Ursula Isbel
Reiterhof Dreililien 7 - Heimweh nach den Pferden
Saga
Reiterhof Dreililien 7 - Heimweh nach den PferdenCover Bild: Shutterstock Copyright © 1994, 2019 Ursula Isbel und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726219647
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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1
„Das Schönste, was ich kenne“, sagte Jörn, „ist Dreililien im Abendlicht – im Sommer, wenn die Sonne hinter dem Hochwald zur Tagleiten wandert, wenn die Pferde getränkt und gefüttert werden und der Innenhof vom Zwielicht erfüllt ist.“
Ich wußte, dies war eines von den Bildern, die Jörn über die dunkelsten Stunden hinweghalfen, wenn er in dem engen Krankenzimmer fast verrückt wurde, wenn er unter Schmerzen litt und Angst hatte, nicht wieder gesund zu werden.
„Wenn ich es hier nicht mehr aushalte, mache ich die Augen zu und denke an Dreililien. Dann geht’s wieder für eine Weile“, sagte er manchmal.
Und ich tröstete ihn damit, daß wir im Frühling wieder zusammen in den Wald reiten und auf den Koppeln arbeiten würden, er und ich. Doch es war ein langer Winter, der kein Ende zu nehmen schien – grau, mit eisiger Kälte und zu wenig Schnee. Den Weihnachtsabend verbrachte ich bei Jörn im Krankenhaus, zusammen mit seinem Bruder Matty.
Dann warteten wir von einer Woche zur anderen darauf, daß die Ärzte Jörn endlich nach Hause ließen. Immer wieder hieß es unbestimmt: „In zehn Tagen vielleicht“. Es wurde Januar und Februar. Jörn drohte damit, sich einfach anzuziehen und abzuhauen, eines Tages, wenn ihm alles zuviel wurde. Dabei merkte er selbst, wie schwach er von seiner Krankheit nach dem schweren Autounfall noch war; und auch dieses Gefühl der Schwäche war schwer für ihn zu ertragen.
Anfang Februar wurde es so kalt, daß wir die Pferde nicht mehr auf die Koppeln bringen konnten. Drei von den Jährlingen, eine Mutterstute und ihr Fohlen hatten sich erkältet, und Dr. Hofbauer mußte geholt werden. Wir hatten alle Hände voll zu tun, den Pferden wenigstens einmal täglich Bewegung zu verschaffen. Sie wurden gereizt und unberechenbar, wußten nicht, wohin mit ihrer überschüssigen Energie. Zum Glück hatten wir die Wochenendreiter, die nun auch werktags aus allen Himmelsrichtungen kamen, um mitzuhelfen. Jörn aber saß in seinem Bett im Krankenhaus und schimpfte verzweifelt, weil er eingesperrt war, während man ihn zu Hause so dringend gebraucht hätte.
„Morgen“, sagte er eines Tages finster entschlossen, „bringst du meinen Wintermantel und die Fellstiefel, Nell. Ich haue ab. Die halten mich noch ewig hier fest. Mir reicht’s jetzt, verdammt.“
„Aber das tun sie doch nicht aus Bosheit“, widersprach ich erschrocken. „Warte wenigstens noch eine Woche. Du kannst nicht einfach abhauen, du bist noch total schwach. Wie sollen wir denn nach Hause kommen?“
„Wir nehmen ein Taxi zum Bahnhof und fahren mit dem Bus, das ist doch ganz einfach. Und in Mariabrunn kann Mikesch uns abholen. Versprich, daß du meine Klamotten mitbringst, wenn du morgen kommst!“
„Das kann ich nicht“, sagte ich.
„Du mußt! Wenn du es nicht tust, sag ich’s Matty. Aber du kannst mich nicht einfach so hängenlassen!“
Von Zweifeln geplagt, fuhr ich nach Hause. Wie meistens, wenn ich nicht wußte, was ich tun sollte, ging ich nach der Abendfütterung zu Mikesch und redete mit ihm. Mikesch war so ziemlich der vernünftigste Mensch, den ich kannte. Außerdem machte er nie den Versuch, mich zu bevormunden oder zu belehren, wenn ich ihn um Rat fragte.
