Christian Handel

Palast aus Gold und Tränen


Скачать книгу

die Verletzung beeinträchtigte ihn, aber er wirkte wachsam.

      »Mein Name ist Rosenrot«, sagte Rose und deutete dann auf mich. »Das ist Schneeweißchen. Wir sind … Kämpferinnen.«

      Der Mann hob eine Augenbraue. Ehe er antworten konnte, trat die schöne Dame neben ihn. »Auch ich danke Euch sehr für Eure Hilfe. Seid Ihr Reisende?«

      Wir nickten.

      »Dann seid heute Nacht an unserem Lagerfeuer willkommen, wenn Ihr mögt.« Sie lächelte verhalten. »Ruht Euch aus und pflegt Eure Wunden.«

      »Wir sind nicht verletzt.«

      »Dann esst zumindest mit uns und stärkt Euch.«

      Rose und ich blickten einander an. Hinter den Baumwipfeln im Westen ging die Sonne unter.

      »Verratet Ihr uns Eure Namen?«, fragte ich und die Fremde nickte.

      »Mein Name ist Ilena. Ich bin die Königin von Burgund.«

      Die Gemahlin des Steinernen Königs

      Ich musterte die Fremde überrascht. Ilena von Burgund? Alle Welt kannte die Geschichte der Königin, deren Mann durch den Fluch einer Fee in eine steinerne Statue verwandelt worden war und der nur durch den Kuss der wahren Liebe gerettet werden konnte.

      Und nun stand sie vor uns – eine der schönsten Frauen, denen ich bisher begegnet war. Sie war hochgewachsen mit fein geschnittenen Gesichtszügen, umrahmt von honigblonden Haaren.

      Während wir am Seeufer ein Feuer entzündeten und die Verwundeten versorgten, erfuhren wir auch die Namen ihrer Begleiter: der Schwertkämpfer hieß Viktor, der Mann mit dem Ast Etienne. Die junge Frau, die so laut geschrien hatte, hieß Lynette und war Königin Ilenas Hofdame. Die beiden Gefallenen hatten Claude und Veronique geheißen. Zu Hause hatte ich einen kleinen Tontopf mit Heilsalbe zu meinen Sachen gepackt. Nun holte ich ihn hervor, um dabei zu helfen, die Verletzten zu versorgen. Aufgrund der Vielzahl unserer Wunden schrumpfte mein Vorrat allerdings rasend schnell zusammen.

      Viktors Wunde erwies sich als schwerer, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Die Königin opferte ein frisches Kleid aus einer ihrer Truhen, die sich in einer Kutsche oben auf dem Hügel befanden. Wir schnitten den Stoff in Stücke, um daraus Verbände anzufertigen.

      Ich war beeindruckt von Königin Ilena, die sich nützlich machte, wo sie nur konnte. Ohne zu murren presste sie die klaffende Wunde an Viktors Arm zusammen, damit ich sie nähen konnte, während mein Patient auf ein Stück Holz biss, um nicht zu laut zu schreien. Es würde eine Narbe zurückbleiben, doch er würde überleben – sofern sich die Wunde nicht entzündete.

      Rose und die Hofdame, Lynette, kümmerten sich um Etiennes Kratzer. Ihn hatte der Schwan nicht ganz so schlimm erwischt.

      Als ich den letzten Stich gesetzt hatte, waren meine Hände in Blut getaucht. Gemeinsam mit der Königin ging ich ans Seeufer, wo ich mich im kalten Wasser so gut wie möglich säuberte. Erst jetzt erlaubte Königin Ilena es offenbar der Angst, sich Bahn zu brechen. Ihre Schultern begannen zu zittern. Als wir zurück zum Feuer kamen, drückte Rose ihr wortlos einen Becher heißes Wasser in die Hand, in dem getrocknete Kräuter schwammen. Hopfenblüten, erkannte ich am süßlich-herben Duft. Sehr gut. Das würde die Königin beruhigen.

      Mit Etienne machten Rose und ich uns daran, die Vogelkadaver im See zu versenken. Anschließend ließen wir nach einer heftigen Diskussion auch die Leichen von Claude und Veronique von den dunklen Fluten verschlingen. Es war zu spät, um die beiden zu bestatten, und wir hatten ohnehin keine Grabwerkzeuge dabei.

      Es war eine hässliche Arbeit und sie dauerte lange. Ich hoffte, ihre Angehörigen konnten uns irgendwann verzeihen, dass wir ihren Lieben kein anständiges Begräbnis geben konnten.

