Inger Gammelgaard Madsen

Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5


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wir nicht reden, oder? Sie wollen wohl gerne so einen Hund haben, nicht?«

      »Doch, doch, natürlich.« Der Welpe leckte ihren Hals ab, als sie sich beeilte, den Kopf wegzudrehen. Sie setzte ihn zurück zu seinen fünf Geschwistern.

      »Wo sind die Eltern?«

      »Draußen im Zwinger. Die Hündin findet es nicht so toll, dass wir die Welpen anfassen.«

      »Okay.« Anne schaute aus dem Fenster, zu dem er unwillkürlich seinen Blick wandte. Es musste mal geputzt werden. Ein ausgewachsener Kampfhund war herausgekommen und trottete in dem schmalen Zwinger ungeduldig auf und ab.

      »Da draußen ist nur einer. Haben Sie nicht zwei? Die Welpen haben doch wohl einen Vater?« Sie lächelte künstlich.

      »Ähm … meine Freundin geht wohl gerade mit ihm Gassi.« Kazir nahm die Zigarette und streifte die lange Asche am Rand des Aschenbechers ab. Er zündete sie wieder an und schaute verblüfft auf das Mädchen, das plötzlich in die Küche kam. Sie war im gleichen Alter wie er, wohl Anfang zwanzig. Ganz sicher echt dänisch. Ihre Haare waren deutlich blondiert und hatten einen Stich ins Gelbliche bekommen. Das Gesicht war rund und geschminkt und der Körper mollig, was die viel zu strammen Jeans betonten. Sie trug nur ein knappes Top und hatte Tattoos auf den Armen, aber nicht so auffällig wie seine. Sie zog ihn mit in den Nachbarraum, ohne Anne anzuschauen, aber sie hörte deutlich ihr Flüstern auf der anderen Seite der Wand: »Du hast ihr doch wohl nichts gesagt über …« und seine verärgerte Antwort, die sie unterbrach: »Natürlich nicht. Jetzt halt deine Klappe …«

      Sie kamen beide zurück in die Küche und sahen wie unschuldige Schulkinder mit schlechtem Gewissen aus.

      »Das ist Sally«, stellte er vor.

      Sally starrte Anne an. »Die kosten zweitausend pro Stück.«

      »Das ist okay«, nickte Anne und überlegte, wie sie weitermachen sollte.

      »Willste einen kaufen oder nicht?«, knurrte das Mädchen. Das war das Stichwort, auf das Anne gewartet hatte.

      »Klar, aber ich muss noch etwas darüber nachdenken. Ähm … mein Freund ist ein bisschen dagegen, die gehören ja zu den Listenhunden.«

      »Listen?«, wiederholte das Mädchen mit einem Ausdruck, als ob sie kein Wort kapierte.

      »Ja, die illegalen Kampfhunde. Das Gesetz wurde am ersten Juli eingeführt. Haben Sie auch noch nicht davon gehört?« Sie schaute nun in Kazirs dunkle Augen, die einen anderen Ausdruck angenommen hatten.

      »Natürlich, aber unsere Hunde sind lange vor dieser Zeit gekauft.«

      »Aber was ist mit den Welpen? Es ist verboten, mit illegalen Hunden zu züchten und genauso, sie weiter zu verkaufen.«

      »Ja, aber unsere Hunde gehören nicht dazu, die sind legal«, trug das Mädchen mit einem aggressiven Unterton bei. Da war doch was dran, dass Hundebesitzer oft an ihre Haustiere erinnerten – oder war das umgekehrt?

      »Selbstverständlich. Die Erwachsenen ja, aber ihre Nachkommen nicht.«

      Das Mädchen sah ihren Freund mit einem Wusstest-du-das?-Ausdruck an. Es war schwer zu deuten, ob das auch ihm neu war, und ob es ihr wirklich neu war. Hatten sie das Gesetz bloß einfach falsch verstanden? Geglaubt, dass es nicht für ihre Hunde galt, weil sie angeschafft worden waren, bevor das Gesetz in Kraft trat.

      »Ich habe auch wirklich geglaubt, dass …« Er nahm einen Zug von der Zigarette und kniff die Augen zusammen, als er den Rauch auspustete, und sah Anne fest an. »Ja, aber dann können wir doch nicht verkaufen …«

      »Okay«, antwortete sie und fühlte sich ganz verlegen. Das Gespräch hatte eine unerwartete Wendung genommen. Sie hatte sich gerade innerlich gewappnet, in eine gefährliche Situation geraten zu sein, und nun wirkten die beiden Gesetzesbrecher ganz plötzlich beinahe – zahm.

      »Das war also ein Missverständnis?«

      Sie nickten.

