Sie wollten sicherstellen, dass er seinem Herzen folgte, nicht seinem Verstand. Oder dem Rat seiner Minister.« Ilenas Stimme klang jetzt belegt. »Wir waren ungefähr ein Jahr verheiratet, als der Fluch Alain traf. Ich war gerade mit unserer Tochter schwanger geworden. Damals glaubte ich, er sei meine große Liebe.«
Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle. Ich spürte, dass es der Königin nicht leichtfiel, über ihre Vergangenheit zu sprechen, und ein Teil von mir wollte ihr sagen, dass sie nicht weiterzuerzählen brauchte. Ein anderer Teil allerdings brannte darauf zu erfahren, was damals genau geschehen war.
Auch Rose blieb stumm. Ging es ihr ähnlich?
»Ich habe ihn geküsst, doch er wachte nicht auf. Stein blieb Stein und der König eine reglose Statue, mit einem schlagenden Herz unter dem Marmor.«
»Was ist dann passiert?«, fragte Rose, ihre Stimme ein tonloses Flüstern.
»Der ganze Hofstaat hat es gesehen«, fuhr Ilena fort. »Sie sahen ihre Königin, die vor nicht allzu langer Zeit in Samt und Seide gehüllt mit ihrem wunderschönen König vor den Altar getreten war. Sie sahen, dass diese Liebe, die sie alle gefeiert und auf die sie angestoßen hatten, nicht ausreichte, ihren König zu retten. Ich hatte mir etwas vorgemacht. Alain hatte falsch gewählt.«
»Ihr habt ihn geliebt«, sagte ich, und verbesserte mich dann. »Ihr liebt ihn.«
Die Königin stieß ein kurzes, freudloses Lachen aus und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Wangen. »Es ist nicht wichtig, was ich gefühlt oder geglaubt habe. Alain war nie mein. Er hatte sein Herz bereits verschenkt.«
»An einen Mann«, sagte Rose und ich biss mir auf die Lippen.
Ilena holte tief Luft. »Ja. Valerions Kuss hat den König erlöst. Er hat ihn zurückverwandelt.«
Rose suchte mit ihren Fingern meine Hand und drückte sie. »Es … tut mir leid. Für Euch, Majestät.«
Ilena schüttelte den Kopf. »Das muss es nicht«, sagte sie fest. »Es ist niemandes Schuld. Wir waren befreundet, alle drei. Val war mein bester Freund seit Kindertagen. Und es gab einen Sommer, einen wunderbaren süßen Sommer, in dem wir glaubten, Alain könne uns beide lieben.« Sie lachte auf, es klang bitter. Mir stieg Hitze in die Wangen.
»Und er liebt uns sicher auch beide, auf seine Weise. Aber Valerion – er ist Alains Seelenverwandter.«
Ich nahm an, Ilena sei am Ende ihrer Geschichte angelangt, doch sie fuhr fort. »Wir glaubten, das Volk würde das nie verstehen, müsst Ihr wissen. Wir glaubten, ein König brauche eine Königin. Deshalb beschlossen wir damals, dass Alain mich heiraten und Valerion vergessen musste. Wir beschlossen es alle drei. Zusammen. Alain und ich heirateten und Valerion verließ den Hof. Wir glaubten, wir würden trotz allem glücklich werden, irgendwie.
Wir hatten die Rechnung ohne Jaharyde und ihren Fluch gemacht.«
»Magie.« Die Stimme von Rose troff vor Bitterkeit und Abscheu.
Die Königin jedoch schüttelte den Kopf. »In Burgund leben wir nicht in dieser abergläubischen Furcht vor Hexen und Schwarzmagiern.«
Rose schnaubte. »Ihr habt gesehen, was diese Schwäne heute angerichtet haben.«
»Ja. Doch nicht jede alte Frau, die sich auf Kräuterkunde versteht, ist eine Hexe. Und nicht jeder eigenbrötlerische Mann, der einen Raben als Haustier hält, ist Fluchwirker.«
Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich zu Rose etwas Ähnliches gesagt. Das war in der Nacht gewesen, bevor ich erfahren hatte, zu was Hexen wirklich imstande waren. Dass sie die Körper von Mädchen raubten, deren Seelen in Eisenöfen einsperrten und sich am Fleisch unschuldiger Kinder vergingen. Mir stieg die Galle im Hals empor, wenn ich an diejenige dachte, die wir jagten. Der das Zauberbuch gehörte, das Rose in ihrem Rucksack aufbewahrte. Der ich in der Feenwelt fast begegnet war. Das musste ich Rose erzählen. Aber ich wollte es nicht hier vor der Königin tun. Stattdessen kam mir eine andere Idee.
