gelebt hat, etwas von den Wundern der Wälder wissen? Nein, nein, Junge, jener kleine Wasserstrom spielt zwischen den Bergen seit der Schöpfung der Erde, und kein Dutzend weißer Menschen hat ihn je gesehen. Der Fels bildet zu beiden Seiten des Falles, wie ein Gemäuer, ein Halbrund, und bis zu einer Höhe von fünfzig Fuß vom Boden steht ein Gesims über dem anderen; saß ich dann am Fuß des ersten Aufpralls, so sahen meine Hunde nicht größer als Kaninchen aus, wenn sie in die Höhlen hinter dem Wasserguß hinunterliefen. Meiner Ansicht nach, Junge, ist dies der schönste Anblick, dem ich je in den Wäldern begegnet bin, und ich darf wohl sagen, daß niemand weiß, wie oft sich die Hand Gottes in einer Wildnis blicken läßt, wenn er nicht ein Menschenalter darin zugebracht hat.«
»Was wird aus dem Wasser? In welcher Richtung fließt es? Zahlt es dem Delaware seinen Tribut?«
»Wie?« fragte Natty.
»Fließt das Gewässer in den Delaware?«
»Nein, nein, es ist ein Tropfen für den alten Hudson und hat eine lustige Zeit, bis es sich durch das Gebirge Bahn gebrochen. Ich habe manche lange Stunde auf einem Felsvorsprung gesessen, Junge, und während ich die an mir vorbeischießenden Wasserblasen betrachtete, machte ich mir so meine Gedanken, wie lange es wohl dauern dürfte, ehe dieses Wasser, das für die Wildnis gemacht zu sein scheint, den Kiel eines Schiffes bespült und mit den Wogen des Salzwassers umhertreibt. Die Stelle ist sehr geeignet, einen Menschen feierlich zu stimmen. Man kann gerade in das Tal hinuntersehen, das östlich von der Hochspitze liegt, und wo im Herbst tausend und aber tausend Morgen Waldes in ihren gleich zehntausend Regenbogen wechselnden Farben die Seiten der tiefen Gebirgseinschnitte bekleiden. Das ist ein Schauspiel, wo die Hand des Menschen noch nicht in die Ordnung der göttlichen Vorsehung eingegriffen hat.«
»Ihr werdet ganz zum Dichter, Lederstrumpf«, rief der Jüngling.
»Wie?« fragte Natty.
»Die Rückerinnerung an jene Szenerie hat Euer Blut erwärmt, alter Mann. Wie viele Jahre ist es, seit Ihr den Ort zum letztenmal gesehen?«
Der Jäger gab keine Antwort, sondern neigte sein Ohr gegen die Wasserfläche, eine Stellung, in welcher er mit verhaltenem Atem verblieb und mit großer Spannung aufhorchte, als vernehme er entfernte Töne. Endlich richtete er den Kopf wieder auf und sagte:
»Hätte ich die Hunde nicht eigenhändig mit frischen, starken hirschledernen Riemen angebunden, so wollte ich auf die Bibel schwören, daß ich den alten Hektor auf dem Gebirge bellen hörte.«
»Nicht möglich!« entgegnete Edwards. »Es ist noch keine Stunde, daß ich ihn in seiner Hütte sah.«
Inzwischen hatte sich auch Mohegans Aufmerksamkeit den Tönen zugewendet; aber obgleich der Jüngling mit stummer Achtsamkeit aufhorchte, so konnte er doch nichts als das Brüllen einiger Rinder auf den westlichen Bergen unterscheiden Er sah den alten Mann an, während Natty, die Hand ans Ohr gehalten, um die Schallfläche zu vergrößern, dasaß, und Mohegan, mit vorwärts gebeugtem Körper und bis zur Höhe seines Gesichtes ausgerecktem Arm den Zeigefinger erhob, um Stille zu gebieten Endlich lachte Edwards laut hinaus über die Aufmerksamkeit seiner beiden Begleiter auf die, wie es ihm dünkte, erträumten Töne.
»Lacht, wie Ihr wollt, Junge«, sagte Lederstrumpf, »die Hunde sind draußen und jagen einem Hirsch nach. In einer solchen Sache trügt mein Ohr nicht Ich wollte es mich ein Biberfell kosten lassen, wenn es anders wäre. Nicht, als ob ich mich um das Gesetz kümmerte; aber das Wildbret ist gegenwärtig schlecht und die dummen Teufel rennen sich für nichts und wieder nichts das Fleisch von den Beinen ab. Hört Ihr sie noch immer nicht?«
Edwards fuhr auf, als ein deutlicher Ton an sein Ohr schlug, der ursprünglich durch dazwischenliegende Berge gedämpft schien, dann aber in wirrem Echo von den Felsen widertönte, an denen die Hunde vorbeijagten. Endlich erhob sich ein tiefes und hohles Bellen, das gerade aus dem unmittelbar am Seeufer gelegenen Wald hervorbrach. Die Laute wechselten mit wunderbarer Schnelligkeit, und während die Augen des jungen Mannes an dem Saume des Wasser hinstreiften, weckte ein Rauschen in dem nahe liegenden Erlen-und Hartriegelgebüsch seine Aufmerksamkeit. Im nächsten Augenblick wurde ein edler Bock sichtbar, der in die Wellen des Sees eintauchte. Ein lautes Geheul folgte, worauf Hektor und die Slut durch die Öffnung im Gebüsche schossen und gleichfalls in den See stürzten, die breite Brust mutig dem Wasser preisgebend.
