Mikesch kam und erkundigte sich mit halblauter Stimme, wo Sepp die Säcke mit den Mineralien hingestellt hätte.
Schließlich kam auch Helge zurück, die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Augen hinter der dunklen Haarmähne verborgen, und machte sich an die Arbeit. Seine Wut schien verraucht zu sein, denn nach einer Viertelstunde tauchte er bei Hazels Box auf und erkundigte sich ganz freundlich bei mir, ob ich Solveigs Mähnenkamm gesehen hätte.
An diesem Tag mußte Jörn zum erstenmal nicht in die Sattelkammer gehen, um auszuruhen. Er arbeitete langsam, aber in stetigem Rhythmus; und als wir die Stalltür hinter uns schlossen, sah er glücklich aus.
„Es geht wieder“, sagte er. „Ich dachte schon, ich schaff s nie mehr so wie früher. Aber jetzt krieg’ ich langsam wieder Kraft.“
Maja, die daneben stand, erwiderte: „In einem halben Jahr hast du alles vergessen.“
Jörn schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er, „das nicht. Vergessen werd’ich es nie.“
3
Jörn war noch sechs Wochen krankgeschrieben. Zum Glück fielen die Osterferien in diese Zeit, so daß wir vierzehn Tage zusammen sein konnten – Frühlingstage, die wir mit den Pferden im Freien verbrachten, sooft das Wetter es zuließ.
An einem regnerischen Aprilmorgen packte Maja ihre Klamotten aufs Fahrrad und verließ Dreililien nach einem sehr kurzen Abschied. Von Mikesch erfuhren wir, daß sie schon vor zwei Monaten gekündigt hatte.
„Sie hat mich richtig angefleht, keinem außer Herrn Moberg etwas davon zu sagen. Ich konnte sie nicht davon überzeugen, daß es besser gewesen wäre, mit euch darüber zu reden“erklärte er. „Also hab ich den Mund gehalten. Besonders wohl war mir dabei allerdings nicht.“
„Und Matty?“ fragte ich. „Hat der auch nichts gewußt?“
„Da mußt du ihn schon selber fragen“, erwiderte Mikesch.
Ich merkte jedoch, daß Matty keine Lust hatte, über die Sache zu reden. Seine Gefühle für Maja, die Enttäuschung, die er mit ihr erlebt hatte – das war ein Thema, das er weitgehend mit sich selbst abmachte und über das er sich ausschwieg, so offen er sonst auch war.
„Er wird schon gewußt haben, daß Maja geht“, sagte Jörn abends zu mir. „Und ich find’s auch besser so. Das war doch kein Zustand mit den beiden; die sind sich bloß noch aus dem Weg gegangen, und jeder hat so getan, als wäre der andere gar nicht vorhanden. Irgendwie war die ganze Geschichte hoffnungslos verfahren.“
„Ich wollte, Matty würde darüber reden“, murmelte ich, den Kopf an seiner Schulter. „Das kann doch nicht gut sein, daß er alles so in sich hineinfrißt.“
„Nein“, sagte Jörn, „gut ist das bestimmt nicht. Ich denke jetzt manchmal, daß wir uns ähnlicher sind, als ich vermutet habe, Matty und ich.“
„Sicher geht es ihm wieder besser, wenn Maja nicht mehr hier ist. Aber wir werden einen Ersatz für sie finden müssen, und das wird nicht leicht sein.“
Jörn nickte. „Sie hat ihre Arbeit großartig gemacht, das muß man ihr lassen. Man brauchte ihr nicht erst zu sagen, was sie tun soll; sie hat’s selbst gesehen. Und was am wichtigsten war: Sie liebte die Pferde.“
,,Es ist ihr bestimmt schwergefallen, von Dreililien wegzugehen.“
Ich dachte daran, wie hart sich Maja diese Lehrstelle als Pferdepflegerin erkämpft hatte, wie schwer es für sie gewesen war, ihre Eltern davon zu überzeugen, daß dieser Beruf wichtiger und richtiger für sie war als Abitur und Studium. Ich war lange Zeit böse auf Maja gewesen, weil sie Matty enttäuscht hatte. Jetzt erst fragte ich mich, wie ihr in den vergangenen Wintermonaten zumute gewesen sein mochte, in denen wir sie links liegengelassen hatten; und ich erinnerte mich, daß ich sie eigentlich gemocht hatte, ja, daß ich sie immer noch mochte.
Plötzlich wußte ich, daß Maja mir fehlen würde – ihre selbstverständliche Art zuzupacken, ihr sanfter, geduldiger Umgang mit den Pferden, der Blick ihrer großen dunklen Augen. Das „Mädchen mit den Pfefferkuchenaugen“, wie wir sie früher genannt hatten, war fort; und vielleicht würden wir sie nie wiedersehen.
