gerne das große Wort führt. Das Kleinhirn, unser innerer Dirigent, wird versuchen, jegliche Komposition mit dem Orchester einzustudieren. Wenn wir es daher versäumt haben, das Reiten als Kinder zu erlernen, müssen wir mit unserem bewussten Verstand eine Komposition erschaffen, die nicht nur von unserem Kleinhirn in die Bewegung eines reitenden Menschen umgesetzt werden kann, sondern auch vom Kleinhirn unseres Pferdes verstanden werden kann. Auch beim Pferd funktioniert das neuronale Steuerungsteam in völlig analoger Weise wie beim Menschen. Ein isolierter Druck einer Schenkel- oder Zügelhilfe auf einen Punkt des Pferdekörpers läuft als sensorische Meldung in der Großhirnrinde des Pferdes ein, wird dort verstanden (oder auch nicht) und in eine Komposition für den Pferdekörper umgesetzt. Selbst wenn das Pferd gelernt hat, was das Klopfen und Zupfen bedeuten soll – es ist in derselben Situation wie der Jogger, der beim Laufen sein Mobiltelefon bedienen muss: Das Verstehen, Verarbeiten und Umsetzen eines Einzelsteuerbefehles blockiert die rhythmische Schlängelbewegung der Gangmuster-Schaltzentren. Daher wirkt das Reiten mit Schenkel- und Zügelhilfen immer hölzern und grobmotorisch. Eine synchrone Bewegung mit dem Pferd ist nur dann möglich, wenn die beiden Dirigenten direkt über die unterbewusste Propriozeption zusammenarbeiten, wenn also Mensch und Pferd ihre Rumpfbewegungen koppeln.
Die Synchronisation mit der Pferdebewegung verbessert sich daher, wenn der Reiter lernt, die Dominanz seiner Großhirnrinde bei der Bewegungssteuerung bewusst zu unterdrücken. Eine Methode, dies zu erreichen, hängt mit der Fokussierung des Blickes zusammen: Seit der Zeit der Urwirbeltiere reißt unser Großhirn sofort die Kontrolle an sich, sobald wir etwas mit dem Blick fixieren. Umgekehrt hält es sich zurück, wenn wir unseren Blick nicht auf ein bestimmtes Objekt fokussieren, sondern bewusst unser gesamtes, auch peripheres Blickfeld wahrnehmen. In einigen Reitlehren, beispielsweise dem „Reiten aus der Körpermitte“ von Sally Swift spielt daher der „weiche“ Blick eine wichtige Rolle (Swift, 1989).
Der Intendant – das limbische System
Das limbische System erzeugt die Empfindungen und ist daher für die Lernfähigkeit entscheidend, da es allem Erlebten einen Sinn verleiht. Schenkel- und Zügelhilfen werden vom Pferd durch Konditionierung erlernt und bewusst über die Großhirnrinde verarbeitet. Daneben existiert die Kommunikation über Körperwahrnehmung, die auch und mitunter vollständig unbewusst erfolgen kann.
In der Philharmonie der neuronalen Steuerung gibt es den Komponisten (die Großhirnrinde), den Dirigenten (das Kleinhirn) und das Orchester, in dem die Musiker (die Gangmuster-Schaltzentren) virtuos ihre Instrumente (die einzelnen Muskelgruppen) bedienen – und es gibt einen Intendanten, der den Spielplan macht. Dieser Intendant ist das sogenannte limbische System, ein Gehirnteil, der ebenfalls bereits bei den primitivsten Wirbeltieren angelegt ist. Hier (und nicht mit unserem Verstand) entscheiden wir und alle anderen Wirbeltiere, was wir als gut oder schlecht empfinden und welche Ereignisse in unserem Gedächtnis abgespeichert werden. Zwei Strukturen im limbischen System sind hierfür zuständig: Die als Amygdala („Mandelkern“ nach der anatomischen Form) bezeichnete Gehirnregion ist der Sitz von Emotionen und Motivation, hier wird jedes im Gehirn als „neu“ oder „wichtig“ registrierte Ereignis dahingehend bewertet, ob es angenehm oder unangenehm ist. Auffällige Ereignisse werden zusammen mit dieser Bewertung von der Amygdala an eine Gehirnstruktur weitergeleitet, die als Hippocampus bezeichnet wird (der Name leitet sich ab von „Seepferdchen“, da diese Gehirnstruktur eine ähnliche Form aufweist). Der Hippocampus hat die Funktion eines Archivars: Hier wird entschieden, welche Inhalte im Gedächtnis gespeichert werden, wo diese Inhalte abgelegt werden und wie sie wieder abgerufen werden können. Das Gedächtnis funktioniert im Prinzip wie ein Puzzle – alle Eindrücke, Bilder, Geräusche oder Gerüche, die gleichzeitig bei einem als „wichtig“ bewerteten Ereignis registriert wurden, werden in der jeweils dafür zuständigen Gehirnregion abgelegt. Nehmen wir auch nur einen dieser Eindrücke erneut wahr, wird durch die Tätigkeit des Hippocampus erneut das ganze Bild aus den Puzzlestücken zusammengesetzt. Wir riechen zum Beispiel Zimt und erinnern uns an das Weihnachtsfest bei unseren Großeltern. Diese Fähigkeit, beliebige Eindrücke zu verknüpfen, zu bewerten und im Gedächtnis abzuspeichern, macht das limbische System mit Amygdala und Hippocampus zu derjenigen Gehirnregion, die bei allen Wirbeltieren das Lernen neuer Zusammenhänge ermöglicht.