XXVII
Oft sucht die Spur er in bewegter Flut
Zu bergen, kühlend das erhitzte Blut.
Thomson
»Ich wußt’ es ja – ich wußt’ es ja!« rief Natty, als er des Hirsches und der Hunde ansichtig wurde. »Der Bock ist ihnen durch den Wind gelaufen, und da konnten sich die armen Schelme nicht mehr halten. Aber ich muß ihnen diese Gelüste vertreiben, sonst bringen sie mich in Ungelegenheiten. Herein! Herein! – Ans Land mit euch, ihr Schufte! ans Land mit euch – wollt ihr? – Laß ab, alter Hektor, oder ich will dir das Fell mit dem Ladestock hecheln, wenn ich über dich komme.«
Die Hunde erkannten die Stimme ihres Herrn und kehrten, nachdem sie in einem Kreis herumgeschwommen waren, als gäben sie nur ungern eine Jagd auf, die sie nicht fortzusetzen wagten, ans Land zurück, wo sie die Luft mit ihrem Heulen erfüllten.
Inzwischen war der geängstigte Hirsch weit über die Hälfte der zwischen dem Ufer und den Booten liegenden Entfernung in den See hineingeschwommen, ehe er in seiner Angst die neue Gefahr bemerkte. Aber bei dem Klang von Nattys Stimme hielt er an und schien einige Augenblicke willens zu sein, zurückzueilen und den Hunden Trotz zu bieten. Der Rückzug in dieser Richtung war ihm jedoch wirksam abgeschnitten, weshalb er eine Wendung machte und schräg nach dem Mittelpunkt des Sees schwamm, um am westlichen Ufer ans Land zu kommen. Als der Bock an den Fischern vorbeischwamm und dabei die Nase hoch in die Luft hob, während sein schlanker Hals das Wasser, wie der Schnabel einer Galeere, kräuselnd vor sich her trieb, begann Lederstrumpf in seinem Kahn unruhig zu werden.
»Welch ein edles Geschöpf!« rief er. »Seht nur das herrliche Geweih! Man könnte alle seine Kleider an den Stangen aufhängen! Laßt sehen – der Juli ist der letzte Monat, und das Fleisch kann nicht mehr so gar übel sein.«
Während dieser Worte hatte Natty mechanisch das innere Ende des Taus, das als Kabel diente, an ein Ruder befestigt, und nun sprang er plötzlich auf, warf diese Boje weg und rief:
»Streich aus, John! drauf los! das Tier ist ein Narr, daß es einen Menschen in dieser Weise in Versuchung führt.«
Mohegan warf die Halteseile von Edwards Boot aus dem Kahn, und mit einem Ruderschlag schoß das leichte Rindenfahrzeug, einem Meteor ähnlich, über das Wasser hin.
»Halt!« rief Edwards. »Denkt an das Gesetz, meine alten Freunde! Man kann uns vom Dorf aus sehen, und ich weiß, daß Richter Temple entschlossen ist, unnachsichtlich gegen alle zu verfahren, die ein Tier außerhalb der Zeit erlegen.«
Die Mahnung kam jedoch zu spät. Der Kahn war bereits weit von dem Boot entfernt, und die beiden Jäger folgten zu emsig ihrer Beute, um auf die Stimme des Warnenden zu hören.
Der Bock befand sich nun etwa fünfzig Ellen von seinen Verfolgern, durchschnitt rüstig das Wasser und schnaubte gewaltig vor Angst und Anstrengung, während das Kanu über die Wogen hin zu tanzen schien, wie es sich auf den Wellen hob und senkte. Lederstrumpf erhob seine Büchse, versah die Pfanne mit neuem Zündpulver und stand zweifelnd da, ob er auf sein Opfer Feuer geben solle oder nicht.
»Was meinst du, John – soll ich oder soll ich nicht?« begann er. »Doch nein, das wäre ein gar zu armseliger Vorteil über das dumme Ding; es hat seinem eigenen Naturtrieb zufolge, dem der See ein Spiel ist, seine Zuflucht zum Wasser genommen; rudre also wacker drauf los, John. Wir wollen dem Bock eine Möglichkeit des Entrinnens lassen; wir können ihn fangen, obgleich er sich winden wird wie eine Schlange.«
Der Indianer lachte