Leopold von Sacher-Masoch

Katharina II. Russische Hofgeschichten


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Fürstin erhob sich langsam.

      „Rasch!“ Die Kaiserin ergriff die Feder, welche ihr die Daschkow zögernd reichte, und setzte mit einem energischen Zuge ihren Namen unter das Todesurteil des Geliebten.

      „Du wirst es aber nicht vollziehen lassen, du kannst es nicht!“ rief die Fürstin.

      „Und warum nicht, Kleine?“

      „Panin war bei mir“, fuhr die Daschkow fort, „Mirowitsch rechnet zuversichtlich auf Gnade.“

      Katharina zuckte die Achseln. „Ich könnte ihn begnadigen“, sprach sie lächelnd, „ihn verbannen, aber wird er leben können ohne mich? Und könnte er es, dann ließe ich ihm das Haupt erst recht mit wahrer Lust herunterschlagen.“

      „Du kannst noch scherzen!“

      „Nun denn, Ernst, Katinka“, fuhr die Kaiserin mit strengem, unerbittlichen Gesichte fort. „Man klagt uns des Mordes an in ganz Europa, man beschuldigt uns des Einverständnisses mit Mirowitsch, wenn ich ihn schone, bestätige ich den Verdacht. Ich muß ihn opfern.“

      „Und wenn du dich in seinem Charakter irrst“, warf die Daschkow ein, „er hofft auf Gnade. — Wenn er sich getäuscht sieht? Wenn er auf dem Schafotte Enthüllungen machte?“

      „Auch das ist zu bedenken“, sprach die Kaiserin, „er liegt nun zwei Monate in Ketten, und es muß erbärmlich kalt in einem Kerker sein. Wenn seine Gluten verloschen sind, wenn sein wollüstiger Rausch verflogen ist? — —

      Die Kaiserin lehnte sich zurück und hob die Augen zum Plafond empor. „Ich möchte ihn sehen — ich sollte ihn sehen. Der arme Teufel! Nichts kann ihn retten, er muß sterben, aber er muß bis zum letzten Augenblick glauben, daß ich ihn liebe, daß das Ganze nur ein grausames Spiel ist, und in diesem Glauben muß ihn das Beil des Henkers treffen.“

      VIII.

      Es war die Nacht vor der Hinrichtung.

      Mirowitsch lag auf dem feuchten Strohlager seines finstern kalten Kerkers, das Antlitz zur Erde, und seltsame Gedanken, seltsame Empfindungen zogen durch sein Hirn, seine Brust. Er sah die Mutter, die ihm am winterlichen Feuer die alten Geschichten seines Volkes erzählte und wunderbare Märchen und ihm Kosakenlieder sang voll wildem Freiheitssinn und Lebensübermut, er sah den alten Diener, der ihn zum Regimente geleitet und ihn bewacht hatte, wie seinen Sohn, der den jungen Fähnrich nach einer in Trunk und Spiel durchwachten Nacht am Morgen wie ein Vater schalt und meisterte. Beide lagen längst im Grabe, und er war allein, allein im Kerker, in Ketten, und auch sie hatte ihn verlassen, die er bis zum Wahnsinn liebte, für die er zum Rebellen, zum Mörder geworden war. —

      — Nein — sie nicht.

      Die Wand rasselte und tat sich auf, ein Luftzug kam über ihn, ein Gewand rauschte, er richtete sich auf. Katharina II. stand an seinem Lager und er — er lag jetzt zu ihren Füßen und küßte diese kleinen Füße, und seine Tränen flossen auf sie herab.

      Die Kaiserin war durch eine geheime Tür in seinen Kerker getreten, sie hielt eine Fackel in der Hand, welche sie in einer eisernen Schließe an der Wand befestigt, um sich dann zärtlich über ihn zu beugen.

      „Es ist kalt hier“, sprach sie, indem sie fröstelnd den kostbaren Pelz über ihrer Brust zusammenzog. „Du bist so bleich. Wie ist dir, mein Freund?“

      „Gut, gut“, sagte er leise und lehnte sein Haupt an ihr Knie, seine Augen glühten wie im Fieber. „Nur manchmal —“

      „Was sagst du?“

      „Manchmal faßt mich doch ein Schauer“, fuhr er fort, „ich bin so lange schon im Kerker in schweren Ketten und verurteilt, und du hast das Urteil bestätigt. Das Spiel ist furchtbar ernst geworden, Katharina. — Ich habe mich, wie du gewollt, ganz in deine Hand gegeben. Da hast du mich nun, wie ein Ding. Ja, schlimmer noch, denn das Ding hat kein Empfinden, keine Gedanken, keine Einbildungen. Und ich bilde mir mancherlei ein. Ich habe dich so lange nicht gesehen, du bist mir fremd geworden, und mein Leben und Tod ist bei dir.“

      Die Kaiserin schwieg.