»Ihr reist zur Hochzeit am Zarenhof?«, fragte ich stattdessen.
Ilena nickte. »Ich bezweifle, dass der Zar mich wirklich hierhaben will, auch wenn wir miteinander verwandt sind.«
»Wir sind auch auf den Weg an den Hof«, sagte ich vorsichtig.
Ilena hob eine Augenbraue und Rose blickte mich überrascht an. Aber dann drückte sie erneut meine Hand. »Vielleicht können wir Euch dorthin begleiten?«, schlug ich vor. »Zusammen wäre es für uns alle etwas sicherer.« Mit dem Kopf nickte ich in die Richtung von Etienne, der inzwischen leise zu schnarchen begonnen hatte.
»Er ist mein Kutscher«, antwortete Ilena. »Er saß den ganzen Tag auf dem Kutschbock und nun am Abend dieser Kampf. Viktor und Claude sind … waren meine Leibwächter.«
»Ein Grund mehr, uns in Eurem Tross aufzunehmen.« Rose legte demonstrativ die Hand auf den Dolch an ihrem Gürtel.
Mit unbewegter Miene musterte die Königin uns. Sie hatte uns ihre Geschichte erzählt. Wenn wir wollten, dass sie uns vertraute, mussten wir uns dieses Vertrauens als würdig erweisen. Das Feuer knackte und schickte tanzende Funken wie Glühwürmchen in die Nacht, während ich mich fragte, was ich tun sollte. Dann setzte ich alles auf eine Karte. »Meine Mutter ist eine Selkie.«
Rose spannte sich an, doch Ilena schien mehr verwirrt als überrascht. »Eine Selkie? Was ist das?«
»Eine Robbenfrau. Sie leben in der salzigen See und ähneln Seehunden. Wisst Ihr, was Seehunde sind?«
Ilena nickte.
»Ihr müsst wissen, dass Selkies im Meer in der Gestalt von Seehunden leben. Aber wenn sie an Land kommen, können sie ihr Fell ablegen und Menschengestalt annehmen. Meist tun sie das nur für eine Nacht. Manchmal allerdings auch für länger.«
»Euer Vater …?«
»War Fischer. Er traf meine Mutter am Strand, mehr als einmal. Sie verliebten sich und sie beschloss, ihr Fell ganz abzulegen. Sie verließ nicht nur ihre Familie, sondern ihr ganzes Volk, um bei ihm sein zu können. Zumindest für eine Weile. Ich war noch ein kleines Mädchen, als sie uns doch verließ und ins Meer zurückkehrte.«
»Sie hat Euch verlassen?«
»Ja. Mich und meinen Vater.«
»Habt Ihr sie jemals wiedergesehen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Also endet auch diese Geschichte traurig. Seid Ihr auch eine Selkie?«
»Nein. Ich besitze kein Fell. Ich bin ein Mensch. Aber meine Mutter brachte mir ein paar Zaubertricks bei.«
Ilena klappte den Mund auf, doch ehe sie etwas sagen konnte, fuhr ich fort: »Ich habe nicht viel Macht.«
Die blauen Symbole auf meinen Unterarmen kribbelten, als wollten sie mir widersprechen.
Die Königin wandte sich mir zu, blickte kurz zu Rose und konzentrierte sich dann wieder auf mich. »Eure Geheimnisse sind bei mir sicher.« Sie wirkte ernst und aufrichtig. »Nennt mich bitte Ilena. Beide. Wir haben heute so viel durchgemacht und uns so viel anvertraut, ich glaube, wir können auf weitere Förmlichkeiten verzichten.«
»Ihr nehmt uns also auf?«, fragte ich. »In Euren Tross?«
»Hatte ich euch nicht gebeten, mich mit Du anzusprechen?«
Rose zögerte keine Sekunde. »In deinen Tross.«
Ilenas Mundwinkel zuckten kurz, dann wurde sie wieder ernst. »Was genau habt ihr am Zarenhof vor?«
Als Rose und ich eine Stunde später mit dem Reden aufhörten, schluckte Ilena schwer. »Das ist schrecklich.«
Ich nickte. Es hatte gedauert, ihr von der Kindsmörderin zu erzählen. Zwar hatten wir weder das Grimoire noch die Symbole auf meinen Unterarmen erwähnt, doch ich war endlich dazu gekommen, Rose von meiner seltsamen Begegnung in der Anderswelt zu berichten.
»Und ihr glaubt, diese Hexe wird auch auf der