Ursula Isbel

Reiterhof Dreililien 7 - Heimweh nach den Pferden


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Punkt an der Sache war, daß diese Paare je zwei Leute aus feindlichen „Lagern“ sein sollten, die so gezwungen waren, gemeinsam eine für sie neue, anstrengende und schwierige Aufgabe zu erledigen, wie es das Striegeln für einen Anfänger ja ist.

      „Dabei werd eahna d’Feinschaft scho vergeh“, meinte Pauli mit einem listigen Augenzwinkern.

      Wir sahen ihn minutenlang verdutzt an und mußten dann zugeben, daß die Idee gar nicht übel war. „Aber was ist mit Nummer dreizehn?“ fragte ich schließlich.

      „Der kann mit mir zusammenarbeiten“, sagte Jörn. „Der kleine Kerl reicht den Pferden sowieso nur bis zum Bauch.“

      Natürlich rochen die Ferienreiter den Braten. Einige von ihnen weigerten sich anfangs schlicht und einfach, Mikeschs Einteilung Folge zu leisten. Er blieb jedoch hart und sagte, wer mit seiner Anordnung nicht einverstanden sei, dürfe am nächsten Tag auch nicht am ersten Ausritt teilnehmen, und damit basta. Das wirkte.

      Ich beobachtete das Experiment abends von Hazels Box aus. Die Pferde waren auffallend nervös; natürlich spürten sie die geladene Stimmung. Mikesch hatte den Ferienreitern in weiser Voraussicht nur die Stuten zugeteilt, die besonders geduldig und gutmütig waren. Den anderen war ohne weiteres zuzutrauen, daß sie in einer solchen Situation plötzlich ausschlugen oder zuschnappten.

      In der Box unserer Schimmelstute Emily standen zwei blonde Mädchen, Sarah und Ann-Katrin, und es war komisch mitanzusehen, wie sich jede von ihnen Mühe gab, so zu tun, als wäre die andere Luft. Allzu lange hielten sie das jedoch nicht durch, denn Emily machte das Spiel nicht mit. Sie drehte und wendete sich, wackelte mit dem Hinterteil und verteilte abwechselnd freundschaftliche, aber energische Püffe, bis Sarah und Ann-Katrin vor Verzweiflung vergaßen, sich gegenseitig mit Verachtung zu strafen und einträchtig zu schimpfen begannen.

      Die Erzfeindinnen Katja und Ines arbeiteten in der entferntesten Ecke in Vronis Box. Dort stritten sie so laut, daß man sie im ganzen Stall hören konnte. Mikesch ließ sie ruhig keifen; er überschrie sie nur ab und zu, wenn er eine Anweisung gab.

      Die einzige, die sich schließlich einmischte, war Vroni. Ich vermute, daß sie das Gekreisch plötzlich satt hatte. Unversehens erklang aus ihrer Box ein gewaltiges Gerumpel, gefolgt von zwei schrillen Schreckensschreien. Wir stürzten hin und stellten fest, daß Vroni die Feindinnen mit ihrem umfangreichen Hinterteil in eine Ecke der Box gedrängt hatte, wo sie eng aneinandergepreßt standen und sich nicht mehr rühren konnten. Mikesch und Jörn mußten der gereizten Stute minutenlang gut zureden, bis sie sich endlich bequemte, die beiden aus dem Schwitzkasten zu lassen.

      „Ich hoffe, ihr kapiert jetzt alle miteinander, daß Pferde keine Maschinen sind, über deren Köpfe hinweg man sich ungeniert anschreien kann“, sagte Mikesch. „Ein Pferd ist ein sehr empfindsames Wesen und muß mit Ruhe, Freundlichkeit und Ausgeglichenheit behandelt werden. Laßt euren Ärger und Frust also besser nicht in ihrer Gegenwart ab, sonst braucht ihr euch nicht zu wundern, wenn ihr in hohem Bogen durch die Luft fliegt oder einen Tritt bekommt.“

      Nach diesem Zwischenfall herrschte erstaunlicher Friede im Stall. Aus einigen Boxen erklang noch unterdrücktes Gekicher, denn der Anblick von Ines und Katja, eingezwängt hinter Vronis Hintern, hatte den ganzen Streit in ein neues, lächerliches Licht gerückt.

      Es wurde dann auch wirklich besser in den restlichen sechs Tagen, die die Ferienreiter noch auf Dreililien verbrachten. Die beiden Feindinnen versöhnten sich zwar nicht, aber ihre Anhänger redeten wieder normal miteinander und hörten auf, sich gegenseitig die Ferien zu vermiesen.

      Trotzdem war Mikesch ehrlich froh, als sie abfuhren. „Herr Gott, war das diesmal anstrengend!“ sagte er. „Noch so eine Gruppe, und ich schmeiß meinen Job hin.“

      Wir versprachen, die Pferde an diesem Wochenende allein zu versorgen. Mikesch setzte sich mit Gesine und ihrem Hund Malchen ins Auto und fuhr zu Freunden nach München, um „abzuschalten“. Es war ein regnerisches Wochenende, aber die beiden meinten, das Wetter wäre gerade richtig, um gründlich auszuschlafen, tagsüber eine Kunstausstellung zu besuchen und abends gemütlich zum Essen oder ins Kino zu gehen.

