Lachen:
„Aber sicher doch. Dir zuliebe. Weil du am sexysten bist!“ Er drehte sich um und ging Richtung Werkraum, frei und cool und stolz. Das mag ich. Ich mag ihn am liebsten von hinten. Ich ging ins Klassenzimmer, setzte mich in meine Bank und arbeitete in aller Ruhe. So ein kleiner Krach zwischendurch ist gar nicht so dumm, vor allem, wenn man gewinnt. Ich schaute abwechselnd in mein Schwedischbuch und zur Glastür, weil ich auf Kristian wartete.
„Warum weinte Lisa?“ – „Hätte ihr jemand helfen können?“ – „Was hättest du an Lars’ Stelle gemacht?“ Die Fragen paßten in den Text wie die Knopflöcher in eine Bluse. Ich malte alle Antworten hinein wie eine Reihe gleicher Knöpfe. Es war leicht. „Du“ meinte hier glücklicherweise nicht Loulou, sondern den Verfasser des Schulbuchs. ‚Was hätte der Verfasser des Schulbuchs an Lars’ Stelle gemacht?‘ Das konnte man sich leicht ausrechnen. Nur weil ich so denken kann, geht für mich in der Schule alles leicht wie ein Tanz.
Für Göran geht überhaupt nicht alles wie ein Tanz. Er versucht, selbst zu denken, und das geht selten gut. Jetzt dachte er wohl, daß Kristian und ich einen wichtigen Krach hatten, und daß es für ihn am einfachsten wäre, wenn wir das untereinander regelten. Da hätte er ausnahmsweise mal richtig gedacht. Aber als er dann sah, wie Kristian mit einem Messer und Schleifpapier auf das Brett zwischen den Kleiderhaken losging, da glaubte er wohl, daß er nun eingreifen müßte. Er machte die Tür auf und fragte, was das zu bedeuten habe.
„Hier haben Vandalen gehaust, und ich wollte das wieder wegmachen. So kann es ja wohl nicht bleiben. Das siehst du doch ein, nicht wahr?“ sagte Kristian überlegen, und Göran nickte dankbar, denn er wird immer von den Putzfrauen ausgeschimpft, wenn wir Schmutz oder etwas kaputt gemacht haben, sie kriegen ihn leicht dran. Er kann sich überhaupt nicht wehren, an ihm ist nichts Böses. Das ist sein Fehler – er macht statt dessen andere böse, wenn er so ist.
Als Kristian fertig war, kam er wieder herein, setzte sich und schrieb in sein Buch: „Weil sie eine Heulsuse war“ – „Sie selber, wenn sie sich ein bißchen zusammengenommen hätte“ – „Sie gehen lassen“. Er ist nicht immer so, aber er kann keine Gelegenheit auslassen, Göran zu ärgern. Ich verstehe nicht, woher er die Energie nimmt. Göran ist langweilig. Er wird bestimmt nur mit rot an den Rand schreiben, daß Kristian in ganzen Sätzen antworten sollte.
Ich war bald fertig mit meinem schönen Band von ordentlichen Antworten. Ich schreibe gerne schön. Das ist fast wie Sticken. Ich hatte also reichlich Zeit, durch die Glastür in den Flur hinauszuschauen und zu bewundern, was Kristian für mich gemacht hatte. Er hatte zwischen den Haken eine total saubere Stelle freigeschliffen. Ich schrieb verschnörkelte Luftbuchstaben drauf, aber nur mit den Augen und in Gedanken. Ich schrieb über mich und Kristian. Ich werde nie jemandem erzählen, was für Wörter das sind. Ich weiß sowieso, was auf der leeren Stelle steht, die hell und sauber leuchtet. Hoffentlich dauert es, bis sie wieder gebeizt wird.
Als die Schule aus war, tat ich so, als ob ich meinen Tisch aufräumen wollte. Ich wollte nicht mit Åsa und Camilla zusammen gehen, sie wohnen in meiner Richtung. Ich halte es nicht aus, immer jemanden um mich zu haben. Camilla hat einmal gesagt, daß sie gerne immer so mittendrin wäre, wie sie glaubt, daß ich bin. Das mag sein, sie wird ja immer grauer, je weiter zum Rand hin sie kommt. Aber ich will hin und wieder meine Ruhe haben.
Der Tisch
Mein Heimweg war zugeschneit. Der Boden war weiß und in der Luft wirbelten die Flocken, die immer weiter fielen und fielen. Ich blieb stehen und hob das Gesicht. Da bekam ich kleine Küßchen, die gleich wieder schmolzen, eins an den Haaransatz, eins auf die Nasenspitze und zwei auf die linke Wange. Als ich so dastand und auf die nächsten wartete, fühlte ich mich plötzlich wie ein kleiner fröhlicher Eisstern in all dem großen Weißen. Ich kniff die Augen zu, um es richtig zu spüren, aber da verschwand es.
