Marie Louise Fischer

Michaela löst eine Verschwörung


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im Treppenhaus hinlegen, das mochte sie auch nicht.

      Oben angekommen, riß sie den Schrank auf, holte den Turnbeutel, den sie ordentlich auf einen Haken gehängt hatte, heraus, nahm sich nicht die Zeit, die Tür zuzumachen, sondern stürmte sogleich wieder hinunter.

      Sie war noch auf den letzten Stufen, als ein Klingelzeichen den Beginn des Unterrichts ankündigte. Alle Türen waren geschlossen. Aber Michaela hoffte auf ihr Glück. Die Lehrer waren ja auch nicht immer ganz pünktlich.

      Erst als sie die Tür zum Klassenzimmer aufriß, fiel ihr ein, daß sie heute eine neue Biologielehrerin bekommen sollten. Fast im gleichen Augenblick sah sie sie auch schon: eine junge, etwas mollige Frau, die im Gegensatz zu ihrem Namen – sie hieß Hartmann – sehr weich und freundlich wirkte. Sie hatte blondiertes Haar und benutzte silbernen Lidschatten und einen hellroten Lippenstift.

      „Oh, entschuldigen Sie, bitte!“ Michaela war so in Schwung, daß sie erst wenige Meter vor dem Lebrertisch stoppen konnte.

      „Du kommst reichlich spät!“ Frau Hartmann bemühte sich, ein strenges Gesicht zu machen.

      „Ich … das kommt, weil …“, stammelte Michaela.

      „Es hat ’ne Verkehrsstockung gegeben“, kam ihr Rolly, eine von den Externen, zu Hilfe.

      Die Mädchen lachten, denn sie wußten alle, daß Michaela im Haus wohnte.

      Aber Frau Hartmann wußte es nicht. In der Klasse waren die Internen, die sogenannten Stiftlerinnen, in der Minderzahl. Sie waren zu acht. Für die fünfundzwanzig anderen war das Josef-Stift ein ganz normales Realgymnasium, das sie mittags wieder verließen, um nach Hause zu gehen. Rolly, ein lang aufgeschossenes mageres Mädchen mit vorstehenden Wangenknochen und schräg sitzenden Augen, führte unter ihnen das große Wort.

      „Eine Verkehrsstockung?“ wiederholte Frau Hartmann ahnungslos. „Davon habe ich aber nichts gemerkt.“ Sie begriff nicht, warum das Gelächter noch lauter wurde.

      „Doch“, erklärte Rolly mit ernstem Gesicht, „am Prinzregentenplatz. Die Straßenbahn ist steckengeblieben.“

      „Mit solchen Behinderungen“, sagte Frau Hartmann, durch das Gepruste irritiert, „muß man immer rechnen. Es ist besser, du fährst das nächstemal fünf Minuten eher los … Wie heißt du eigentlich?“

      „Michaela … Michaela Körner.“

      Die Klasse johlte so laut, daß man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte.

      „Am besten nimmst du dein Mofa, Micky!“ schrie Rolly, wodurch sie das Gelächter noch mehr anheizte.

      „Ich weiß gar nicht, was ihr so witzig findet“, gestand Frau Hartmann hilflos.

      Michaela drückte sich rasch auf ihren Stuhl in der ersten Reihe. Die Stiftlerinnen saßen fast alle vorn, während die Externen die hintern Plätze vorzogen. Sie kämpfte mit sich, ob sie den Mund halten oder Frau Hartmann eine Erklärung abgeben sollte. Am liebsten hätten sie sich totgestellt, aber ihr Wunsch, die junge Lehrerin vor dem Spott der Kameradinnen zu retten, war stärker.

      Sie hob die Hand und sagte, ohne aufgefordert zu sein: „Das Ganze ist ein Irrtum. Ich komme gar nicht von draußen. Ich gehöre zum Internat.“

      Gerechterweise hätte die Lehrerin nun auf Rolly losgehen müssen. Aber die starrte sie grinsend aus ihren schrägen Augen so unverschämt an, daß sie es vorzog, sich an Michaela zu wenden. „Und da kommst du trotzdem zu spät?“

      „Ich hatte mein Turnzeug vergessen. Tut mir leid, ich sagte es ja schon.“ Michaela fühlte sich schlecht behandelt und schnappte ein.