Sicher war es gut, daß Matty zwei Tage später selbst wegfuhr. Er wollte für eine Woche in einem Reitstall bei München arbeiten, wo er seit dem letzten Herbst schon mehrmals ausgeholfen hatte, sehr zum Ärger seines Vaters. Herr Moberg war der Meinung, es gäbe auf Dreililien genug Arbeit, und fand es rücksichtslos von Matty, daß er seine eigenen Wege ging.
Auf Dreililien war nun wirklich Hochbetrieb. Wir hatten dreizehn Ferienreitschüler im Gutshaus einquartiert; ein Glück, daß Jörn zu Hause war und Mikesch entlasten konnte.
Und dann war da auch noch Pauli. Seit einem halben Jahr wohnte er bei Gesine im Weberhäusl. Jörn hatte ihn im Krankenhaus kennengelernt, wo Pauli lang gelegen war, weil er im Altersheim einfach nichts mehr gegessen hatte. Nach einem arbeitsreichen Leben als Bauernknecht hatte Pauli die Verpflanzung in ein städtisches Seniorenheim einfach nicht bewältigt. Seine Weigerung zu essen, war ganz einfach eine Weigerung gewesen, unter solchen Umständen weiterzuleben.
Seit er nun in der kleinen Dachkammer bei Gesine hauste, war das anders geworden. „Er kommt mir vor wie ein alter Apfelbaum, der einen besonders strengen Winter überstanden hat und ganz unvermutet wieder zu blühen anfängt“, sagte Jörn einmal zu mir.
Jetzt, wo wir den Engpaß wegen Matty und Maja hatten, kam Pauli täglich unaufgefordert bei jedem Wetter frühmorgens und in den Abendstunden nach Dreililien gestapft und half im Stall. Er verstand eine Menge von Pferden, wenn er auch nur Erfahrung mit Kaltblütern hatte. Seiner Ansicht nach gab es da allerdings keine großen Unterschiede; nur daß unsere „Rösser“ halt ein bißchen „extriger“ waren, womit er meinte, daß sie empfindsamer waren und mit größerer Vorsicht behandelt werden mußten.
Ebenso „extrig“ waren diesmal die Ferienreitschüler, was nach Hopfis Auffassung daran lag, daß es ausgerechnet dreizehn waren.
„Dreizehn, dös bringt koa Glück net!“ prophezeite sie schon am ersten Ferientag düster. „Do bricht si bestimmt oana an Haxn oder an Hals, dös werd si scho no erweis’n!“
Die zehn Tage gingen zwar trotzdem ohne Reitunfall ab, aber nicht ohne Streit. Katja und Ines, zwei vierzehnjährige Mädchen, konnten sich von Anfang an nicht leiden, und bald war die gesamte Reitgruppe in zwei Lager gespalten – ein Katja-Lager und ein Ines-Lager. Daran konnte nicht einmal Mikesch etwas ändern.
„Die machen mich diesmal fertig“, sagte er eines Morgens, während die Reitschüler im Innenhof standen, in zwei Gruppen geteilt und damit beschäftigt, einander böse Blicke zuzuwerfen. Nur Tommy, ein kleiner Junge, stand abseits. Wir nannten ihn „Nummer dreizehn“, denn er hielt sich heraus und hatte bisher keine Partei ergriffen – oder vielleicht legten auch weder Ines noch Katja Wert darauf, ihn für sich zu gewinnen.
„Vielleicht sollten wir uns mal abends mit ihnen zusammensetzen. Es wäre ja schon fantastisch, wenn wir sie wenigstens dazu bringen könnten, Waffenstillstand zu schließen“, sagte Jörn.
„Hab ich doch alles schon versucht“, erwiderte Mikesch. „Aber ich hab nachgerade das Gefühl, daß es ihnen Spaß macht, im Clinch miteinander zu liegen.“
Ich sagte: „Dann laßt sie doch!“
„Wenn das bloß so einfach wäre! Sie benutzen jede Gelegenheit, sich anzugiften, und die Stimmung ist natürlich dementsprechend bescheiden. Außerdem überträgt sich die ständige Gereiztheit und Streitlust auf unsere Pferde. Unter solchen Voraussetzungen Reitunterricht abzuhalten, ist wirklich kein Vergnügen.“
„Sie bleiben ja nur noch sechs Tage“, sagte Helge. „So lange mußt du’s eben aushalten. Oder du setzt Katja und Ines an die Luft. Damit wäre das Problem wahrscheinlich gelöst.“
„Vielleicht.“ Mikesch machte ein zweifelndes Gesicht. „Aber ich setze nicht so gern Leute an die Luft.“
Pauli,