Das machte nichts. Es war trotzdem eine Wohltat, zwischen der Schule und Mama stillzustehen und einfach Loulou zu sein. Ich hatte neue Stiefel an, meine Spuren im Schnee waren ganz deutlich, eine lange Reihe gezackter Pfeile, die genau auf mich zielten. Ich war das Ziel. Das sah lustig aus.
Aber gerade weil ich so dastand und darüber nachdachte, daß meine Schritte zu einem glücklichen Punkt führen, gerade deshalb wurde ich von hinten überrumpelt. Egal wer gerade in diesem Moment gekommen wäre, er hätte mich gestört. Aber es war ja nicht mal irgendwer. Sondern es war derjenige, den ich am allerwenigsten ausstehen kann – ein großer, häßlicher Kerl mit Schnurrbart und weiter Jacke. Alles, was der macht, ist verkehrt, und alles, was der sagt, ist verkehrt. Und wenn er nichts macht und nichts sagt, dann ist das auch verkehrt, weil er dann fast noch mehr existiert. Außerdem sieht er blöd aus. Er hat auch einen Namen. Ich würde mich schämen, wenn ich so einen Namen hätte. Er heißt Kenneth und findet sich ganz in Ordnung.
„Hallo“, sagte er.
Ich nahm Herrn Buster in den Arm und steckte ihm den Zeigefinger so in den Mund, daß er heulte. Herr Buster ist meine Schultasche, die Mama in Form von einem Hund genäht hat. Er hat keine Zähne, aber eine lange, glatte Seidenzunge. Ich habe das nicht getan, um Kenneth zu ärgern, das ist vergebliche Mühe – er hat null Gefühl – sondern nur, um was zu machen.
„Hallo, habe ich gesagt!“ wiederholte er.
„Mhm. Was ist?“
„Ich komme noch nicht gleich nach Hause.“
‚Nach hause!‘ Er sagt ‚nach Hause‘, wenn er die Wohnung meint, wo Ich wohne. Mit meiner Mama und meinem kleinen Bruder, der David heißt. Wir wohnen zu Hause. Aber Kenneth! Er ist halt da. Und sitzt am Tisch und ißt in einem fort. Und das auch noch irgendwie eklig. Und wenn er nicht ißt, dann kann er nicht den Mund aufmachen, ohne etwas Verkehrtes zu sagen.
„Ich werde was für uns besorgen. Was Besonderes.“
‚Für uns.‘ Aus seinem Mund kommen wirklich bloß Kröten. Ich steckte die kleinen Finger in Herrn Busters Augenwinkel, er bekommt dann diesen verschlagenen Blick, den ich so mag, und hob seinen Kopf in Richtung Kenneth.
„Deine Mutter braucht nämlich ein bißchen Entspannung. Und dafür werde ich sorgen.“
Aber nein! Ich steckte meine Kinnspitze in den Pelzkragen, es war doch zu peinlich. Papas, die zu Hause wohnen, es soll ja wirklich noch welche geben, die nennen die Mama ‚Mama‘, klar, oder beim Namen. Kenneth nennt meine Mama ‚deine Mutter‘ oder ‚kleine Alte‘ weil sie 10 Jahre älter ist als er. Außer wenn sie sich streiten, da nennt er sie Liebling. Und im Zusammenhang mit Mama von ‚Entspannung‘ zu reden! Mama macht immer das, was sie will, sie braucht keine Entspannung. Ich habe sie noch nie entspannt vor dem Fernseher oder beim Kaffeeklatsch oder in einer Illustrierten blättern sehen. Sie will nähen.
Sie macht nichts anderes, wenn sie zu Hause ist. Manchmal putzt sie, aber nur, wenn etwas Besonderes passiert ist, worüber sie nachdenken muß. Ab und zu arbeitet sie auch gerne bei der Post, aber eigentlich nur, weil ihr nicht jeden Tag und immer etwas einfällt. Und weil sie Geld braucht für uns natürlich.
„Sie arbeitet sich nämlich kaputt. Sie hört und sieht nichts anderes mehr. Ist dir das aufgefallen? Nimmt immer mehr ab. Ist dünn wie ein Strich. Genau das. So sieht sie aus. Sie braucht Entspannung. Und die werde ich ihr verschaffen.“
Entspannung! So ein Idiot! Ich schnaubte ihn nur an, menschliche Sprache versteht er nämlich nicht.
„Tschüs, Mädchen. Wir sehen uns.“
Wir sehen dich. Und zwar zu viel. Er wackelte davon wie eine große, häßliche graue Krähe gegen den weißen Schnee. Die Fußspuren sehen ganz gerade und richtig aus. Woher kommt dann bloß dieser schlenkrige Eindruck? Irgendwas mit seinen Armen stimmt nicht, und außerdem wackelt er mit dem Kopf.
Dachte ich. Aber dann fegte ich diese Gedanken zusammen und warf sie weg. Ich lief mit fröhlichen Sprüngen nach Hause, weil ich mich darauf freute, daß Mama allein war.
Als ich an diesem Nachmittag nach Hause kam, war im Wohnzimmer nicht die gleiche wilde Unordnung wie sonst. Es sah so aus, als ob Mama etwas, womit sie sich sehr lange beschäftigt