      Ilena und Lynette kümmerten sich um ihre Pferde, die den Angriff der Schwäne wie von Zauberhand unbeschadet überstanden hatten und auch nicht vor den Vogelmonstern geflohen waren.

      »Was waren das für Kreaturen?« Die Königin nippte vorsichtig an ihrem Getränk, als wir später am Lagerfeuer saßen. Ihre Hofdame hatte sich bereits in den Schlaf geweint und Viktor schien auch vor sich hin zu dämmern. Nur Etienne beobachtete uns schweigend.

      »Ich weiß es nicht«, gab Rose zu.

      »Ich habe solche Wesen noch nie gesehen. Oder von ihnen gehört.« Ich durchwühlte meinen Beutel nach etwas Essbarem. Neben ein paar Rüben fand ich einen kleinen Laib Brot, den Helene erst am Vortag gebacken hatte. Ich riss ein Stück davon ab und streckte es Ilena entgegen. Sie schüttelte den Kopf.

      »Ich habe keinen Hunger.« Ihre Stimme klang dumpf.

      »Ihr solltet etwas essen.«

      »Ich muss immerzu an Veronique und Claude denken.«

      Ich seufzte und ließ den Arm sinken. Ich konnte sie verstehen. Vermutlich hatte sie noch nicht viele Menschen im Kampf fallen sehen. Schatten gruben sich in ihr Gesicht, verursacht vom Flammen­spiel des Lagerfeuers. Der Rauch trieb mir Tränen in die Augen, aber der harzige Geruch des verbrennenden Holzes besaß etwas Tröstliches. Plötzlich stellte Ilena den Becher vor sich ab und heftete ihren Blick auf uns.

      »Erzählt mir von Euch. Weshalb könnt Ihr so gut kämpfen?«

      »So verdienen wir unseren Lebensunterhalt«, sagte ich, und Rose ergänzte. »Seit mehreren Jahren. Wenn Ihr ein Problem mit einem Werwolf oder einer Koboldplage habt, können wir Euch helfen.«

      »Weibliche Hexenschlächter?«

      »Dämonenjägerinnen«, korrigierte Rose die Königin. »Wir bekämpfen magische Geschöpfe.« Nach einer kurzen Pause schob sie »Eure Majestät« hinterher.

      Königin Ilena lächelte erschöpft. »Anders als mancherorts ist Magie etwas, das in Burgund zum Leben dazugehört. Die Patin meines Gemahls ist eine Fee.«

      Feen wurden in vielen Ländern verehrt, vor allem in den Regionen südlich und westlich von Rose’ Heimat. Sie waren Wesen der Anderswelt, Geschöpfe der Luft, zauberkundig und erhaben. Das, was Hexen niemals sein würden. In all den Jahren, die Rose und ich bereits als Schneeweißchen und Rosenrot durch die Lande zogen, hatten wir nie eine Fee gejagt.

      Wir waren allerdings auch nie einer begegnet.

      »Ihr kennt eine Fee?«, fragte ich deshalb fasziniert.

      Die Königin lächelte. Täuschte ich mich, oder huschte auch ein bitterer Ausdruck über ihre Züge? »Jaharyde ist die Patronin der königlichen Familie.«

      »Haben alle Königskinder von Burgund eine Fee zur Patin?« Rose forderte Ilena mit einer Geste dazu auf, ihr den leeren Becher zu reichen, und füllte ihn erneut mit heißem Wasser.

      Die Königin schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht alle. Die Patin meiner Tochter ist ein gewöhnlicher Mensch.«

      »Warum?«

      Ilena seufzte. »Hat sich die Geschichte vom Feenfluch und dem Steinernen König nicht bis zu Euch herumgesprochen?«

      »Wir geben nichts auf Gerüchte«, erklärte Rose. »Sonst hätten wir schon längst einen Unschuldigen unter die Erde gebracht. Und ein Trollmädchen hätte einen Prinzen geheiratet.«

      Ich schmunzelte, als ich an diese verrückte Episode dachte.

      »Als der König noch ein kleiner Junge war«, erklärte die Königin, »verhängte Jaharyde einen Zauber über ihn, auf Wunsch seiner Großmutter. In der Nacht auf seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag verwandelte Alain sich in eine Marmorstatue. Sein lebendes Fleisch erstarrte zu Stein.«

      Obwohl ich die Geschichte kannte, fröstelte ich.

      »So ging der Fluch in Erfüllung«, fuhr Ilena fort. Sie blickte weiter ins Feuer. Ich hatte das Gefühl, sie konnte uns nicht ins Gesicht sehen.

      »Seine Großmutter hat sich das gewünscht?«, fragte Rose ungläubig.

      »Vielleicht nicht