Lernen durch Konditionierung
Wenn es darum geht, dass ein Pferd etwas lernen soll, wird meist das Lernmodell der Konditionierung herangezogen. Unsere Zügel- und Schenkelhilfen sind Signale, die einem Pferd zunächst nichts sagen. Damit ein Pferd auf einen Schenkeldruck gegen seine Brustkorbwand vorwärtsgeht, muss im Pferdehirn eine Assoziation hergestellt werden zwischen einer spontanen Aktivität (Vorwärtsgehen), einem Signal (Schenkeldruck) und einer positiven (Lob, Futter) oder negativen Verstärkung (Aufhören des hoffentlich nicht allzu schmerzhaften Schenkeldruckes). Durch die positive oder negative Verstärkung gewinnt das Signal so viel Bedeutung für das Pferd, dass es im Gedächtnis zusammen mit den assoziierten Eindrücken gespeichert wird. Um in der Pferdeausbildung nicht allzu lang auf ein gewünschtes spontanes Verhalten warten zu müssen, wird das „Vorwärtsgehen“ anfangs meist durch einen Stimulus ausgelöst, der beim Fluchttier Pferd natürlicherweise diese Reaktion hervorruft (ein Wedeln mit einer Gerte, einem Seil oder Ähnlichem). Das erste Training der Schenkelhilfe bei einem jungen Pferd erfolgt dann, indem der natürliche Stimulus des Fluchtverhaltens (wedelnde Gerte) und der Reiterschenkel gleichzeitig eingesetzt werden, so lange bis das Pferd die Assoziation verstanden hat und die Puzzlestücke der treibenden Hilfen zusammengesetzt sind: „Berührung an der Brustkorbwand bedeutet, dass ich (schneller) vorwärtsgehen soll, wenn ich es sofort tue, gibt das Alien auf meinem Rücken Ruhe, wenn ich es nicht tue, wird das Alien ungeduldig und nimmt auch noch die Gerte dazu.“
Wir können mit Geduld und geschickt aufgebautem Training beliebige Signale mit den erwünschten oder unerwünschten Aktivitäten eines Pferdes assoziieren. Die Parade als verhaltende Zügelhilfe hat in allen Reitweisen ihren Ursprung im Anbindetraining des jungen Pferdes, das dabei lernt, dass Zug oder Druck am Kopf „hierbleiben“ bedeutet und dass Widerstand dagegen zwecklos oder sogar schmerzhaft ist. Wir brauchen diese konditionierten Signale, um mit einem Tier, das uns an Körperkraft zehnfach überlegen ist, sicher umgehen zu können. Zügel- und Schenkelhilfen als konditionierte Signale sind Anweisungen an das Pferd, eine bestimmte Aktivität zu tun oder zu lassen. Wie alle Anweisungen sollten sie jedoch nicht ständig wiederholt werden. Sie sind daher nicht dazu geeignet, einem Pferd zu erklären, wie es sich synchron mit seinem Reiter bewegen soll. Fragen Sie sich selbst, wie und wann Anweisungen angebracht sind: Würden Sie gerne mit einem Vorgesetzten zusammenarbeiten, der ihnen jeden einzelnen Buchstaben diktiert und dabei vielleicht noch ungeduldig hinter ihnen steht und jeden Tippfehler moniert? Oder lieber mit einem Vorgesetzten, der ihnen nur einfach den Auftrag gibt, ein Mahnschreiben an die Firma Spät zu schicken, die mit der Lieferung in Verzug ist? Oder vielleicht noch lieber mit einem Vorgesetzten, der Sie nur dann an das Mahnschreiben erinnert, wenn Sie es tatsächlich einmal vergessen haben? Pferde, die ständig mit Zügel- und Schenkelhilfen geritten werden, haben alle den ersten Typ Vorgesetzten. Wenn dieser Reiter oder Vorgesetzte auch noch zu Ungeduld neigt, besteht ein hohes Risiko, dass das Pferd oder der Mitarbeiter das Krankheitsbild einer Depression entwickelt, welches im menschlichen Berufsleben heutzutage auch als „Burn-out“ bezeichnet wird. „Erlernte Hilflosigkeit“, also die Unmöglichkeit, eine unangenehme Einwirkung durch eigenes Handeln zu beenden, ist einer der stärksten bekannten Auslöser für die Entwicklung depressiver Erkrankungen.
Wir brauchen Anweisungen oder Befehle in Form konditionierter Hilfen, um als Menschen mit einem Pferd auch dann eindeutig kommunizieren zu können, wenn das Pferd abgelenkt, aufgeregt oder an anderen Dingen interessiert ist. Befehle sind aber kein Ersatz für Kommunikation. Daher stellt sich die Frage, wie Kommunikation zwischen zwei Wirbeltieren ganz grundlegend funktioniert.
Kommunikation
Dazu muss man zunächst die Frage stellen, wie die Kommunikation im Körper eines Wirbeltieres erfolgt. Die Amygdala im limbischen System eines Säugetiergehirns beurteilt