      Es war wieder kalt geworden. Hopfi meinte, das käme schon von den Eisheiligen, obwohl die eigentlich erst Anfang Mai fällig gewesen wären. Am Samstag standen die Pferde so naß und mit trübselig hängenden Köpfen auf den Koppeln, daß wir sie früher als sonst in den Stall holten und sie trockenreiben mußten, damit sie sich nicht erkälteten.

      Am späten Nachmittag heizte Jörn den eisernen Ofen im ehemaligen Dörrboden, den er sich im vergangenen Sommer mit unserer Hilfe zur Wohnung ausgebaut hatte. Ich kochte auf der kleinen Herdplatte weiße Bohnen mit den ersten Kräutern aus unserem Garten. Fleisch aßen wir beide schon seit langem nicht mehr. Ausgegangen war die „vegetarische Welle“ von Matty, der einen Spruch von George Bernard Shaw an seine Tür geheftet hatte: Tiere sind meine Freunde, und ich esse meine Freunde nicht. Tatsächlich konnte man auf die Dauer auch ganz gut ohne Fleisch auskommen, fand ich, obwohl die Umstellung für mich nicht gerade leicht gewesen war.

      Wir aßen am Bauerntisch mit der dicken, wurmstichigen Eichenholzplatte, der noch von Jörns Urgroßeltern stammte. Ich liebte Jörns Zimmer mit den dämmrigen Winkeln und dem Geruch alten Holzes, den Dachbalken, von denen getrocknete Kräuter und Sträuße hingen, dem honigfarbenen Fußboden und der sparsamen Einrichtung. Hinter den kleinen Sproissenscheiben sah man das tiefgezogene Dach, einen Teil des Innenhofs und auf der Nordseite den verwilderten Garten.

      Der Dörrboden war so heimelig wie ein Nest oder der Bau eines Tieres unter Wurzeln, und an diesem Samstag nachmittag fühlten wir uns besonders geborgen. Der Regen trommelte aufs Dach, Buchenscheite knackten im Ofen, die Pferde waren versorgt, und ganz Dreililien war eingehüllt in jene paradiesische Ruhe, die immer dann herrschte, wenn ein Trupp Ferienreiter abgereist war.

      Wir lagen auf Jörns Matratzenbett, hielten uns in den Armen und lauschten auf den Regen. Diana hatte sich zu Jörns Füßen zusammengerollt und schnarchte leise. Dann, mitten in Friede, Freude und Eierkuchen, fiel mir plötzlich ein, daß meine Periode seit drei Tagen überfällig war.

      Ich hätte gern mit Jörn darüber geredet, aber nach all dem, was er in den letzten Monaten ausgestanden hatte, wollte ich ihn nicht auch noch damit belasten. Vielleicht war es besser, mit Carmen darüber zu reden – sozusagen von Frau zu Frau.

      Als Carmen am nächsten Tag auf der Haflingerstute ihres Vaters angeritten kam, um ihren Freund Roddy zu treffen, der zu uns in die Sonntagsreitstunde kam, ließ ich ihr kaum Zeit, das stämmige goldbraune Pferd zu den anderen Stuten auf die Koppel zu bringen.

      „Ich muß mit dir reden“, sagte ich. „Laß uns Spazierengehen, dann sind wir ungestört.“

      Sie sah mich forschend an. „Ist was passiert? Doch nichts mit Jörn?“ fragte sie rasch.

      „Hm. Nicht so direkt“, erwiderte ich ausweichend.

      Wir gingen den Pfad zwischen den Haselnußsträuchern entlang, zum Wildbach hinunter. „Du“, sagte ich nach einer Weile, „ich hab seit vier Tagen meine Periode nicht gekriegt.“

      Carmen war nicht sonderlich beeindruckt. „Das ist mir auch schon passiert“, sagte sie. „Es muß nichts zu bedeuten haben. Wie sieht’s denn aus, habt ihr so um den Eisprung herum miteinander geschlafen?“

      Ich war jetzt doch ein bißchen verlegen. Daß Carmen so offen und selbstverständlich fragen könnte, hatte ich nicht erwartet. Wir hatten über solche Dinge nie zuvor miteinander geredet.

      Ich sagte: „Ich weiß nicht genau; könnte schon sein“, und merkte, wie ich rot wurde. „Ehrlich gesagt hab ich gar nicht auf den Kalender geachtet.“

      „Das solltest du aber“, meinte sie. Ein Lächeln ging über ihr molliges Gesicht. „Genier dich bloß nicht! Es geht schließlich um die natürlichste Sache von der Welt, und ich find’s blödsinnig, daß die meisten Leute immer so tun, als gäb es dieses Problem überhaupt nicht. Eltern vor allem, die denken ja meistens, ihre Kinder würden ,so was‘ niemals tun. Dabei schlagen sich eine Menge Mädchen und Frauen, die nicht einfach tagtäglich die Pille schlucken wollen, mit