„Wenn Jörn es in der Klinik nicht mehr aushält, ist es sein gutes Recht, nach Hause zu gehen“, meinte Mikesch und strich sich das schwarze Haar aus der Stirn. Ein Schmutzstreifen blieb auf seinem Gesicht zurück, denn er hatte nach der Arbeit noch nicht Zeit gehabt, sich die Hände zu waschen. „Die Ärzte wollen sicher sein Bestes, aber ob sie auch genau wissen, was ihm guttut? Vielleicht kommt Jörn schneller wieder auf die Beine, wenn er zu Hause ist; ich nehm’s fast an. Aber klammheimlich würde ich das nicht machen. Warum sagt Jörn morgen bei der Visite nicht einfach, daß er jetzt genug hat und noch diese Woche entlassen werden will? Verwehren können sie es ihm nicht, er ist schließlich volljährig. Wahrscheinlich werden sie sagen, daß er auf eigene Verantwortung geht, aber das weiß er ja sowieso. Sag mir Bescheid, wenn die Sache entschieden ist, dann fahren wir mit dem Lastwagen nach Rosenheim und holen ihn ab. Mit dem öffentlichen Bus kann er jedenfalls nicht zurückfahren, dazu ist er noch zu wacklig auf den Beinen.“
Ich fand den Rat gut. Jörn war zwar sauer, als ich am nächsten Tag ohne Mantel und Stiefel ankam, beruhigte sich dann aber wieder. Während der ganzen Besuchszeit war er recht schweigsam und schien zu überlegen.
Zwei Tage später wurde er entlassen. „Auf eigene Verantwortung“, wie Mikesch vorausgesagt hatte.
Um zehn Uhr vormittags holten wir ihn ab, Mikesch und ich. Jörns Gesicht war so froh, als wir kamen, wie ich es seit langem nicht mehr gesehen hatte.
In seinem alten Lammfellmantel schien er fast zu versinken. „Nicht mal meine Stiefel passen mir mehr. Sie fühlen sich an wie Elbkähne“, sagte er mit einem schiefen Lächeln. „Ich bin dürr wie ein Zwetschgenmandl geworden. Kein Wunder, daß sich auch meine Beine wie Zwetschgenmus anfühlen.“
Ja, er war schmal und blaß geworden in diesen vier Monaten seit seinem Unfall. „Das bißchen Fett kriegst du schon wieder drauf“, meinte Mikesch tröstend. „Und deine Muskeln sind natürlich schlaff vom langen Herumliegen. Ein paar Wochen im Stall und auf den Koppeln, und du hast wieder die alte Kraft in Armen und Beinen.“
Jörn sah ihn an. „Ein paar Wochen? Ich geb mir genau eine Woche dazu!“
2
Jörn hatte sich eine Woche Frist gesetzt; so, als könnte man seinem Körper vorschreiben, wann er wieder gesund und kräftig zu sein und normal zu „funktionieren“ hatte. Doch ein so schwerer Unfall, wie er ihn erlitten hatte – mit einem Leberriß, dem Schock, der Lungenverletzung, mit Operation, Schmerzen, Medikamenten –, ließ sich nicht so einfach überwinden wie eine Grippe. Das war auch die Meinung von Hopfi, der Haushaltshilfe auf Dreililien.
„So wos geht net von heut auf morgen“, erklärte sie. „Dös braucht scho sei Zeit.“
Tatsächlich dauerte es viel länger, als wir geahnt hatten; und obwohl Jörn täglich dreimal mit verbissener Energie in den Stall kam, um bei der Arbeit zu helfen, wurde er meistens schnell grau im Gesicht und mußte sich zwischendurch immer wieder auf die Bank in der Sattelkammer setzen, um auszuruhen. Doch er hatte einen eisernen Willen und war hart mit sich selbst; er gab nicht nach.
Erst als der sehnsüchtig erwartete Frühling kam, wurde auch Jörn wieder kräftiger. Die Stare kehrten zurück, die Schwalben suchten ihren heimatlichen Stall auf, und an einem Märztag unternahmen wir unseren ersten Ausritt, Jörn und ich.
Diana, die Jörn seit seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus nicht mehr aus den Augen ließ, begleitete uns. Schmutzige Schneefetzen lagen noch auf den Koppeln, doch am Bachufer und am Waldrand blühten schon die ersten Buschwindröschen. Die Drosseln sangen so süß in den Erlenbüschen, und die Sonne glänzte warm auf Hazels nußbraunem Fell und Katamas seidenweißer Mähne.
„Das hab ich mir im Krankenhaus oft vorgestellt – daß wieder Frühling ist, und daß wir mit den Pferden über den Steg in den Wald reiten, wenn die Sonne scheint“, sagte Jörn leise. „Früher war das so selbstverständlich für mich, etwas, was zu meinem Leben dazugehört wie Essen und Trinken. Aber es ist nicht selbstverständlich, Nell. Es ist nicht selbstverständlich, daß wir gesund sind und draußen sein können, daß wir den Wind in den Bäumen hören und die Vögel, wie sie singen, daß wir uns unbehindert bewegen können,