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Jón Svensson
Wie Nonni das Glück fand
Saga
Vorbemerkung
An vielen Orten, wo ich in den letzten Jahren Vorträge gehalten habe, wurde besonders eine Frage immer wieder an mich gerichtet. Man wollte wissen, wie es eigentlich kam, dass ich als kleiner zwölfjähriger Wildfang die schöne Insel Island verliess, um draussen in der weiten Welt meine Studien zu machen und dort mein Glück zu suchen.
Gerne habe ich diese Bitten erfüllt, und so kam es, dass ich über meine innern Erlebnisse und darüber, wie Gott mich führte, noch häufiger erzählen musste als über alles andere, was in meinen Jugendjahren mit mir geschah.
Sehr oft wurde mir nahegelegt, diese merkwürdigen Begebenheiten nicht nur mündlich zu erzählen, sondern auch schriftlich niederzulegen. Das habe ich hiermit getan. Und nun lade ich alle meine Freunde, die grossen und die kleinen, ein, in Gedanken mich zu begleiten und dem, was ich in diesem Buche aufgeschrieben habe, so froh zu begegnen, wie es mir begegnet ist, als es geschah.
Es würde mich freuen, wenn ich auch mit diesem Buche dazu beitragen könnte, andern eine Freude zu machen und sie in ihrem Glauben an das Schöne und Gute in der Welt zu stärken.
Pfingsten 1934
Jón Svensson
(Nonni)
1
Nonnis Traum von der weiten Welt
Wie man es in den „Nonnibüchern“ lesen kann, verbrachte ich meine zwölf ersten — überaus glücklichen — Jugendjahre bei meinen Eltern in Nord-Island.
Ich wuchs auf wie eine wilde Blume in Gottes freier Natur, inmitten der stolzen isländischen Berge, nahe dem Meeresufer.
Erzogen wurde ich nach den Grundsätzen der meisten isländischen Familien, nämlich in der grösstmöglichen Freiheit.
Nach althergebrachtem normannischem Gebrauch lässt man dortzulande den Kindern reichliche Freiheit — nicht damit sie ungezogen werden, sondern zu dem Zweck, dass sie sich selbst helfen lernen und sobald wie möglich zu einer gewissen Selbständigkeit gelangen. Die Kinder sollen nicht wie willenlose Geschöpfe herumgeschoben und auf Schritt und Tritt überwacht werden.
Selbstverständlich hat diese Freiheit ihre Grenzen: mit grösster Strenge wird Gehorsam und gutes Betragen gefordert. Darüber wird unerbittlich gewacht; denn Vornehmheit ist Ehrensache.
Natürlich hatte ich, der kleine Wildfang, gegen diese Erziehungsweise nichts einzuwenden. So wuchs ich heran, und als ich sieben Jahre alt geworden, war ich kräftig und gesund und voller Unternehmungslust.
Die Reitkunst, die in Island für jung und alt unentbehrlich ist oder wenigstens damals war, lernte ich zu dieser Zeit und bekam nun von meinem Vater ein niedliches kleines Reitpferd zum Geschenk. Es war schneeweiss und hiess Grani, gerade wie das berühmte Reitpferd Siegfrieds des Drachentöters.
Nach Herzenslust durfte ich auf dem sichern Rücken Granis in der Umgegend Ritte machen. Ich ritt über Stock und Stein, über Berge und Täler und machte Besuche auf weit entfernten Höfen, wo ich immer mit grösster Freundlichkeit empfangen wurde. Die Gastfreundschaft ist eine der schönsten Tugenden des isländischen Volkes.
Zuweilen durfte ich sogar meinen kleinen Bruder Manni mitnehmen: er setzte sich dann hinter mir auf den Rücken Granis und hielt sich fest „im Sattel“.
Aber die Ritte durch das herrliche Land machten nicht unsere einzigen Vergnügungen ans: wir wohnten am Meeresstrande, und unmittelbar vor unserem Elternhaus lag das grosse Atlantische Meer. Da war es ja selbstverständlich, dass wir auch einen kleinen Kahn besassen.
Ohne Widerspruch vonseiten meiner Eltern durfte ich auf dem weiten Meer Ruder- und Segelfahrten unternehmen. Da ruderte oder segelte ich also, wie es mir passte, allein oder auch mit meinem kleinen Bruder Manni.
Gewiss kamen wir dabei mitunter in Gefahr. Das wussten unsere Eltern wohl. Trotzdem wurden uns diese Ausflüge nicht verwehrt. Derartige Gefahren galten nicht als hinreichender Grund zu einem Verbot.