      „Liebst du mich noch?“ begann Mirowitsch wieder. „Oh, wenn du mich satt bist und kein Erbarmen hast! Und doch — dann — dann lieber sterben.“

      Katharina hob ihren Pelzüberwurf graziös in die Höhe, ließ sich auf dem Stroh nieder und nahm das Haupt des Unglücklichen sanft in ihren Schoß. Es war ein wollüstiges Grauen, ein Kitzel für ihre weltmüden Nerven, zu denken, daß dieses Haupt, das so wahnsinnig von ihr träumte, das jetzt noch zwischen ihren Händen glühte, morgen durch das Beil des Henkers fallen sollte.

      „Wir spielen ein furchtbares Spiel“, sprach sie dann, „aber das Spiel muß zu Ende gespielt werden. Ich kann es dir nicht ersparen. Man klagt mich laut des Einverständnisses mit dir an. Ich darf dich erst auf dem Schafott begnadigen.“

      Mirowitsch sah sie entsetzt an, mit großen Augen wie ein Kind.

      „Fürchte nichts“, rief sie und zog ihn höher an ihre Brust.

      „Verrate mich nicht“, flehte er mit zitternder Stimme. „Wenn du mich töten mußt, sag’ es, ich sterbe gern für dich.“

      Die Kaiserin lächelte sonderbar, und leise wie in Gedanken senkte sie die wollüstig feuchten Lippen zu den seinen und küßte sie wieder. Er fieberte in ihren Armen, die düstere Wölbung des Kerkers schwand für einen Augenblick.

      „Steige mutig die Stufen zu dem Blutgerüst empor, mein Freund, denn ich will nicht, daß man sich an deiner Todesangst ergötzt. Sei ruhig, ich selbst bringe dir Gnade, und statt des weißen Tuches winkt von weitem schon mein Hermelin.“ Die Kaiserin streichelte ihn, sah ihm lange stumm in das Auge und erhob sich dann.

      Mirowitsch stützte das glühende Gesicht in beide Hände.

      „Wenn du mich täuschen könntest“, murmelte er, „wärst du teuflisch grausam.“

      „Ein Nero im Reifrock“, lachte die Kaiserin, aber ihr Lachen klang so hölzern, gezwungen, daß eine entsetzliche Angst über ihn kam, er warf sich vor ihr nieder und umfaßte verzweifelt ihre Knie.

      „Mir schaudert, Herrin, wenn du mir nicht gnädig bist — wenn du mich töten läßt. Ich zittere vor dir. Erbarme dich!“

      Katharina II. lachte. „Es ist bloß kalt und feucht hier“, rief sie. „auch mich fröstelt. Ich werde gehen.“ Kaltblütig machte sie sich von ihm los und nahm die Fackel. Seine Hände sanken herab, er kniete vor ihr stumm, apathisch, wie der Sklave vor der Gebieterin, der Verbrecher vor seinem Richter.

      „Ich leide furchtbar, Katharina“, flüsterte er, „aber ich leide ja für dich.“

      In der Tür wendete sie sich noch einmal zu ihm.

      „Du sollst bald erlöst werden“, sprach sie milde, „leb wohl.“

      „Leb wohl!“

      IX.

      Der Tag brach an.

      Tiefer Schnee lag auf den Dächern und Straßen, die Sonne schwamm als eine rote Dunstkugel in dem weißen Himmel.

      Das Kommando, welches Mirowitsch zur Hinrichtung abholte, fand ihn schlafend, ein heiteres Lächeln verklärte sein Gesicht. Er hörte die Kolben rasseln und richtete sich auf. Aus seinen Träumen schwebte das Bild des wahnsinnig geliebten Weibes in die furchtbare Wirklichkeit herüber und erfüllte sein Herz mit süßer Hoffnung. Sie konnte nicht so entsetzlich grausam sein, sie konnte ihn nicht verraten.

      Mirowitsch stand auf und verließ festen Schrittes seinen Kerker, ihm winkte Glück und Freiheit. Er grüßte freudig die scharfe Luft, die seine Wange kühlte, das rosige Licht, den heimatlichen Schnee.

      Aufrecht, das Haupt stolz erhoben, ein Lächeln um die Lippen, schritt er im Zuge, den rauhen Soldatenmantel um die Schulter.