      „Frau Hartmann“, meldete sich Ellen, die Klassensprecherin, zu Wort und markierte ein Gähnen, „könnten wir nicht endlich anfangen? Oder wollen Sie sich noch länger mit diesen Albernheiten aufhalten?“

      Die Lehrerin war jetzt völlig aus dem Konzept gebracht. „Natürlich … ich meine, natürlich nicht …“ Sie begann nervös in ihrem Buch zu blättern.

      Die Mädchen der 6a stellten fest: keine Eintragung ins Klassenbuch für Michaela, keine Strafarbeit, nicht einmal ein Anpfiff für Rolly und keine Zurechtweisung für Ellen.

      Frau Hartmann hatte die Achtung der Klasse schon verloren, noch bevor der eigentliche Unterricht begann.

      Frechheit siegt

      Es gab an diesem Tag dann doch nicht hitzefrei. Aber Michaela, Pieps und Babsi packten gleich nach dem Mittagessen ihr Schwimmzeug zusammen und liefen zum Prinzregentenbad hinüber. Die anderen aus der Gruppe zogen es vor, im Garten zu bleiben.

      Das große Bad, auf dessen zugefrorenem Becken sie im Winter Schlittschuh liefen, war um diese Zeit fast überfüllt. Angestellte aus den umliegenden Büros, Läden und Redaktionen nutzten die Mittagspause zu einer Erholung im Grünen. Es war ein Glück, daß die meisten auf den Holzplanken lagen und sich von der Sonne braten ließen, um ihre Bräune zu erhalten. Im Wasser war immer noch Platz.

      Die drei Mädchen übten Kopfsprung, schwammen, spritzten sich an und spielten Wasserball. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie erschöpft, aber abgekühlt wieder an Land kletterten. Sie streckten sich im Schatten einer Ulme aus und schmökerten. Zwischendurch blickten sie immer wieder über die grünen Rasenflächen zum Wasser oder blinzelten zur Sonne hinauf. Sie fühlten sich alle drei rundherum wohl.

      Michaela entdeckte Rolly zuerst. Sie wurde von Elsa und Gerda begleitet, zwei ihrer Bewunderinnen, und sah, mager, wie sie war, und noch gänzlich ohne Busen, ziemlich lächerlich in ihrem geblümten Bikini aus. Durch die Reihen der Sonnenanbeter schlendernd, sahen sie sich suchend um.

      „Ich glaube, Rolly kommt zu uns“, sagte Michaela.

      Babsi stöhnte. „Das hat uns gerade noch gefehlt!“

      „Benehmt euch“, mahnte Pieps, „sie kann ja nichts dafür, daß sie eine Nervensäge ist.“

      „Elsa und Gerda sind noch schlimmer“, meinte Babsi, „die beten ihr alles nach.“

      „Kotz, kotz!“ Michaela rollte sich auf den Bauch.

      „Da seid ihr ja!“ rief Rolly von weitem. Sie kam, ihr Badetuch schwenkend, von ihren Trabantinnen gefolgt, auf sie zu.

      Ohne eine Aufforderung abzuwarten, setzte sie sich zu ihnen.

      „Das ist ’ne Affenhitze, was?“ eröffnete sie die Unterhaltung.

      „Du sagst es.“ Michaela blickte nicht von ihrem Buch auf.

      „Wart ihr schon im Wasser?“ fragte Babsi.

      „Nein!“

      „Worauf wartet ihr?“

      Aber dieser Versuch, Rolly und ihren Anhang loszuwerden, fruchtete nicht.

      „Später“, wehrte Elsa ab.

      Rolly ging jetzt geradewegs auf ihr Ziel los. „Was haltet ihr von der ,Weichen‘?“ fragte sie.

      Alle wußten sofort, daß mit diesem Spitznamen nur Frau Hartmann gemeint sein konnte.

      „Ganz nett“, behauptete Michaela.

      Rolly schrie auf. „Dich hat’s ja wohl!“

      Michaela beharrte auf ihrer Meinung. „Jedenfalls habe ich schon viel schlimmere Typen erlebt.“

      „Sehr richtig“, unterstützte Babsi die Freundin, „sie hat die besten Absichten.“

      „Die läßt doch alles mit sich machen!“ rief Elsa.

      „Und wie sie uns gefragt hat, wofür wir uns am meisten interessieren und so“, sagte Gerda, „das war doch zum Piepen.“

      „Die will sich an uns ranschmeißen!“ behauptete Rolly.

      „Na, und was ist dabei, wenn sie sich um ein gutes Verhältnis zu uns bemüht?“ fragte Michaela.