre Berichte schreiben.

      Zuerst erledigte sie den Einbruch, zu dem sie zu Beginn der Schicht gerufen worden war, dann wandte sie sich der Toten zu, die sich an der Badewanne den Kopf angeschlagen hatte. Da noch keine Obduktion vorgenommen worden war, gab sie die Todesursache als »ungeklärt« an. Zu ihrer Absicherung hatte sie einen Tatortfotografen angefordert und alles, die Katze eingeschlossen, dokumentiert. Ihr war klar, dass die Angehörigen der Toten und vielleicht sogar ihre Vorgesetzten möglicherweise Zweifel anmeldeten, wenn sie den Vorfall als Unfalltod einstufte. Aber sie war sicher, dass bei der Obduktion keine Fremdeinwirkung festgestellt und die Todesursache auf einen Unfall zurückgeführt würde.

      Ballard hatte allein Dienst. Ihr Partner John Jenkins war wegen eines Todesfalls beurlaubt. Für die Detectives der Nachtschicht gab es keine Ersatzleute, und Ballard würde mindestens eine Woche allein Dienst tun müssen. Wann genau Jenkins zurückkommen würde, war noch nicht absehbar. Seine Frau war nach einem langen, schmerzhaften Krebsleiden gestorben. Das hatte ihn stark mitgenommen, und Ballard hatte ihm angeboten, sich ruhig Zeit zu lassen, um über den Verlust hinwegzukommen.

      Sie schlug in ihrem Notizblock die Seite mit den Einträgen zum zweiten Einsatz dieses Abends auf und öffnete ein Tatverlaufsformular auf ihrem Rechner. Bevor sie sich an die Arbeit machte, neigte sie den Kopf auf die Seite und hielt den Kragen ihrer Bluse an ihre Nase. Sie glaubte, einen schwachen Verwesungsgeruch wahrgenommen zu haben, war aber nicht sicher, ob er sich in ihren Kleidern festgesetzt hatte oder nur in ihrem olfaktorischen Gedächtnis hängen geblieben war. Jedenfalls hieß das, dass sie ihren Hosenanzug in dieser Woche wohl kein zweites Mal würde tragen können. Sie musste ihn in die Reinigung bringen.

      Während sie den Kopf an den Kragen ihrer Bluse gesenkt hielt, hörte sie ein metallisches Scheppern, wie es entstand, wenn der Schub eines Aktenschranks geschlossen wurde. Sie schaute über die Trennwand ihres Abteils in den hinteren Teil des Bereitschaftsraums, wo eine lange Reihe vierschübiger Aktenschränke stand. Jedem Ermittlerteam standen zur Archivierung seiner Unterlagen vier Schübe zur Verfügung.

      Ballard hatte den Mann, der gerade einen weiteren Schub herauszog, noch nie zuvor gesehen, obwohl sie von den monatlichen Meetings, an denen alle Detectives der Station teilnehmen mussten, jeden Ermittler kannte. Der Fremde, der in den Aktenschränken etwas zu suchen schien, hatte graues Haar und einen Schnurrbart. Ballard konnte spüren, dass er hier nichts zu suchen hatte. Sie schaute sich im Bereitschaftsraum um, ob sonst noch jemand da war. Es war jedoch niemand zu sehen.

      Der Mann öffnete und schloss einen weiteren Schub. Ballard nutzte das Scheppern, um das Knarzen ihres Stuhls zu überdecken, als sie aufstand. Sie ging in die Knie und bewegte sich im Sichtschutz der Abteiltrennwände auf den Hauptgang in der Mitte zu, in dem sie sich dem Eindringling unbemerkt von hinten nähern konnte.

      Sie hatte die Jacke ihres Hosenanzugs im Kofferraum ihres Dienstwagens gelassen und konnte deshalb sofort an die Glock in ihrem Hüftholster greifen. Sie legte die Hand auf den Griff der Pistole und blieb drei Meter hinter dem Mann stehen.

      »Was machen Sie da?«

      Der Mann erstarrte. Dann nahm er langsam die Hände aus dem Schub, den er durchsucht hatte, und hielt sie so hoch, dass Ballard sie sehen konnte.

      »So ist es gut«, sagte sie. »Und würden Sie mir jetzt vielleicht erklären, wer Sie sind und was Sie hier suchen?«

      »Bosch der Name«, sagte der Mann. »Ich wollte mich mit jemand treffen.«

      »Aha. Mit jemand, der sich in den Aktenschränken versteckt?«

      »Nein, ich habe mal hier gearbeitet. Ich kenne Money vorne. Er hat gesagt, ich könnte im Aufenthaltsraum warten, bis der Officer hier ist. Aber dann habe ich beschlossen, mich ein bisschen umzusehen. Mein Fehler.«

      Ballard schaltete einen Gang zurück und nahm die Hand von der Pistole. Der Name Bosch war ihr bekannt, und der Umstand, dass er den Spitznamen des Schichtleiters wusste, trug ebenfalls zur Entspannung der Situation bei. Trotzdem blieb sie misstrauisch.

      »Haben Sie den Schlüssel für Ihren alten Aktenschrank behalten?«, fragte sie.

      »Nein«, sagte Bosch. »Der hier war nicht abgeschlossen.«

      Ballard konnte am Schloss des Schranks sehen, dass er tatsächlich nicht verriegelt gewesen war. Die meisten Detectives schlossen ihre Schränke ab.

      »Können Sie sich ausweisen?«, fragte sie.

      »Klar«, sagte Bosch. »Aber ich bin Polizist und habe eine Pistole an meiner linken Hüfte. Die werden Sie sehen, wenn ich meinen Ausweis raushole. Okay?«

      Ballard führte ihre Hand wieder an ihre Hüfte und sagte: »Danke für den Hinweis. Aber wissen Sie was? Vergessen wir den Ausweis erst mal und sichern stattdessen die Waffe. Dann können wir …«

      »Da bist du ja, Harry.«

      Ballard sah Schichtleiter Lieutenant Munroe in den Bereitschaftsraum kommen. Munroe war ein schmaler Mann, der die Station zwar nur noch selten verließ, die Hände aber immer noch wie beim Streifegehen in Höhe seines Gürtels hielt, an dem er allerdings, weil das Vorschrift war, nur noch die Dienstwaffe trug. Den Rest der sperrigen Ausrüstung für den Streifendienst bewahrte er in einer Schublade seines Schreibtischs auf. Munroe war zwar nicht so alt wie Bosch, aber er hatte einen Schnurrbart, wie er in den siebziger und achtziger Jahren bei Polizisten anscheinend zur Grundausstattung gehört hatte.

      Er sah Ballard und deutete ihre Haltung richtig.

      »Ballard, was ist los?«

      »Er ist einfach hier reingekommen und hat sich Akten angesehen«, sagte Ballard. »Ich wusste nicht, wer er ist.«

      »Kein Grund zur Aufregung«, sagte Munroe. »Er ist einer von uns, er war bei der Mordkommission – als wir noch eine hatten.«

      Munroe wandte sich Bosch zu.

      »Was hast du dir dabei gedacht, Harry?«

      Bosch zuckte mit den Achseln.

      »Nur in meinem alten Schrank rumgeschnüffelt. Um mir die Zeit zu vertreiben.«

      »Dvorek ist jetzt jedenfalls