      »Das heißt, ihr nehmt die Anzeige jetzt aus dem Netz, oder?«

      »Klar. Stimmt’s, Sally?«

      »Ja, aber … das ist doch echt ein Scheiß mit so einem Gesetz. Was ist dann mit Schäferhunden und Rottweilern?« Einiges deutete darauf hin, dass sie die Liste wohl doch kannte. Sie prüfte den Blick ihres Freundes, dann nickte sie Anne zu. »Doch, natürlich.«

      Bevor sie ging, nahm Anne den Welpen noch mal aus dem Korb. Schnupperte an seinem Fell und fühlte irgendwo einen kleinen sehnsüchtigen Stich. Woher das kam, wusste sie nicht, weil sie noch nie einen Hundewelpen gehabt hatte. Der Duft musste bei ihr andere Assoziationen auslösen.

      Der erwachsene – legale – Kampfhund kam ganz nah an den Stacheldrahtzaun, als sie zu ihrem Auto ging. Er erinnerte an einen Gefangenen im Konzentrationslager und hatte Risse am Hals. Das eine Auge war blutunterlaufen, als ob etwas es getroffen hätte. Er war immer noch allein und sie hielt Ausschau nach dem anderen. Vielleicht war er irgendwo drinnen im Haus. Unwillkürlich machte sie einen größeren Bogen um den Hundezwinger als nötig. Der Hund bellte nicht, aber die Augen hatten einen unheimlichen abgrundtiefen Ausdruck, der alle ihre Bewegungen verfolgte, bis sie sich auf den Fahrersitz des Autos setzte und die Tür fest zuschlug. Als sie in den Rückspiegel schaute, stand er immer noch da auf seinen muskulösen Kommodenbeinen und starrte dem Auto nach. Sie schauderte. Aber die Welpen waren süß.

      Nicolaj hatte ein Bier geöffnet. Es stand vor seinem Laptop, während die Finger über die Tastatur flogen. Er musste einen Kurs gemacht haben, seit er beim Tageblatt ihr Praktikant gewesen war; so schnell war er damals nicht gewesen. Bier war jedoch eine schlechte Angewohnheit, das musste sie ihm abgewöhnen, wenn sie Partner sein sollten. Sie hatte oft genug gesehen, wohin Trinken führen konnte. Der schlimmste Fall war ihre eigene Mutter, und Nicolaj erinnerte sich sicher auch an Mads Dam, das traurige Wrack eines Sportreporters beim Tageblatt.

      Die ›Redaktion‹ war in einem Zimmer in Nicolajs Wohnung eingerichtet, wo mehr Platz war als in ihrer.

      »Wie lief’s? Hast du einen Welpen mitgenommen?«, fragte er sarkastisch, ohne aufzuschauen.

      Sie setzte den Rucksack ab und zog die Jacke aus. »Die Welpen waren echt süß. Ich wurde schon in Versuchung geführt.« Sie setzte sich ihm gegenüber. Seine roten Haare waren zerzaust; er hatte eine kleine Schreibblockade gehabt, dann wühlte er immer gewaltsam in seinem Schopf herum, erst in die eine, dann in die andere Richtung.

      Er sah sie an und nahm einen Schluck aus der Flasche. »Was hast du rausgefunden?«

      »Nicht viel. Was passiert eigentlich mit illegal gezüchteten Welpen?«

      Nicolaj stellte die Flasche ab und schrieb weiter. »Die werden eingeschläfert. Eine Spritze direkt in den Nacken.«

      »Nein! Das ist nicht dein Ernst, oder?! Werden die nicht einfach weggegeben oder in Länder verkauft, in denen sie legal sind?«

      Nicolaj schüttelte den Kopf, während er sie mit einem Ausdruck ansah, als wäre sie total naiv.

      »Solltest du nicht damit anfangen, diesen Artikel zu schreiben?«

      Sie kratzte sich am Hals. »Darüber gibt es nichts zu schreiben.«

      »Hmm, was soll das heißen? Es wäre schon geil, dieses Hundegesetz ein bisschen auseinanderzunehmen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Politiker die Dinge nicht gründlich genug untersuchen und es unterlassen, die zu befragen, die wirklich Bescheid wissen, bevor sie neue, hoffnungslose Gesetze erlassen, die alles nur verschlimmern.«

      »Was meinst du damit, dass sie die Dinge verschlimmern?«

      »Wenn es verboten ist, wird es einfach illegal gemacht und dann gibt es überhaupt keine Kontrolle. Nun ist der einzige Ausweg, kleine, unschuldige Welpen zu töten, weil Kriminelle nicht von einem Gesetz gestoppt werden.«

      Sie wägte die Situation ab. Versuchte professionell zu sein, gab aber auf.

      »Es stellte sich heraus, dass es gar keine Kampfhunde waren. Die sahen