Mehr als einmal fiel ich in die salzigen Fluten. Ich hätte ertrinken können. Doch immer kam ich wieder mit dem Leben davon.
Einmal machte ich mit Manni eine kühne Bootfahrt. Unser Kahn wurde von einer starken Strömung erfasst und aufs hohe Meer hinausgetrieben. Wir gerieten mitten in ein Rudel riesengrosser Walfische. Doch auch da konnten wir nachher sagen: „Ende gut, alles gut!“ Wir kamen mit knapper Not davon und hatten ein zwar gefährliches, aber auch wahrhaft schönes Abenteuer hinter uns1.
Ist das vielleicht unvorsichtig oder gar leichtsinnig gewesen? Darüber will ich nicht urteilen. Ich kann nur sagen, dass trotz der grossen Freiheit dort im Lande nicht mehr Unglücksfälle vorkommen als anderswo. Wie es nun aber auch sein mag, bei mir ging es jedenfalls immer gut aus, und so tummelte ich herum, frisch und fröhlich, glücklich und gesund, bis ich beinahe acht Jahre alt war.
Ich war noch in keine eigentliche Schule gegangen. Meinen einzigen Unterricht hatte ich bei meiner Mutter gehabt. Sie hatte mir viel Schönes und Lehrreiches erzählt. Meine — ein paar Jahre ältere — Schwester Bogga hatte ihr dabei treulich geholfen. Doch das Lesen hatte ich noch nicht gelernt. Bald sollte auch mit dieser Kunst begonnen werden. Durch einen glücklichen Zufall erlernte ich sie auf eigene Faust, ohne dass meine Mutter etwas davon erfuhr.
Das kam so:
Eines Tages gab mir ein gleichaltriger Kamerad, Arni mit Namen, ein zusammengefaltetes Stückchen Papier mit den Worten:
„Nonni, lauf schnell zu deiner Schwester Bogga und gib ihr das. Sag ihr, es komme von mir.“
Ich lief so schnell, wie meine kleinen Beine mich tragen konnten, zu meiner Schwester, übergab ihr das Papier und sagte, es komme von Arni.
Bogga entfaltete es, betrachtete es eine Zeit lang aufmerksam und brach dann bald in ein unbändiges Gelächter aus.
Ich war höchst erstaunt, dass ein einfaches Stück Papier eine solche Wirkung haben könne, und fragte meine Schwester, warum sie so lache.
„Weil Arni mir so lustige Sachen geschrieben hat“, erwiderte sie.
Ich kam aus dem Staunen nicht heraus und bat sie, mir nähere Erklärung zu geben. Sie tat es, indem sie mir auseinanderzusetzen versuchte, dass man durch geheimnisvolle Zeichen seine Gedanken auf ein Stück Papier übertragen könne.
Ich wollte es mit eigenen Augen sehen. Sie zeigte mir das Papier. Ich schaute genau zu, konnte aber keine Gedanken darauf entdecken. Ich sah nur schwarze Striche und Punkte, wie wenn eine Fliege darüber gewandert wäre.
Mir kam das alles wie ein Zauber vor, und sofort bat ich Bogga, mich diese Zeichen zu lehren. Sie ging darauf ein, und mit Hilfe einer kleinen neunjährigen Freundin gelang es mir, in einer verhältnismässig kurzen Zeit das Lesen und Schreiben zu lernen.
Als ich endlich lesen konnte, wurde ich auf einmal von einer neuen eigentümlichen Leidenschaft ergriffen: es bemächtigte sich meiner eine unersättliche Leselust.
Ich ging nun nicht mehr soviel hinaus, sondern sass von jetzt an gern zu Hause und las ein Buch nach dem andern. Mein Vater hatte eine kleine Bibliothek. Er erlaubte mir, alle Bücher zu lesen, die darin standen.
Ich las und las mit grösster Freude nicht nur während des Tages, sondern auch zuweilen bis tief in die Nacht hinein. Ja so gross war mein Eifer, dass ich einmal die ganze Nacht hindurch las. Ich konnte das leicht tun, ohne jemand zu stören; denn ich schlief allein, in einem eigenen kleinen Kämmerlein unter dem Dach, gerade über meinen Eltern.
Licht brauchte ich, im Sommer wenigstens, nicht anzuzünden, denn in Island sind die Sommernächte ebenso hell wie der Tag. Die Sonne leuchtet ja fast die ganze Nacht am Himmel.
Und was für Bücher las ich denn? Allerlei. Ja, man horche und staune! Sogar Homer und Virgil in isländischer Übersetzung versuchte ich mir zu Gemüte zu führen, natürlich ohne viel davon zu verstehen. Mein Vater